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Mediziner im Interview
«Zucker ist absolut nicht nötig»

«Gipfeli oder Fast Food treiben den Blutzuckerspiegel rasch in die Höhe – um ihn ebenso rasch wieder abfallen zu lassen», sagt Christian Ambrosch, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin.

Herr Ambrosch, beinahe die Hälfte der Menschen in der Schweiz ist zu dick, immer mehr leiden an Diabetes: Welche Rolle spielt dabei der Zuckerkonsum?

Es wäre sicher zu einfach, die Schuld für diese Entwicklung allein dem Zucker zu geben. Die Sache ist komplexer: Ebenso entscheidend ist, dass die meisten Menschen heute körperlich weniger aktiv sind als früher. Gleichzeitig essen sie gleich viel oder sogar mehr und vor allem häufiger. Und da kommt eben schon der Zucker ins Spiel.

Erklären Sie.

Wer sich zuckerreich ernährt, hat immer bald wieder Hunger.

Der bekannte Heisshunger?

Genau. Dabei muss es nicht einmal nur reiner Zucker sein, den man isst. Schnell verfügbare Kohlenhydrate wie Gipfeli und Brötli aus Weissmehl oder Fast Food, also zum Beispiel Pommes frites mit Ketchup und Süssgetränken, haben den gleichen Effekt: Sie treiben den Blutzuckerspiegel rasch in die Höhe – um ihn ebenso rasch wieder abfallen zu lassen. Und dann hat man schon wieder Hunger und muss wieder essen – ein Stress für den Stoffwechsel, der müde macht. Kommt hinzu, dass das ständige Snacken zu einer Gewichtszunahme führt und uns noch träger werden lässt – eine der ungünstigen Auswirkungen eines hohen Zuckerkonsums.

Welches sind die anderen?

Da Zucker sehr kalorienreich ist, besteht immer die Gefahr, dass der Energieüberschuss in Fett umgewandelt wird, und das nicht nur äusserlich sichtbar. Mit anderen Worten: Wer mit dem Zucker übertreibt, riskiert eine Fettleber. Das gilt übrigens auch für Fruchtzucker. Fructose, wie wir ihn auch nennen, ist nicht besser als normaler Zucker. Deshalb sollte man auch Fruchtsäfte nur massvoll geniessen. Schliesslich schadet Zucker ebenfalls dem Mikrobiom, indem er die schlechten Darmbakterien nährt auf Kosten der guten – was die gesamte Gesundheit beeinträchtigen kann.

Hat Zucker gar nichts Gutes?

Wenn er nicht zuerst aus der Nahrung aufgespalten werden muss – nein. Reiner Zucker ist für den Körper absolut nicht nötig.

Nicht einmal als schneller Energielieferant?

Da muss man unterscheiden: Für Leistungssportlerinnen und -sportler kann es sinnvoll sein, vor und während Wettkämpfen schnell verfügbare und konzentrierte Energie über Traubenzucker, Riegel oder Gels zuzuführen. Wir Normalverbraucher aber benötigen keinen Extrazucker. Bei uns genügt es, wenn wir unseren Energiebedarf über die normale Nahrung decken. Auch dort ist der Energielieferant Zucker enthalten – allerdings in Bausteinen, die in Ketten verknüpft sind und eben erst aufgespalten werden müssen und daher auch nicht süss schmecken. Dies führt insgesamt zu einem langsameren Blutzuckeranstieg, als wenn Zucker direkt zugeführt wird.

Welche Nahrungsmittel sind besonders geeignet für diesen erwünscht nur langsamen Blutzuckeranstieg?

Ich denke da vor allem an Vollkornprodukte, Gemüse, Hülsenfrüchte, aber auch an bestimmte Obstsorten wie Äpfel oder Beeren. Diese Lebensmittel haben zudem den Vorteil, dass sie Nahrungsfasern enthalten, somit gut sättigen und die Verdauung fördern.

Warum jubelt uns denn die Nahrungsmittelindustrie überall diesen unnötigen Zucker unter?

Lebensmittel sollen möglichst attraktiv sein, also schmecken und sich vor allem auch gut verkaufen. Denn von Natur aus mögen wir Süsses, das ist tief in unserem genetischen Programm drin. In früheren Zeiten, die immer wieder von Mangel und Hunger geprägt waren, bedeutete Süsses: Endlich gibt es wieder etwas zu futtern, also zulangen und möglichst viel Energie tanken! Heute aber, wo bei uns der schiere Überfluss herrscht, kommt uns dieses urzeitliche Verhalten in die Quere.

Wie können wir es überlisten und unseren Zuckerkonsum reduzieren?

Am erfolgversprechendsten ist es, wenn wir ihn stufenweise herunterfahren – zum Beispiel statt zwei Teelöffel Zucker nur noch einen, dann einen halben und so weiter. So können sich die Geschmacksknospen im Mund langsam umgewöhnen. Dann empfiehlt sich grundsätzlich, wieder mehr selber zu kochen und zu backen; da weiss man, was drin ist. Wer trotzdem nicht auf Fertiggerichte verzichten kann, soll zumindest immer die Zutatenliste genau anschauen: Dort ist auch der versteckte Zucker zu finden.

Wären allenfalls Lightprodukte mit Zuckeraustauschstoffen eine Alternative?

Die würde ich nicht empfehlen. Zwar kann man mit ihnen Kalorien sparen, aber das Gehirn erhält immer noch das Signal «süss», was den Hunger weiter befeuert. Man muss sich das wie eine Sucht vorstellen: Zucker sorgt dafür, dass im Gehirn das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet wird. Und wir wollen immer wieder davon haben. Lightprodukte sind also keine nachhaltige Lösung. Zudem ist nicht ganz klar, ob künstliche Süssstoffe wirklich unbedenklich sind. Zumindest auf das Mikrobiom scheinen sie einen ähnlich schädlichen Einfluss zu haben wie der echte Zucker.

Was also ist die Lösung: totaler Zuckerverzicht?

Wer das schafft – Gratulation! Verbote finde ich allerdings immer problematisch. Und in diesem Fall sind sie auch nicht nötig: Wir sollten Zucker einfach wieder als das verstehen, was er einmal war: ein Genussmittel, das es nicht jeden Tag geben muss.