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Grünes Label für Atomkraft
Empörung in Wien und Berlin über Atomstrom-Pläne der EU

Das französische Kernkraftwerk Cattenom nahe der Grenze zu Deutschland: Über den Status der Atomkraft herrscht im EU-Raum grosse Uneinigkeit.
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Die EU-Kommission hat mit ihrem Vorstoss zur Einstufung von Atomkraft als grüne Energiequelle für Empörung in Deutschland und Österreich gesorgt. Berliner und Wiener Regierungsvertreter äusserten am Samstag scharfe Kritik an einem Verordnungsentwurf zur sogenannten Taxonomie, den die Kommission zuvor an die Regierungen der 27 EU-Staaten geschickt hatte. Österreich drohte gar mit einer Klage. Teil des Streits ist auch die Rolle von Erdgas in der künftigen Energieproduktion.

Die nächste EU-Verordnung zur Taxonomie wird seit Monaten mit Spannung erwartet. Die Taxonomie ist eine Art Klassifizierung nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten und kommt einer Einstufung als förderwürdig und einer Empfehlung an Investoren gleich. Die Bewertung von Gas- und Atomenergie ist dabei eine der heikelsten Fragen, deren Beantwortung Brüssel wiederholt aufgeschoben hatte.

«Es muss anerkannt werden, dass der fossile Gas- und der Kernenergiesektor zur Dekarbonisierung der Wirtschaft der Union beitragen können», heisst es nun in dem Brüsseler Entwurfspapier. Konkret schlägt die Kommission vor, dass bis 2045 erteilte Genehmigungen für neue Atomkraftwerke unter die Taxonomieverordnung fallen können. Auch bis 2040 genehmigte Arbeiten an existierenden Reaktoren zur Verlängerung der Betriebsdauer sind eingeschlossen.

Demnach soll der «Bau und sichere Betrieb neuer Kernkraftwerke zur Strom- oder Wärmeerzeugung, auch zur Wasserstofferzeugung, unter Einsatz der besten verfügbaren Technologien» als nachhaltig und klimafreundlich gelten. Weitere Vorgaben sind etwa für den langfristigen Umgang mit radioaktiven Abfällen vorgesehen.

Eine «Nacht- und Nebelaktion»

Für neue Gasinfrastruktur sollen laut Kommission bis 2030 genehmigte Projekte für das grüne Label infrage kommen. Die Regeln sind hier allerdings strenger, etwa sollen die fraglichen neuen Anlagen stets eine alte, CO2-intensive Anlage ersetzen. Auch soll nachgewiesen werden müssen, dass die geplante Energieproduktion nicht auch mit einer erneuerbaren Energiequelle geleistet werden könnte.

Die Kommission leitete mit ihrem Entwurf einen Konsultationsprozess mit den Mitgliedstaaten ein und bekam aus Deutschland und Österreich umgehend negative Rückmeldungen. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) bezeichnete die Pläne als «absolut falsch». Ihre österreichische Amtskollegin Leonore Gewessler (Grüne) kritisierte eine «Nacht- und Nebelaktion» der Kommission für das «Greenwashing von Atomkraft und fossilem Gas». Österreich werde «nicht davor zurückschrecken, rechtlich gegen die geplante Taxonomieverordnung vorzugehen».

Vor allem Frankreich dringt mit Nachdruck auf eine Einstufung der Atomkraft als nachhaltig. Auch Polen und weitere östliche Länder, die mit Atomstrom ihre Klimabilanz verbessern wollen, sind dafür. In Italien wird wieder lautstark über eine Rückkehr zum Atomkraft diskutiert. Entschieden dagegen war bislang nur eine Minderheit der EU-Staaten.

Die zumindest eingeschränkt positive Bewertung von Erdgas im Kommissionspapier wurde als Entgegenkommen gegenüber den Atomkraft-Gegnern aufgefasst. Deutschland und auch Österreich sind stark von russischem Erdgas abhängig und wollen dessen Nutzung als Übergangstechnologie hin zur Klimaneutralität weiter fördern.

Konsultationsprozess von zwei Wochen

Die neue Bundesregierung hat hier allerdings keine geschlossene Linie. Während Kanzler Olaf Scholz am Kurs der Vorgängerregierung festhalten will, nannte der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck die Pläne der EU-Kommission für den Umgang mit Erdgas «fraglich». Immerhin mache die Kommission aber «sehr klar, dass Gas aus fossilen Brennstoffen nur ein Übergang ist und es durch grünen Wasserstoff ersetzt werden muss», erklärte er.

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft begrüsste die Erdgas-Pläne der Kommission: «Investitionen in wasserstofffähige Gaskraftwerke sind zwingend notwendig für den Übergang in eine vollständig klimaneutrale Energieversorgung.» Ähnlich äusserte sich der Verband der Chemischen Industrie.

Der nun begonnene Konsultationsprozess mit den EU-Mitgliedstaaten soll rund zwei Wochen dauern. Mitte Januar will die Kommission dann den finalen Vorschlag vorstellen, gegen den der Rat der Mitgliedstaaten und das EU-Parlament jeweils ein Veto einlegen können.

Um die Kommissionspläne aufzuhalten, bräuchte es allerdings eine qualifizierte Mehrheit von 20 der 27 Mitgliedstaaten, die zudem für 65 Prozent der EU-Einwohner stehen. Diese ist derzeit nicht in Sicht. Auch im EU-Parlament, wo eine einfache Mehrheit für ein Veto reichen würde, zeichnet sich dies bislang nicht ab.

AFP/SDA/fal