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Kernenergie-Comeback in den Niederlanden
Atomkraft soll Tulpen zum Blühen bringen

Strom fürs Wachstum: Tulpen in einem Gewächshaus in den Niederlanden.  
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Im Land der Windmühlen sollen bald zwei neue Atomkraftwerke stehen. So hat es zumindest die neue Regierung unter Ministerpräsident Mark Rutte in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Die Niederlande wechseln damit in den Club der EU-Staaten mit Frankreich an der Spitze, die im Kampf gegen den Klimawandel auch auf Nuklearenergie setzen wollen.

Der Blick nach Den Haag lohnt sich aus Schweizer Perspektive, weil die Niederlande in Europa oft Trendsetter sind. Umso mehr, als die Parteiführung der FDP auch in der Schweiz das Verbot neuer AKW aufheben und am 12. Februar die Basis über diesen Kurswechsel abstimmen lassen will.

Wie ist es in den Niederlanden zu dieser Weichenstellung gekommen, und wie realistisch sind die AKW-Pläne? Die rechtsliberale VVD von Ministerpräsident Mark Rutte drängt schon länger auf ein Comeback der Atomkraft und konnte nun auch zwei bisher eher skeptische Koalitionspartner überzeugen. Es habe zum Glück keine «ideologische Blockade» gegeben, sagt VVD-Parlamentarier Silvio Erkens.

Eine Rolle spielt dabei, dass die Niederlande dringend Ersatz brauchen für das Gas, das bisher reichlich aus eigenen Quellen kam. Es diente dazu, die berühmten Gewächshäuser für Gemüse und Tulpen zu beheizen.

Fünf Milliarden Euro reserviert

Die Regierung habe fünf Milliarden Euro reserviert, um die neuen Projekte bis 2030 anzustossen, sagt Silvio Erkens. Die Niederlande hatten bisher nur zwei Atomkraftwerke, wovon ein kleiner Block in Dodewaard bereits 1997 abgeschaltet wurde. Die Laufzeit des einzigen verbleibenden Reaktorblocks bei Borssele in der Provinz Zeeland wurde zuletzt bis 2034 verlängert.

Die neue Regierung in Den Haag will neben dem einzigen bestehenden AKW in Borssele zwei weitere Reaktorblöcke hinstellen.  

Regierungschef Mark Rutte hat im Wahlkampf verschiedene Orte als mögliche Standorte für die neuen Werke erwähnt, worauf es aus den angesprochenen Regionen klare Absagen gegeben hat. Als einziger möglicher Bauplatz gilt deshalb nur ein Standort neben dem bestehenden AKW.

Die Koalition sei sich bewusst, dass der Bau ohne öffentliche Unterstützung nicht möglich sein werde, so Silvio Erkens. Der Parlamentarier der Rutte-Partei rechnet damit, dass der öffentliche Beitrag rund 25 Prozent der Kosten für den Bau von zwei Reaktorblöcken decken könnte. Die Regierung setzt darauf, dass der private Sektor den Rest beisteuert.

Klar, auch weitere Windparks in der Nordsee seien geplant. «Wir werden nicht alles Geld auf ein Pferd setzen», so Silvio Erkens. Bei einem höheren Anteil erneuerbarer Energien würden die Kosten für Infrastruktur und Speicherkapazitäten aber exponentiell steigen, sagt der Abgeordnete. Atomenergie sei gut, um die Grundversorgung zu sichern, wenn zum Beispiel beim Wind gerade Flaute sei.

Gas geht zur Neige

Viele Jahre waren die Niederlande beim Gas autark und Netto-Exporteur, dank der Vorkommen in der Nordsee und bei Groningen, lange Zeit eines der grössten Gasfelder weltweit. In der Nordsee gehen die Reserven aber langsam zu Ende, und bei Groningen würde die Regierung in Den Haag die Förderung gerne möglichst rasch zurückfahren. In den letzten Jahren ist es dort zu kleineren Erdbeben und grösseren Schäden an mehr als 10’000 Gebäuden gekommen.

Die Niederlande bräuchten spätestens 2040 eine Alternative zu den Gaskraftwerken, sagt Pieter Boot vom staatlichen Planbüro für Umweltfragen (PBL). Die offene Frage sei, wie schnell die Elektrifizierung der noch stark vom Gas abhängigen Industrie und der Landwirtschaft vor sich gehe. Atomkraftwerke seien überhaupt nur sinnvoll, wenn der Bedarf an Strom erst nach 2030 stark ansteige, meint Pieter Boot. Nur dann wäre ein AKW auch rechtzeitig operationell. Wenn der Strombedarf langsam und kontinuierlich zunehme, reiche es vielleicht, auf weitere Windparks zu setzen. Vorausgesetzt, dass das Problem der Interkonnektoren und der Speicherkapazitäten gelöst sei.

Als Hindernis bei der Realisierung von Atomkraftwerken kommt hinzu, dass den Niederlanden das Know-how fehlt. Die Erfahrungen liegen 50 Jahre zurück. Ob die Niederlande je neue Atomkraftwerke bauen, hängt womöglich auch von der Entwicklung in Frankreich ab.

Sollte Frankreich in den nächsten Jahren wie angekündigt sechs neue Blöcke bauen, werde es einfacher sein, zusätzlich ein oder zwei niederländische Reaktoren zu erstellen, meint Pieter Boot. Sonst könnte die Renaissance der Atomkraft für die Niederlande nicht nur teuer, sondern auch risikoreich werden.

Oder doch nur Windkraft?

Der Niederländer Bas Eickhout ist EU-Parlamentarier der grünen Partei GroenLinks und sieht die Pläne kritisch: Die rechtsliberale VVD habe im Wahlkampf ein Alleinstellungsmerkmal gesucht und in der Atomkraft gefunden. Als Abgrenzung zu den starken rechtspopulistischen Kräften, die den Klimawandel leugnen und den Parteien links der Mitte, die im Kampf gegen die Erderwärmung auf erneuerbare Energie setzen.

Atomkraftgegner in den Niederlanden sehen die Zukunft in zusätzlichen Windparks in der Nordsee. 

Bas Eickhout bezweifelt, dass die Reaktoren auf absehbare Zeit gebaut werden. Er rechnet damit, dass die Koalition in Den Haag viele Studien zum Thema in Auftrag geben wird. Wegen der rekordlangen Dauer der Regierungsbildung bleiben Ministerpräsident Mark Rutte ohnehin nicht viel mehr als drei Jahre bis zur nächsten Wahl. Auch im besten Fall bräuchte es aber 15 bis 20 Jahre, um diese beiden Atomkraftwerke zu bauen. Bas Eickhout bezweifelt auch, dass private Investoren grosses Interesse zeigen werden.

Der Grünen-Politiker ist hingegen überzeugt, dass die Niederlande 100 Prozent auf erneuerbare Energien setzen könnten. Das Potenzial für genügend Offshore-Windanlagen in der Nordsee sei vorhanden, eine Verdoppelung der Kapazitäten möglich. Bas Eickhout befürchtet aber, dass die erneute Diskussion um die Atomkraft vom nötigen Ausbau der erneuerbaren Energien ablenkt.