Antisemitische AttackeJugendlichem Messerstecher droht Entzug des Schweizer Passes
Der 15-Jährige, der einen Juden in Zürich schwer verletzt hat, kann mit einer kurzen Freiheitsstrafe rechnen. Ihm droht der Verlust des Bürgerrechts und später eine Wegweisung.
Was kann, was soll der Staat unternehmen, wenn ein Jugendlicher eine so grausame Tat begeht? Diese Frage wird intensiv diskutiert, seit am Samstag ein 15-jähriger schweizerisch-tunesischer Doppelbürger in Zürich einen jüdischen Familienvater niederstach und schwer verletzte.
Beim Angriff im Kreis 2 handelt es sich um die dritte Bluttat in der Schweiz, bei der sich die Täterschaft zur Terrororganisation IS bekannte. Frühere Messerattacken in Morges und Lugano forderten Zufallsopfer: Im Waadtland verstarb ein Portugiese bei einem Imbiss, im Tessin wurden Personen in einem Kaufhaus verletzt. Der Angriff in Zürich am Samstagabend hingegen erfolgte gezielt auf einen an seiner orthodoxen Kleidung erkennbaren Juden. Deswegen handelt es sich um einen der schwersten antisemitischen Vorfälle in der Schweiz seit Jahrzehnten.
Doch auch in solchen Fällen setzt das Jugendstrafrecht, was eine Bestrafung betrifft, enge Grenzen. Denn es ist auf die Wiedereingliederung von jungen Täterinnen und Tätern in die Gesellschaft ausgerichtet. Wer noch nicht 16 Jahre alt ist, dem kann höchstens ein Jahr lang die Freiheit entzogen werden – selbst bei schweren Straftaten.
Er dürfte trotzdem nicht schnell freikommen
Bei älteren Minderjährigen können Strafen höher ausfallen, doch immer wieder sorgen Fälle für Aufsehen und Empörung, bei denen der Freiheitsentzug kurz ist oder ausbleibt. So bestätigte das Bundesgericht im April 2023 ein Urteil gegen einen bei der Tat gerade noch 17-Jährigen, der in einem Zürcher Park einen älteren Mann zum Invaliden schlug. Der Täter erhielt eine bedingte Freiheitsstrafe von vier Monaten.
Nach der antisemitischen Messerattacke vom Samstag droht dem 15-Jährigen bis zu einem Jahr Gefängnis. Allerdings heisst das nicht zwingend, dass er danach sofort wieder auf freien Fuss kommt. Jugendgerichte verordnen häufig zusätzlich sogenannte Schutzmassnahmen: Bis zu ihrem 25. Geburtstag können Verurteilte in einer Erziehungs- oder Behandlungseinrichtung untergebracht werden, sofern «die notwendige Erziehung und Behandlung der oder des Jugendlichen nicht anders sichergestellt» werden kann. So steht es im Jugendstrafgesetzbuch.
Der Messerstecher, der aus dem Zürcher Unterland stammt, dürfte also nicht so schnell wieder freikommen. Vielleicht muss er die Schweiz danach verlassen. Dem gebürtigen Tunesier droht der Entzug des Schweizer Bürgerrechts. Der Jugendliche, der sich in einem Bekennervideo «Ahmed das Biest» nannte, war im Alter von rund drei Jahren in der Schweiz eingebürgert worden.
Mario Fehr will Bürgerrechtsentzug
Das Staatssekretariat für Migration kann einem Doppelbürger das Bürgerrecht entziehen, wenn «sein Verhalten den Interessen oder dem Ansehen der Schweiz erheblich nachteilig ist». Ein solcher Entzug ist nach einem schweren Verbrechen mit terroristischem oder extremistischem Hintergrund möglich. Es braucht dafür auch die Zustimmung des Heimatkantons des Betroffenen. Im Fall des jugendlichen Messerstechers ist dies Zürich. Der kantonale Sicherheitsdirektor Mario Fehr fordert nun, dass ihm das Bürgerrecht entzogen wird. «Für Terroristen hat es keinen Platz in der Schweiz», sagte er der NZZ.
Der Bund hat jüngst sieben Terrorunterstützerinnen und -unterstützern die Staatsbürgerschaft aberkannt. Gegen die Entscheide sind zum Teil Beschwerden hängig.
Wehren können sich Betroffene auch gegen einen Landesverweis, den ein Gericht anordnen muss, wie das Beispiel eines inzwischen 27-jährigen Islamisten zeigt: Der Nordmazedonier war Mitte 2015 an einem brutalen Angriff auf zwei Männer in der Winterthurer An’Nur-Moschee beteiligt. 2018 wurde er wegen Freiheitsberaubung verurteilt, doch das juristische Hin und Her endete erst vor kurzem mit einem Urteil des Zürcher Obergerichts: Der Täter muss die Schweiz definitiv verlassen und darf sieben Jahre lang nicht zurückkehren.
Bei Jugendlichen lässt das Strafrecht einen Landesverweis nicht zu. Eine Aberkennung der Schweizer Staatsbürgerschaft könnte aber zur Folge haben, dass der nun 15-jährige Messerstecher später als Erwachsener das Land verlassen müsste. Das Ausländergesetz ermöglicht Ausweisungen «zur Wahrung der inneren oder der äusseren Sicherheit der Schweiz».*
* Dieser Abschnitt wurde ergänzt und präzisiert.
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