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Protestmethoden in der Volksrepublik
Die chinesische Toilettenrevolution

Das stille Örtchen ist in China einer der letzten Orte, die (hoffentlich) noch nicht unter permanenter Videoüberwachung stehen. 

Lebensweisheiten, schlechte Witze, verdächtige Handynummern und Vulgäres – wer in der Schweiz oder anderswo in Europa eine öffentliche Toilette besucht, wird viel zu lesen haben. Auch in China ist diese Form der Wandmalerei verbreitet, doch dort ist es eine deutlich ernsthaftere Angelegenheit. Denn das stille Örtchen ist einer der letzten Orte, die (hoffentlich) noch nicht unter permanenter Videoüberwachung stehen. Und derzeit passiert dort eine «neue Toilettenrevolution».

Während Staats- und Parteichef Xi Jinping auf dem Parteitag in Peking seine politische Karriere mit einer dritten Amtszeit krönen liess, finden das einige Besucher anderer Throne nicht so gut. Inspiriert von dem aufsehenerregenden Protest eines Regimegegners auf der Sitong-Brücke in Peking kurz vor dem Parteitag, verbreiten sie nun seine Botschaften an den Klowänden des Landes. Einige Internetnutzer haben sie archiviert, bevor sie entfernt werden konnten.

«Bürger, Würde, Freiheit»

Auf der Herrentoilette des chinesischen Filmarchivs in Peking konnten Besucher beispielsweise über den Pissoirs in grossen Schriftzeichen «Gegen Diktatur, gegen Corona-Tests» lesen. Damit verweist der Sprayer auf die strenge Null-Covid-Politik Xis mit ihren willkürlichen Lockdowns und den täglichen PCR-Tests, von denen viele Bürger sprichwörtlich die Nase voll haben.

In einer anderen, nicht genauer verorteten Toilette waren auf Chinesisch die Worte «Bürger, Würde, Freiheit» zu lesen, daneben auf Englisch der Satz «Es ist meine Pflicht», eine Anspielung auf die Studentenproteste auf dem Tiananmen-Platz in Peking 1989. Fast schon antithetisch wirken die Hinweise darunter, das Spülen nicht zu vergessen und dass Müll in den Abfalleimer gehört.

Auf sozialen Medien glorifizieren einige Nutzer die öffentlichen Toiletten als ideale Orte für das Verbreiten demokratischer Botschaften: «Wir müssen nicht wie die Märtyrer von der Sitong-Brücke sein, die Toilettenrevolution ist risikofrei!» Der Urheber des Sitong-Brücke-Protests wurde sofort festgenommen, und die staatliche Zensur kann auch das chinesische Internet vergleichsweise einfach säubern, dagegen ist die staatliche Kontrolle bei öffentlichen Toiletten deutlich schwieriger.

Toiletten mit Gesichtserkennung

Das Wort «Toilettenrevolution» hat in China einen besonderen Beigeschmack, machen die Internetnutzer sich damit doch über ein unter Xi gestartetes Regierungsprogramm zum Ausbau öffentlicher Sanitäranlagen lustig. Seit 2015 hat der Staat Milliarden in Toiletten investiert. Und weil die lokalen Behörden sich wie immer gegenseitig ausstechen wollten, sind einige davon mit WLAN, TV-Bildschirmen, Kühlschränken und Mikrowellen ausgestattet – manche allerdings auch mit Gesichtserkennung, um den Diebstahl von Klopapier zu verhindern.

Dem Toilettenaktivismus tut das indessen keinen Abbruch. Vor der aktuellen Graffitiwelle gab es bereits andere politische Kampagnen, die Klotüren oder Fliesen zierten, beispielsweise feministische Warnungen vor Leihmutterschaft oder Solidaritätsbotschaften für das «Tintenmädchen», das 2018 öffentlich Tinte über ein Porträt von Xi schmierte und danach in eine Psychiatrie eingewiesen wurde. Im sozialistischen China ist eben selbst der privateste Ort politisch.