Konflikt im Südkaukasus eskaliertDiktator Alijew will Berg-Karabach in die Knie zwingen
Aserbaidschan setzt wie befürchtet Militärgewalt ein, um die abtrünnige Region unter seine Kontrolle zu bringen. Armenien wirft dem Regime in Baku eine Politik der «ethnischen Säuberung» vor.
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Armenien hatte seit Wochen auf die Bedrohung durch das Nachbarland hingewiesen: Regierungschef Nikol Paschinjan warf Aserbaidschan vor, Truppen entlang der gemeinsamen Grenzen und in der Nähe der Region Berg-Karabach zu konzentrieren. Das aserbaidschanische Aussenministerium wies die Vorwürfe als «politische Manipulation» zurück. Nun, Tatsache ist, dass Aserbaidschans Diktator Ilham Alijew auf militärische Gewalt setzt.
Dienstagmittag hat die aserbaidschanische Armee begonnen, Stellungen von armenischen Truppen in Berg-Karabach anzugreifen. Armenische Vertreter erklärten, dass die Regionalhauptstadt Stepanakert und mehrere Dörfer unter heftigem Beschuss lägen. Im Einsatz sind auch Bodentruppen der Aserbaidschaner. Am Nachmittag kursierten erste Berichte über tote und verletzte Zivilisten in der seit drei Jahrzehnten umkämpften Region.
«Anti-Terroreinsatz», heisst es aus Baku
Das Verteidigungsministerium in Baku sprach in einer Mitteilung von «Anti-Terroreinsätzen» gegen armenische Kräfte. Zudem begründete es den Militäreinsatz mit angeblichen Verstössen gegen die Waffenruhe und der «Wiederherstellung der verfassungsmässigen Ordnung». Vor dem Start der Militäraktion sollen «von armenischen Sabotagegruppen gelegte Minen» sechs aserbaidschanische Soldaten und Zivilisten getötet haben.
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Berg-Karabach hatte sich 1991 unabhängig erklärt und nennt sich seit 2017 Republik Arzach. Völkerrechtlich gehört Berg-Karabach zu Aserbaidschan, das zuletzt immer deutlicher machte, dass die Karabach-Armenier die Herrschaft Bakus zu akzeptieren haben. Armenien und Aserbaidschan haben bisher zwei Kriege um Berg-Karabach geführt: 1992 bis 1994 und 2020.
Armeniens Regierung äusserte am Dienstagnachmittag scharfe Kritik am laufenden Angriff des Nachbarstaates Aserbaidschan und warf diesem eine Politik der «ethnischen Säuberung» vor. Sie rief den UNO-Sicherheitsrat und Russland auf, auf eine Beendigung des Militäreinsatzes hinzuwirken.
Militärzeichen wie das russische Z
Die militärische Aggression Aserbaidschans hatte sich in den letzten zwei, drei Wochen abgezeichnet. In den sozialen Medien kursierten Aufnahmen aserbaidschanischer Militärkonvois. An den Fahrzeugen waren Militär- und Propagandaabzeichen zu sehen, etwa der umgedrehte Buchstabe A, was auch ein V mit einem Querbalken sein könnte. Jedenfalls erinnerte das an das Z der russischen Truppen im Krieg gegen die Ukraine. Zudem berichteten Medien über zahlreiche Frachtflüge aus der Türkei und Israel nach Aserbaidschan – vermutet wurden Waffenlieferungen der beiden Verbündeten Aserbaidschans.
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«Was wir erleben, ist eine Politik des maximalen Drucks Aserbaidschans», sagte Südkaukasus-Experte Marcel Röthig vor einigen Tagen auf Anfrage unserer Zeitung, «sodass Armenien bis Ende des Jahres auf die Maximalforderungen aus Baku eingeht.» Röthig, Leiter des Regionalbüros Südkaukasus der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), sah in den Spannungen der letzten Wochen Ähnlichkeiten zur Situation vor dem Südkaukasus-Krieg 2020.
Vor drei Jahren hatte Aserbaidschan grössere Gebiete rund um Berg-Karabach zurückerobert und die Enklave von Armenien abgeschnitten. Damals zeigte Aserbaidschan laut Röthig, dass «man mit Gewalt einen Status quo verändern kann, ohne dass das Ausland darauf nennenswert reagiert». Daher sei es nicht auszuschliessen, dass Aserbaidschan bald noch einmal Militärgewalt gegenüber den Armeniern anwenden werde – und das geschieht nun tatsächlich. Vor dem Hintergrund, dass die armenische Seite sich von der letzten Niederlage bisher kaum erholt hat und dass sie sich auf Russland als Schutzmacht nicht mehr verlassen kann.
Die Russen waren nicht gewillt oder nicht in der Lage, das von ihnen Ende 2020 vermittelte Waffenstillstandsabkommen zwischen Aserbaidschan und Armenien durchzusetzen. Das zeigte sich nicht nur an den wiederholten Feuergefechten mit Toten und weiteren aserbaidschanischen Eroberungen in den Grenzgebieten, sondern auch an der seit neun Monaten andauernden aserbaidschanischen Blockade des Latschin-Korridors, der noch einzigen Strasse, die Armenien und Berg-Karabach verbindet.
Die rund 120’000 Karabach-Armenier, darunter 30’000 Kinder, befinden sich in einer humanitären Notlage, weil es an Lebensmitteln und Medikamenten mangelt. Die Armenier werfen den Aserbaidschanern Völkermord vor.
Zuletzt zeichnete sich immerhin eine Entspannung bei der Versorgungslage ab. Nach längerem politischen und diplomatischen Ringen erhielt das Internationale Rote Kreuz die Erlaubnis, Hilfsgüter nach Berg-Karabach zu liefern – sowohl über die Strasse von Agdam, das zu Aserbaidschan gehört, als auch über den Latschin-Korridor. Seit dem heutigen Militärangriff ist die Zukunft der Bevölkerung von Berg-Karabach ungewisser denn je.
«Es gibt offenbar schon einen iranischen Truppenaufmarsch an der Grenze zu Armenien und Aserbaidschan.»
Im Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien geht es möglicherweise nicht nur um Berg-Karabach. Denn Truppenansammlungen gibt es auch in der aserbaidschanischen Enklave Nachitschewan, wie Medien berichten.
«Die Gefahr ist, dass Aserbaidschan gewillt sein könnte, einen Landkorridor zu seiner Exklave zu nehmen», sagt FES-Experte Röthig. Damit gäbe es eine Landverbindung zwischen Aserbaidschan und der Türkei, die enge Verbündete sind. Der Zangezur-Korridor durch armenisches Staatsgebiet würde aber auch iranische Interessen tangieren: den Handelsweg über Armeniens Süden. Überdies unterhalten Armenien und der Iran sehr enge Beziehungen.
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«Die Frage ist, wie sich dann der Iran verhalten würde», sagt Röthig. Es gebe bereits einen engen Austausch zwischen Armenien und den iranischen Revolutionsgarden. «Der Iran hat gewarnt, dass eine Grenzverschiebung im Süden Armeniens eine rote Linie wäre», führt Röthig weiter aus. «Es gibt offenbar schon einen iranischen Truppenaufmarsch an der Grenze zu Armenien und Aserbaidschan.»
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