Rekordumsätze bei SpielsachenCorona verhilft Barbie zum Comeback
Sie vermitteln ein unrealistisches Körperideal und sind doch gefragt. Nicht nur im Kinderzimmer, auch als Sammlerstück ist die Plastikpuppe angesagt.
Mit ihren superlangen Beinen, der Wespentaille und den überdimensional grossen blauen Augen vermittelt sie jungen Mädchen ein falsches Körperideal, das unmöglich zu erreichen ist: Wäre Barbie ein Mensch, sie wäre nicht nur magersüchtig, sondern gar nicht erst überlebensfähig. Das ergab eine amerikanische Studie, die sich vor einigen Jahren mit den Proportionen der Plastikpuppe befasste. Ihr langer Hals wäre zu dünn, um ihren Kopf zu heben, der Bauch zu schmal, um lebenswichtigen Organen Platz zu geben, und die Füsse wären zu klein, um ihren Körper zu tragen.
Die urtypische Barbie steht für sexistische Geschlechterklischees und fragwürdige Schönheitsideale – sie ist die sinnbildliche Antithese zum positiven Körpergefühl, das jungen Mädchen vermittelt werden soll. Zwar stellt der Barbie-Produzent, der amerikanische Spielwarenkonzern Mattel, seit einigen Jahren ganz im Sinne von Diversität und Inklusion auch unterschiedliche Versionen der Plastikpuppe mit über 35 Hauttypen, 90 Frisuren und neun unterschiedlichen Figuren her, die auch geschlechterneutral sind, Hidschab tragen oder im Rollstuhl sitzen. Doch das Image der Kultpuppe, die 2019 ihren 60. Geburtstag feierte, bleibt hängen.
Gewinn dank Barbie
Dennoch erlebt Barbie derzeit ein Comeback. Während Corona verzeichnet Hersteller Mattel einen regelrechten Barbie-Boom: Der Umsatz, den der Spielwarenhersteller allein mit Barbie-Puppen erwirtschaftete, stieg zwischen Juni und September um 29 Prozent. Die Puppenblondine beschert Mattel mittlerweile mehr als ein Viertel der Einnahmen.
Neben Barbie vertreibt Mattel unter anderem die Spielzeugautos «Hot Wheels» oder «Fisher-Price»-Produkte. Zum Jahresende betrug der Gesamtumsatz 4,6 Milliarden Dollar und damit 2 Prozent mehr als im Vorjahr. Damit ist der Abwärtstrend gebremst, denn seit 2013 verzeichnete Mattel sinkende Umsätze.
Der Gewinn schafft es 2020 erstmals seit drei Jahren wieder aus der roten Zone.
Auch in der Schweiz war Barbie während Corona ein beliebter Begleiter im Kinderzimmer. Lockdown, Homeoffice sowie Homeschooling trugen ihren Teil zur gestiegenen Nachfrage bei. Beim Onlinehändler Digitec Galaxus beispielsweise stiegen die Barbie-Verkäufe markant. Gegenüber dem Vorjahr hätten sie sich mehr als verdoppelt, heisst es auf Anfrage bei der Migros-Tochter. Und auch beim Warenhaus Manor war die Nachfrage nach Barbie-Spielzeug vergangenes Jahr «sehr ausgeprägt und übertraf selbst das starke Wachstum im Spielwarenbereich um 20 Prozentpunkte», sagt ein Sprecher.
«Wir sind weit davon entfernt, dass kurvige oder ungewöhnliche Körperformen Mainstream werden.»
Dass Eltern ihren Kindern während der Pandemie wieder mehr Barbie-Puppen kauften, sieht Christa Binswanger kritisch. Die Professorin für Gender und Diversity an der Universität St. Gallen rät zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit der Puppe. Dass diese mittlerweile auch mit verschiedenen Figuren und Hautfarben hergestellt würden, sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, doch «wir sind weit davon entfernt, dass kurvige oder ungewöhnliche Körperformen Mainstream werden», sagt sie.
Auch wenn der aktuelle Trend zu einem selbstbestimmten, positiven Körpergefühl hin gehe, würden die meisten Medien immer noch ein anderes Bild von erwünschter Weiblichkeit transportieren: «Wer beispielsweise in Schönheitswettbewerben gewinnen will, ist mit wenigen Ausnahmen schlank, makellos und weiss», sagt die Gender-Forscherin. Selbstverständlich könne man mit der Puppe spielen, sie könne junge Mädchen gar im Rollenspiel zu mehr Selbstbewusstsein verhelfen. «Aber warum muss sie dafür so stark stilisiert sein? So verstärkt sie die Norm, dass erfolgreiche Frauen blond, dünn und weiss sein sollen», sagt Binswanger.
Barbie als Geldanlage
Dieser Kritik an Barbie ist sich Beate Rau bewusst. In ihrem Geschäft «Think Pink» in Kreuzlingen bietet sie deshalb unter anderem auch Puppen mit Pigmentstörungen oder Beinprothesen an. Ihre Kundinnen und Kunden sind allerdings deutlich älter als die gewünschte Zielgruppe vieler Spielwarenhändler: Denn nicht nur im Kinderzimmer, auch als Sammlerstück ist Barbie angesagt. «Wir verbringen mehr Zeit zu Hause und investieren mehr in unsere Hobbys», sagt Rau. Seit 10 Jahren sammelt sie bereits Barbie-Puppen, besitzt um die 2000 Stück.
In ihrem Geschäft dreht sich alles um die Puppe mit der blonden Mähne. Rau verkauft an Frauen wie Männer, nimmt Bestellungen auf oder hilft Sammlern beim Verkauf ihrer Puppen. Denn Barbie-Puppen eignen sich nicht nur zum Spielen, sondern auch als Geldanlage. «Je nach Modell und Auflage kann eine Barbie aus den 80er-Jahren, die damals um die 40 Franken kostete, heute zwischen 600 und 1000 Franken wert sein», sagt Rau. Den Wert ihrer Sammlung schätzt sie auf rund 150’000 Franken. Leben kann sie von ihrer Leidenschaft allerdings nicht, Hauptberuflich ist Rau Laborantin.
Mit ihrer Passion ist sie nicht allein, regelmässig reiste sie vor Corona in die USA, nach Italien oder Frankreich an Barbie-Conventions. Auch in der Schweiz gebe es Sammler, sagt sie. Wie gross die Barbie-Gemeinschaft allerdings ist, könne sie nur ahnen. An einem ersten Treffen unter Sammlerinnen und Sammlern vor zwei Jahren seien an die 40 Personen gekommen, doch mit Sicherheit gebe es noch mehr. Die Nachfrage nach den langbeinigen Puppen sei auch in ihrem Geschäft gestiegen: «Als ich nach dem Lockdown meinen Laden wieder öffnen konnte», sagt sie, «kamen die Kundinnen aus dem Aargau, aus Zürich und Basel.»
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