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Energie- und Klimafrage in Europa
EU will Gas- und Atomkraft als grün einstufen

Daran müssten sich grüne Kreise wohl erst noch gewöhnen: Dass Atomkraftwerke als «grüne» Energiequellen eingestuft werden könnten.
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Die EU-Kommission will Investitionen in Atomkraft und Erdgas als «grün» oder «nachhaltig» anerkennen. Das geht aus einem Papier hervor, das am späten Abend des 31. Dezembers an die Mitgliedsstaaten verschickt wurde. Demnach sollen neben emissionsfreien Technologien wie Wind und Solar auch Atom und Gas in die sogenannte Taxonomie aufgenommen werden, die den Finanzmärkten eine Orientierung geben soll, welche Investitionen klima- und umweltfreundlich sind. Mehrere Quellen bestätigen den Vorgang, zuerst berichtete die «Financial Times» darüber.

Damit deutet sich vorerst eine Entscheidung an in einem hoch emotional geführten Ringen. Vor allem die Grünen laufen Sturm dagegen, Kernkraft und Erdgas als grün zu bezeichnen. Ihr klimapolitischer Sprecher im EU-Parlament Michael Bloss kommentiert: «Kommissionschefin Ursula von der Leyen zerstört mit diesem Vorschlag die Glaubwürdigkeit des europäischen Ökosiegels für Finanzinvestitionen.» Es sei, als würde man ein Ei aus Käfighaltung als bio abstempeln. Bloss spricht von einem «Etikettenschwindel sondergleichen».

Zuletzt verdichteten sich die Zeichen für einen solchen Vorschlag. Zu stark waren der Druck vieler Mitgliedsstaaten und wohl auch der Einfluss von Interessengruppen, die den Übergang raus aus fossilen Energiequellen entweder mit Kernkraft oder mit Gas als Übergangstechnologie gestalten wollen. Der Entwurf für den Rechtstext geht nun an die Mitgliedsstaaten und das Parlament in Strassburg. Für die Gegner dürfte es aber kaum möglich sein, diesen Vorschlag noch zu stoppen.



Für die Atomkraft setzte sich eine Gruppe von Staaten unter der Führung Frankreichs ein. Präsident Emmanuel Macron kündigte zuletzt an, massiv in neue Atommeiler investieren zu wollen. Will Frankreich weiterhin einen Grossteil seines Stroms mit Atomkraft abdecken, ist das auch nötig, weil die aktuelle Flotte von 56 Kraftwerken immer älter wird. Stilllegungen drohen. Doch neue Kraftwerke zu bauen, kostet viel Geld, wie der aktuelle Neubau in Flamanville an der Atlantikküste zeigt. Die Kosten schnellten in die Höhe, die Fertigstellung verzögerte sich.

Nun sollen Investitionen in neue Kraftwerke bis 2045 in die Taxonomie aufgenommen werden. Zudem auch die Laufzeitverlängerung aktueller Atommeiler. Das könnte private Gelder mobilisieren. Dafür muss ein Land einen konkreten Plan für den Betrieb eines Endlagers für hoch radioaktive Abfälle ab spätestens 2050 vorgelegen.

Auf der anderen Seite steigt Deutschland gerade aus der Atomkraft aus, zum Jahreswechsel wurden die Meiler in Brokdorf (Schleswig-Holstein), Grohnde (Niedersachsen) und Gundremmingen (Bayern) abgeschaltet. Damit laufen in Deutschland nur noch drei Meiler, die Ende 2022 abgedreht werden.

Deutschland, Österreich, Luxemburg, Portugal und Dänemark votierten offen gegen eine Aufnahme der Atomkraft. Das reicht allerdings in Brüssel nicht für eine Mehrheit. Deshalb wurde offenbar ein Kompromiss gesucht, und der heisst: Auch die Deutschen sollen ihre finanzielle Unterstützung bekommen. Im nördlichen Nachbarland versucht die Politik, neben einem Ausbau von Wind und Solar über den Einsatz von Gaskraftwerken klimaneutral zu werden. Zuerst mit Erdgas, dann aber sukzessive mit emissionsärmeren Gasen wie Wasserstoff. So ist auch der Entwurf der EU-Taxonomie angelegt.

Erdgas wird als Übergangstechnologie bezeichnet. Es sollen nur Anlagen unterstützt werden, die ehrgeizige Grenzwerte einhalten und bis Ende 2030 genehmigt sind. Diese sollen Kraftwerke mit höheren Treibhausgasemissionen ersetzen. Zudem sollen sie in der Lage sein, ihren Betrieb auf CO₂-arme Gase umzustellen, wie etwa Wasserstoff. Das soll bis Ende 2035 umgesetzt sein. Zudem gelten Investitionen in Gaskraftwerke nur in jenen Mitgliedsstaaten als «grün», die sich dazu verpflichten, aus der Kohleverbrennung auszusteigen.

Der Vorschlag der EU-Kommission im Hinblick auf Gas richtet sich auffällig nach den Plänen der neuen deutschen Regierung.

Während einer Pressekonferenz zusammen mit Frankreichs Präsident Macron Mitte Dezember hatte der neue Kanzler, Olaf Scholz, beschwichtigt: Die Frage, ob Atomkraft in die EU-Taxonomie aufgenommen werde, sei «völlig überbewertet». Am Ende entschieden die einzelnen Länder, welchen Weg sie gehen wollten im Hinblick auf ihren Pfad für eine emissionsfreie Zukunft, sagte Scholz.

Fehlen nun Investitionen in Wind und Solar?

Die EU-Kommission unterstreicht die Bedeutung der Transformation des Energiesektors. Dieser sei für etwa 75 Prozent der Treibhausgase in der Union verantwortlich. Mit der Taxonomie versucht die Europäische Union als erster, grosser Wirtschaftsverbund zu entscheiden, was nachhaltige Investitionen sind. Damit soll das sogenannte Greenwashing von schädlichen Aktivitäten verhindert werden.

Doch genau diesen Vorwurf äussern nun Umweltorganisationen. «Atomkraft und Erdgas als nachhaltig zu kennzeichnen, entzieht der Taxonomie jede Glaubwürdigkeit», heisst es bei der Deutschen Umwelthilfe. Mit seiner Zustimmung riskiere Olaf Scholz die klimapolitische Reputation der Bundesregierung.

Erdgas emittiert zwar weniger Treibhausgase als Kohle, treibt aber dennoch den Klimawandel voran. Zudem tritt bei der Gewinnung und dem Transport häufig Methan aus, ein zwar nicht so langlebiges Klimagas wie CO₂, dafür aber wesentlich stärker wirkend. Atomkraft steht vor allem wegen des Abbaus von Uran in der Kritik oder wegen des Restrisikos eines Super-GAUs wie in Tschernobyl oder Fukushima. Dazu ist die Frage der Endlagerung hoch radioaktiver Brennelemente nicht geklärt, ausser Finnland ist in keinem Land ein Endlager in Bau. Einige Brennstäbe müssen mehrere Zehntausend Jahre sicher verstaut werden. Zudem befürchten Kritiker, dass mit einer solchen Entscheidung der EU weniger Geld in saubere Technologien wie Windkraft oder Solar fliessen wird.