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Reformen in Argentinien
Was Javier Milei mit seiner Wirtschafts­politik erreicht hat und was nicht

Argentiniens Präsident Javier Milei spricht nach Erhalt des Roepke-Preises im Kongresszentrum in Kloten, Schweiz.
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In Kürze:
  • Javier Milei wird weltweit als Vorbild für Liberale gesehen.
  • Er senkte die Inflation in Argentinien durch ein radikales Sparprogramm deutlich.
  • Argentinien verzeichnete erstmals seit 2009 wieder einen ausgeglichenen Haushalt.
  • Trotz Herausforderungen bleibt Mileis Zustimmung in der Bevölkerung hoch.

Was für eine Karriere. Bei seinem ersten Auftritt am WEF vor einem Jahr wurde Javier Milei als «El Loco» (der Verrückte) abgetan und belächelt. Heute wird er von einer wachsenden Anhängerschaft bejubelt, von Liberalen weltweit als Vorbild gepriesen und von seinen Gegnern gefürchtet. Tatsächlich sind die Resultate seines ersten Amtsjahres als argentinischer Präsident erstaunlich. 

Von der peronistischen Vorgängerregierung hatte er eine desolate Situation geerbt. Die Wirtschaft steckte in einer schweren Rezession, die Jahresinflation betrug über 200 Prozent, das Haushaltsdefizit war ausser Kontrolle geraten. 

Milei halbierte die Jahresinflation. Im Dezember 2023 hatte die Monatsinflation mit über 25 Prozent einen Höhepunkt erreicht, im Dezember 2024 lag sie bei 2,7 Prozent. 

Die persönliche Erfahrung der Hyperinflation von 1989 sei seine Motivation gewesen, Volkswirtschaft zu studieren, sagte er an seiner Rede am Freitag in Kloten. «Mein Ziel ist, dass Inflation nur noch eine schlechte Erinnerung ist.»

Der Rückgang der Inflation ist vor allem auf sein radikales Sparprogramm zurückzuführen. Nachdem das chronische Haushaltsdefizit wegen Steuergeschenken der Vorgängerregierung vor den Wahlen im Jahr 2023 noch zusätzlich angestiegen war, schloss Argentinien unter Milei das Jahr 2024 zum ersten Mal seit vielen Jahren mit einem ausgeglichenen Haushalt. «Defizite sind die Wurzel allen Übels», sagte er in Kloten. 

Argentinien überwindet die Rezession

Die Wirtschaft wuchs im dritten Quartal 2024 zum ersten Mal seit langem wieder. Die lange Rezession scheint überwunden, was auf steigende Reallöhne, eine stärkere Kreditvergabe der Banken und die positiven Auswirkungen seiner Liberalisierungsreformen zurückzuführen ist. 

Der Internationale Währungsfonds hat seine neuste Prognose im Januar stark nach oben korrigiert: Statt Nullwachstum erwartet er für 2025 neu ein Wirtschaftswachstum von 5 Prozent.

Argentinien hat im vergangenen Jahr auch einen deutlichen Exportüberschuss verzeichnet und Anfang Januar 4,3 Milliarden Dollar Schulden zurückgezahlt, um das verlorene Vertrauen in das Land wiederherzustellen. 

Obwohl seine Koalition in den beiden Parlamentskammern nur 14 beziehungsweise 10 Prozent der Sitze hält, gelang es dem Präsidenten, eine Reihe von Deregulierungen und Marktliberalisierungen zu verabschieden. 

Am Montag hat Federico Sturzenegger, Mileis Deregulierungschef mit appenzellischen Vorfahren, beispielsweise den Import und Export von Nahrungsmitteln dereguliert. Lebensmittel und Verpackungen aus Ländern mit hohen Sicherheitsstandards – zum Beispiel USA, EU, Schweiz, Japan – können neu ohne aufwendige Genehmigungsverfahren eingeführt werden. 

Eine der am stärksten regulierten Volkswirtschaften der Welt

Argentinien ist eine der am stärksten regulierten Volkswirtschaften der Welt. Auf dem  «Human Freedom Index», der die wirtschaftliche Freiheit abbildet,  stand das Land vor Mileils Amtsantritt nur auf Rang 159 von 165 Ländern.

Milei reklamiert auch Erfolge in der Armutsbekämpfung für sich. 9 Millionen seien aus der Armut gehoben worden, sagte er in Kloten. Gemäss Statistikamt hat die Armutsquote im letzten Jahr jedoch zugenommen. Wer recht hat, ist unklar, da ein grosser Teil der Bevölkerung in Selbstversorgung und Schwarzarbeit tätig ist, die von den Behörden nicht erfasst werden.

Trotz des grössten Sparprogramms in der Geschichte des Landes ist die Zustimmung zum Präsidenten aber hoch geblieben. Laut einer Umfrage im Auftrag von Bloomberg News lag sie im Dezember bei 47 Prozent, ähnlich hoch wie bei seinem Amtsantritt. 

Dass Milei trotz der schwierigen Lage weiterhin Vertrauen geniesst, liegt auch daran, dass er seinen Wählern keine schönen Versprechungen gemacht, sondern im Gegenteil eine Rosskur angekündigt hat. In diesem Sinne ist er nicht der Populist, als den ihn viele Medien titulieren. 

Er ging ganz anders vor als die Peronisten, die vor jeder Wahl Geschenke machten und noch mehr versprachen. Mit der Folge, dass sich die Staatsausgaben und die Schulden erhöhten und man die Zentralbank Geld drucken liess. Regelmässige Staatspleiten und Umschuldungen waren das Ergebnis.

Der Niedergang eines reichen Landes

Dabei galt Argentinien lange Zeit als reich. Buenos Aires war «das Paris Südamerikas», das Millionen von Europäern anzog. Bis 1947 gehörte Argentinien zu den 15 reichsten Ländern der Welt, gemessen am Bruttoinlandprodukt pro Kopf, wie die Daten des «Maddison Project» der Universität Groningen zeigen. Unter der Regierung von Juan Perón begann nach dem Zweiten Weltkrieg eine beispiellose Talfahrt nach unten. Heute steht Argentinien noch auf Rang 67 von 169 Ländern. 

«Nur ein langjähriges und systematisches Versagen der Politik, das sich über mehrere Regierungen hinweg fortsetzt, kann eine solch miserable Leistung erklären», schreiben die Ökonomen Sebastian Galiani von der Universität von Maryland und Santiago Afonso von der Universität Buenos Aires. Sie stimmen mit Milei überein, wo die Hauptprobleme liegen: die chronischen Haushaltsdefizite und die vielen von den Regierungen zugunsten von Sonderinteressen geschützten Märkte.

Das Land kann deshalb nicht einmal mehr mit seinen regionalen Nachbarn Schritt halten, die ihrerseits international schon hinterherhinken.

Milei steht deshalb trotz seiner Erfolge erst am Anfang. Viele Probleme sind ungelöst, grosse Hürden warten noch. 

Er hat versprochen, die strengen Devisen- und Kapitalverkehrskontrollen noch in diesem Jahr aufzuheben. Ausländische Unternehmen werden nicht in einem Land investieren, das die Rückführung von Dividenden fast unmöglich macht.

Milei muss sicherstellen, dass die Inflation nicht wieder abhebt. Er benötigt zudem ein neues Darlehen des IWF, dem Argentinien bereits 44 Milliarden Dollar schuldet, um die knappen Zentralbankreserven wieder aufzufüllen. Ob der IWF seinem grössten Schuldner nach mehr als 20 gescheiterten Rettungsprogrammen wieder beistehen wird, ist allerdings fraglich. 

Im Oktober sind Zwischenwahlen. Milei benötigt die Zustimmung der Bevölkerung, um seine dünne Basis im Parlament zu verbreitern und sein Reformprogramm weiterzuführen. Die Stabilisierung der Wirtschaft und die Erneuerung des Landes, die er plant, brauchen Zeit. Die Geschichte des Landes zeigt jedoch, dass Reformversuche immer frühzeitig aufgegeben wurden.

Der frühere Fussball-Goalie Milei weiss, dass auch eine fulminante erste Halbzeit den Sieg nicht garantiert. Aber er gibt sich in Kloten optimistisch: «Wunder sind möglich.»