Interview mit Baumexperten«Im Winter schlafen Bäume nur mit einem Auge»
Ernst Zürcher – Forstingenieur und Bestsellerautor – erklärt, wie sich Bäume selbst in den kalten Monaten austauschen, wie sie sich helfen und nach dem Wintermond ausrichten.

Herr Zürcher, schlafen die Bäume im Winter?
Ich würde eher sagen, sie tun nur so. Vor allem Laubbäume legen den ganzen Winter über eine Ruhepause ein. Sie hören auf zu wachsen, verlieren ihre Blätter, um in die Vegetationsruhe zu gehen. Sie bilden kein Holz mehr, wie im Frühjahr oder im Sommer. Durch die Fotosynthese haben sie Reserven angelegt, um der Kälte des Winters zu widerstehen. Sie haben Stärke gebildet, die sie in Zucker umwandeln können. Das wirkt wie eine Art Frostschutzmittel. In der Mitte des Baumes besteht das Holz aus keiner lebenden Zelle mehr. Es übersteht die Kälte problemlos. Aber am Rande, also im Splintholz und in der Rinde, ist dieses Frostschutzmittel lebenswichtig.
Das ist aber schon eine Art Winterschlaf?
Ja, aber nur auf einem Auge. Denn nur der sichtbare Baum ruht. In der Erde wachsen die Wurzeln auch unter fünf Grad weiter. Im Winter ist der Boden nur an der Oberfläche gefroren. In der Tiefe bleibt er wärmer. Das Wurzelsystem bleibt aktiv. Wenn Sie einen Baum im Herbst pflanzen, wird er vielleicht keine Blätter mehr haben, aber Sie geben ihm den ganzen Winter Zeit, um Wurzeln zu schlagen. Der Start im Frühjahr wird dann stärker sein.
In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie die Bäume miteinander kommunizieren. «Sprechen» sie auch im Winter?
Ja, sie tauschen sich konstant aus. Unter dem Mikroskop kann man das sogar beobachten. Es geschieht über die Wurzeln und über Pilze, die mit mehreren Bäumen in Verbindung stehen.
Wozu geschieht das?
Wenn eine Fichte zum Beispiel Reserven angelegt hat, kann sie diese mit einer benachbarten Fichte teilen. Zwei Weisstannen können sich über ihre Wurzeln zusammenschweissen. Wenn dann eine von ihnen gefällt wird, dann stirbt der Baumstumpf zuweilen nicht ab, weil er von seinem Nachbarn weiter mit Nährstoffen versorgt wird. Das kostet den Nachbarbaum zwar ein paar Nährstoffe, aber dafür wird er reichlich belohnt.
Wie?
Der Baum, den man nicht fällte, wird nun plötzlich von zwei ganzen Wurzelsystemen ernährt. Für den Überlebenden bedeutet das einen Quantensprung. Er wird erblühen, denn der unterirdische Teil des gefällten Nachbars arbeitet nun für ihn.
Die Bäume arbeiten also sogar über den Tod hinaus zusammen?
Ja. Und das gilt nicht nur zwischen Bäumen derselben Art. Auch ein Pilz kann mehrere Arten kolonisieren. Nehmen Sie zum Beispiel den Fliegenpilz. Er verbindet sich mit der Birke ebenso wie mit der Waldkiefer. Dank einem Pilz kann sich also sogar ein Nadelbaum mit einem Laubbaum austauschen. Deshalb sollte man diese beiden Arten in einem Wald mischen. Doch dieser Austausch ist nicht das Einzige, was im Winter passiert. Es gibt noch eine weitere Aktivität, die mich fasziniert.
Nämlich?
Es gibt auch einen Einfluss des Mondes auf die Bäume, der eben vor allem im Winter wichtig ist. Ich habe mehrere Jahre lang versucht, herauszufinden, ob es einen Zusammenhang zwischen der Laufbahn unseres Trabanten und dem Leben der Bäume gibt.
Und?
Ähnlich wie in einem menschlichen Gehirn kann man auch bei Bäumen eine elektrische Aktivität messen. Studien im Ausland haben bereits gezeigt, dass die Bäume dabei zwischen Tag und Nacht unterschiedliche elektrische Potenziale aufweisen. Das wollte ich bei uns überprüfen. Ich brachte also Elektroden an einem Baum vor meinem Haus an und mass die Werte morgens und abends an. Schwankungen waren immer feststellbar.
Entsprechend den Mondzyklen?
Mein Eindruck war, dass die Veränderungen den Mondzyklen folgen. Also gab ich eine grössere Beobachtungsstudie im Rahmen einer Doktorarbeit in Auftrag. Der Doktorand führte Millionen von Messungen durch, und zwar alle zwei Minuten, an zwei bestimmten Bäumen. Auch diese Messungen bestätigten, dass es so etwas wie bioelektrische «Gezeiten» gibt.
Und was hat das mit dem Winter zu tun?
Bei vollem Wachstum, also im Sommer, beträgt die Periode der elektrischen Schwankungen 24 Stunden, was dem Rhythmus der Sonne entspricht. Im Winter, wenn die Dunkelheit vorherrscht, verschiebt sich das aber auf 25 Stunden, und das entspricht eben dem Mondrhythmus. Übrigens: Wenn man Bäume in einer gleichbleibenden, aber dunklen Umgebung aufstellt, stellt man fest, dass diese von sich aus auf eine Frequenz von 25 Stunden, also auf den Mondrhythmus, umstellen.
Bemerkt man das derzeit im Wald?
Wenn ich nachts im Winter durch den Wald gehe, dann spüre ich diese Verbindung. Der Wald lebt und pulsiert selbst im tiefsten Winter und mitten in der Nacht.
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