Architektur von öffentlichen WCsStille Örtchen zum Verlieben
Was können wir von Japan lernen? Wie man Toiletten so gestaltet, dass man sich gern dort aufhält.

Angenommen, in der Schweiz würde ein Film gedreht, der in öffentlichen Toiletten einer grossen Stadt spielt. Toiletten, deren Benutzung kostenlos ist und die sich in einem Bahnhof, einem Park oder auch mitten im Zentrum befinden. In welches Genre würde sich der Film wohl später einsortieren lassen? In Horror, Krimi oder Thriller vielleicht. Maximal noch Slapstick. Auf gar keinen Fall würde daraus eine Ode an die Schönheit und die Sorgfalt im Detail.
Im neuen Film «Perfect Days» des deutschen Regisseurs Wim Wenders, der vor Weihnachten bei uns in die Kinos kommen soll, ist aber genau das der Fall. Dort spielt ein WC-Reiniger in Tokio die Hauptrolle. Dass der Film so ästhetisch ist, hat weniger mit Wim Wenders zu tun als mit Japan. Denn Japans Toiletten sind schön. Und es ist Zeit, dass die Schweiz von Japan lernt.
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Hierzulande kennt man, wenn überhaupt, vor allem die japanische Bidettoilette. Sie gleicht einem Hightech-Gerät und ist mit einer beheizbaren Klobrille ausgestattet. Vom Neigungsgrad und der Intensität des Wasserstrahls bis zur Lautstärke des Wasserrauschens, das peinliche Toilettengeräusche übertönen soll, lässt sich da allerhand einstellen. Kaum ein Japanbesucher, der keine WC-Geschichte mit nach Hause bringt, und sei es die, dass er mit den speziellen Toiletten-Pantoffeln versehentlich den Raum verlassen hat.
Im WC lässt sich sogar das Handy aufladen
Bei aller Begeisterung für japanische Gadgets, wirklich erstaunlich und vor allem nachahmenswert sind die öffentlichen Toiletten in diesem Land, und zwar überall. Denn tatsächlich ist es in Japan egal, wo man sich gerade aufhält, in der Millionenmetropole Tokio oder auf einer kleinen Insel wie Sakurajima im Süden des Landes: Überall wird man ein WC finden, wenn man eines braucht.
Und überall wird man es gern aufsuchen. Weil es sauber und gepflegt ist. Weil Toilettenpapier kein Glücksfall, sondern stets ausreichend vorhanden ist. Weil die Wasserhähne über dem Lavabo funktionieren. Weil es einen Stromanschluss gibt, wo man sein Handy aufladen kann. Und weil WCs, gerade in Metrostationen oder Bahnhöfen, nicht selten zusätzlich mit grosszügigen hellen Vorräumen ausgestattet sind, die Spiegel und Sitzgelegenheiten bieten. Frauen können sich hier schminken, Kinder und Alte kurz ausruhen. Im Trubel der Städte bieten die Räume eine Auszeit.
WCs sind Teil der öffentlichen Räume, die den Charakter einer Stadt definieren.
Öffentliche Toiletten sind in Japan Orte mit Aufenthaltsqualität. Sie sind so gebaut, dass man sich hier wohlfühlen darf, und zwar gratis. Das ist weit weniger banal, als es auf den ersten Blick vielleicht wirken mag. Denn die WCs sind Teil der öffentlichen Räume, die den Charakter einer Stadt definieren. An ihnen entscheidet sich, wer sich dort aufhält und wie lange. Sie geben aber auch vor, wer sich an einem Ort wohl-, vielleicht sogar willkommen fühlt und wer nicht.
Stararchitekten fürs Häuschen
Manche Toiletten haben hier sogar Glamourfaktor. Die Hauptfigur in Wim Wenders Film, der Toilettenreiniger, geht seiner Arbeit für «The Tokyo Toilet» nach. Seit 2020 sorgt dieses Projekt der Nippon Foundation weltweit für Aufsehen, weil die bekanntesten Architekten Japans dafür öffentliche Toilettenhäuschen entwerfen. Bis heute sind 17 solcher Gebäude in Tokios Innenstadtbezirk Shibuya entstanden.

Altmeister Tadao Ando entwarf ein elegant-rundes Pavillongebäude in Schwarz-Silber. Kengo Kuma, derzeit so etwas wie der Staatsarchitekt Japans, lieferte gleich ein ganzes Toilettendorf aus fünf Hüttchen, deren Fassade mit Holzbrettern derart hübsch verkleidet ist, dass sie jede Luxusferienanlage schmücken würden. Und Sou Fujimoto verwandelte sein Toilettengebäude in ein glamourös gekurvtes, weiss strahlendes Hybrid aus Trinkbrunnen, Outdoor-Sitzgelegenheit und WC.




Es gibt Toiletten, die dem Betonminimalismus frönen, einen strahlend weissen Halbkreis, knallrote Toiletten, solche mit einem kunstvoll gefalteten Dach, mit nächtlich leuchtenden LEDs und die WC-Anlage von Shigeru Ban, die besonders spektakulär erscheint, weil die farbigen Glaswände der Konstruktion durchsichtig sind, solange die Toiletten nicht besetzt sind.
Kurz: Es gibt so viel herausragende zeitgenössische Architektur, wie man sie bei uns kaum in Form von Museen zu Gesicht bekommt. Geschweige denn in Form von öffentlichen WCs.

So aussergewöhnlich die Architektur der Toilettengebäude sein mag: Wirklich spektakulär ist, wie Japan damit die Geschichte seiner öffentlichen Toiletten fortschreibt. Es ist kein Zufall, dass sich die besten Baumeister des Landes bereit erklärt haben, bei dem Projekt mitzumachen. Denn schön und anspruchsvoll in ihrer Architektur waren Toilettengebäude in Japan schon vorher oft. Und sauber sowieso. Sie sind damit der gebaute Beweis, dass Japan die Grundbedürfnisse seiner Bewohner ernst nimmt.
Lebensqualität beginnt beim WC
Was bei uns eher nicht der Fall ist. Wer hierzulande das Pech hat, aufs WC zu müssen, wenn er unterwegs ist, kann erst einmal lange suchen. Warum eigentlich? Schliesslich gibt es genügend Menschen, die häufiger müssen als andere. Frauen generell und Schwangere insbesondere. Oder Kinder, bei denen es in der Regel sehr schnell gehen muss. Oder Eltern von Kindern, die nicht selten eine kleine Ewigkeit an Spielplätzen stehen.
Aber auch Alte. Oder Kranke, die Medikamente nehmen müssen, die auf den Magen schlagen oder einen verstärkten Harndrang auslösen. Nicht zu vergessen obdachlose Menschen. Wer wirklich muss, findet sich an Orten wieder, die man einem reichen Land nie zutrauen würde. Die WCs stinken oft, sind verdreckt oder machen sogar Angst.
Was zur Frage führt, für wen Städte eigentlich da sind. Die meisten funktionieren nach wie vor am besten für jene, die sie entworfen haben – Vollzeit arbeitende Menschen, die gern Auto fahren und selten auf öffentliche WCs angewiesen sind. Das sollte sich dringend ändern, um Städte für alle lebenswerter zu gestalten. Öffentliche Toiletten, die schön, sicher und sauber sind, wären ein guter Anfang.
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