Antworten zur UnterstützungspflichtWann zwingt der Staat einen, für Angehörige zu zahlen?
Laut Gesetz können Verwandte gezwungen werden, einander finanziell zu unterstützen. Was Angehörige dazu wissen müssen.
Wer kann zu Zahlungen verpflichtet werden?
Nach Zivilrecht müssen Verwandte einander bei finanzieller Not unterstützen. Das gilt aber nur in auf- und absteigender Linie. So gibt es etwa eine Unterstützungspflicht gegenüber Eltern, Kindern oder Enkelkindern. Geschwistern oder entfernteren Verwandten müssen Angehörige nicht beistehen.
Bei einem Stiefkind darf gemäss Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) höchstens das vom leiblichen Elternteil selbst erzielte Einkommen beansprucht werden.
Auch für Schwiegereltern gibt es grundsätzlich keine Unterstützungspflicht. Doch gemäss Skos-Richtlinien kann es in diesem Fall indirekt zu einer Kostenbeteiligung kommen. Denn die Berechnung basiert auf den finanziellen Verhältnissen eines Ehepaars. So kann es sein, dass letztlich zwar nur der Sohn seine Eltern unterstützt, die Ehefrau aber als Folge davon mit einem grösseren Teil ihres Einkommens zur Finanzierung des gemeinsamen Haushalts beitragen muss.
Welche Bedingungen müssen erfüllt sein?
Das Gesetz definiert nicht genau, ab welchem Einkommen Verwandte unterstützungspflichtig werden. Da ist einzig die Rede von «günstigen Verhältnissen». Das Bundesgericht hat es in seiner Rechtssprechung verschiedentlich etwas präzisiert. Die Richter nannten in einem bald zwei Jahrzehnte alten Urteil als Grössenordnung ein «Monatseinkommen von deutlich über 10’000 Franken».
Die Stadt Bern rechnet mit einer Pauschale von jährlich 120’000 Franken für einen Einpersonenhaushaushalt und 180’000 Franken bei zwei Personen. Für jedes Kind, das minderjährig oder in Ausbildung ist, kommen weitere 20’000 Franken dazu. Wenn das Einkommen darüber liegt, ist von einer Unterstützungspflicht auszugehen.
Das entspricht den aktuellen Skos-Richtlinien, an denen sich die Gemeinden in der Regel orientieren. Kurz: Nur bei überdurchschnittlich hohem Gehalt ist eine Unterstützungspflicht möglich. Bei einem Ehepaar mit zwei Kindern wäre das beispielsweise ab einem Einkommen von 220’000 Franken der Fall.
Unabhängig vom Einkommen können auch Angehörige mit hohem Vermögen unterstützungspflichtig sein. Die Skos-Richtlinien sehen hier ebenfalls hohe Freibeträge vor: Alleinstehende dürfen 250’000 Franken abziehen, Verheiratete oder eingetragene Partner 500’000 Franken. Für jedes Kind kommen 40’000 Franken dazu.
Geht es um Vermögen wie etwa Wohneigentum, das sich nicht leicht verwerten lässt, können spezielle Regelungen getroffen werden.
Weil diese Grenzwerte meist nicht überschritten werden, verknurren Behörden die Verwandten nur selten gegen deren Willen zu einer Unterstützung.
Wie gehen die Gemeinden vor?
In der Regel ist die für Sozialhilfe zuständige Behörde einer Gemeinde für die Prüfung zuständig. Die zuständigen Stellen der Städte Basel, Bern und Zürich betonen allesamt, dass sie stets eine einvernehmliche Lösung anstreben.
Laut Claudia Hänzi, Leiterin des Sozialamts in Bern, geht es meist gar nicht um unwillige Familienangehörige, die sich gegen eine finanzielle Unterstützung sträuben. Stattdessen falle es Armutsbetroffenen oft schwer, Angehörige um Geld zu bitten: «Viele schämen sich dafür, im Leben keinen finanziellen Erfolg zu haben und die Eltern für ihren Unterhalt heranziehen zu müssen», sagt sie. In solchen Fällen kann ein Sozialamt eine vermittelnde Funktion übernehmen.
Da ein solches Vorgehen für Betroffene emotional belastend sein kann, weisen die sozialen Dienste der Stadt Zürich darauf hin, dass sie ihre Klientinnen und Klienten vorab darüber informieren. So erhalten diese die Möglichkeit, ihre Verwandten persönlich zu informieren, bevor die Behörde vorstellig wird.
Der Entscheid, ob eine Unterstützungspflicht vorliegt, hängt in der Regel wesentlich von Steuerdaten ab. In Bern wird bei jedem neuen Fall im Sozialamt ein Steuerausweis von Verwandten – meist der Eltern – angefordert. Die Skos-Richtlinien sehen als aufwendigere Alternative eine Berechnung aufgrund des tatsächlichen Einkommens vor. Denn die Steuerdaten können zum Beispiel aufgrund einmaliger und ungewöhnlich hoher Abzüge ein falsches Bild ergeben.
Nach einem Austausch mit den Angehörigen und einer individuellen Prüfung wird die Höhe der Unterstützungspflicht festgelegt.
Grosse Sozialdienste prüfen das systematisch. Kleine Gemeinden sind möglicherweise nicht in der Lage, das zu tun, wenn sie nicht über genügend Ressourcen verfügen.
Was geschieht im Streitfall?
Nach Zivilrecht müssen Gemeinden eine Unterstützungspflicht durchsetzen. Doch im Streitfall ist das nicht einfach. Denn eine Gemeinde muss im Namen ihrer Klientin oder ihres Klienten gerichtlich gegen deren Angehörige vorgehen. Das ist mit Aufwand, einem Prozessrisiko und entsprechenden Kosten verbunden.
In einem ersten Schritt kommt es zu einem Schlichtungsverfahren, das in der Regel vor einem Friedensrichter stattfindet. Ist weiterhin keine Einigung möglich, kann die Sozialbehörde Klage einreichen.
Die Behörde muss sorgfältig abwägen, ob sich der Gang vors Gericht lohnt. Das Sozialamt der Stadt Bern macht diesen Schritt nur, wenn die Erfolgschance gemäss Rechtsexperten über 50 Prozent liegt. Andere Gemeinden äussern sich ähnlich.
Gerichte müssen sich nicht an den Skos-Richtlinien orientieren. Sie können eine Unterstützungspflicht wegen besonderer Umstände reduzieren.
Lohnt sich der Aufwand überhaupt?
Die Stadt Bern hat im vergangenen Jahr bei Sozialhilfekosten von über 78 Millionen Franken von Verwandten Unterstützung im Umfang von 152’000 Franken erhalten. Der Beitrag an die Ausgaben liegt somit bei knapp 0,2 Prozent. In Basel-Stadt waren es gut 0,1 Prozent.
Die Geldflüsse aus Verwandtenunterstützung können von Jahr zu Jahr schwanken. Dennoch zeigt der Fünfjahresdurchschnitt der Stadt Zürich ein ähnliches Bild: Bei Sozialhilfeausgaben von 283 Millionen Franken erhielten Klientinnen und Klienten von Angehörigen 900’000 Franken. Somit liegt der Anteil der Verwandtenunterstützung in Zürich bei rund 0,3 Prozent.
Fachleute aus Basel-Stadt, Bern und Zürich bestätigen, dass mit den Abklärungen ein erheblicher Aufwand verknüpft ist. Ob sich das lohnt, ist zumindest zweifelhaft. «Man muss sich die Frage stellen, ob die Verwandtenunterstützung noch ein zeitgemässes Instrument darstellt», sagt Claudia Hänzi vom Berner Sozialamt. Ohne die Zahlen exakt beziffern zu können, vermutet eine andere Fachperson, dass es Steuerzahlerinnen und -zahler billiger kommen würde, darauf zu verzichten.
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