Eskalation nach Golan-AngriffEine Rakete könnte alles verändern
Bislang war die arabischsprachige Religionsgemeinschaft der Drusen nicht im Fokus des Nahostkriegs. Der Angriff auf ihr Dorf in den Golanhöhen könnte den Ausschlag für Israel geben, die Hizbollah in grossem Stil anzugreifen.
Schaut man auf die Karte, dann liegt Majdal Shams schon seit Jahren in einer Krisenregion, die die Weltpolitik bestimmt wie nur wenig andere. Ein Städtchen mit ein paar Tausend Einwohnern, mitten in den von Israel besetzten Golanhöhen, zur syrischen Grenze sind es nur ein paar Meter, auch der Libanon ist nicht weit mit der feindlichen Hizbollah. Dennoch war Majdal Shams viele Jahre ein kleines Idyll am Fusse des Hermon, des einzigen richtigen Skigebiets Israels. Es gibt Wasserfälle und Nationalparks.
Der Krieg fand bisher woanders statt. Die vom Iran unterstützte Hizbollah hatte aus dem Libanon schon öfter militärische Einrichtungen etwa fünf Kilometer entfernt bombardiert. Aber Majdal Shams hatte niemand als potenzielles Ziel auf der Liste. Weshalb der Ort auch nicht wie so viele andere im Norden Israels geräumt worden ist.
In Majdal Shams wohnen wenige, vielleicht gar keine Juden, sondern Drusen, eine arabischsprachige Religionsgemeinschaft, deren etwa eine Million Mitglieder über den Libanon, Syrien und Israel verteilt leben. Sie wollen keinen eigenen Staat, leben loyal zu ihren jeweiligen Nationen. In Israel sind es etwa 150’000, die sich ihren Platz im Staat erkämpfen mussten: Im Jahr 1956 hatten sich die drusischen Führer und der Staat darauf geeinigt, die Wehrpflicht für israelische drusische Männer einzuführen.
Nur 20 Prozent der Golan-Drusen haben israelischen Pass
Kurz darauf wurden die Drusen von Israel als eigenständige Religionsgemeinschaft und Ethnie anerkannt. Sie leben in Galiläa und südlich von Haifa. Nur die Drusen im Golan, verteilt auf vier Orte wie Majdal Shams, haben bisher die israelische Staatsbürgerschaft weitgehend abgelehnt. Sie sehen sich mehrheitlich als Syrer, die Grenze ist direkt vor ihrer Haustür. Nur etwa 20 Prozent haben einen israelischen Pass.
Nach dem tödlichen Raketeneinschlag ist der Krieg auch in Majdal Shams angekommen. Und der Ort wird wieder näher an das jüdische Israel herangerückt. Viele Drusen sind bis heute aber enttäuscht vom 2018 verabschiedeten Nationalstaatsgesetz, das Israel als die historische Heimat des jüdischen Volkes definiert – religiöse Minderheiten wie die Drusen finden dort keine Erwähnung.
Jetzt könnte es der Angriff auf eine nicht jüdische Minderheit sein, der Israel zu einem Angriff auf die Hizbollah im Libanon bringt – zum grossen Schlag auf die vom Iran aufgebaute Hizbollah im Libanon, die seit nach dem 7. Oktober Raketen auf Israel abfeuert.
Hizbollah will die Zerstörung Israels
Die Hizbollah hat sich die Zerstörung Israels zum Ziel gesetzt, sehr zur Enttäuschung der Hamas bisher aber nur begrenzt in den Krieg eingegriffen. Wobei begrenzt doch relativ ist: Täglich feuert die Hizbollah Raketen auf den Norden Israels ab, wo etwa 60’000 Menschen ihre Heimat verlassen mussten, auf der libanesischen Seite sollen es fast 100’000 sein. Etwa 5000 Geschosse flogen bisher in beide Richtungen.
Das ist viel, dennoch betonten beide Seiten, keinen ganz grossen Krieg zu wollen. Hizbollah-Führer Hassan Nasrallah hielt in den vergangenen Monaten zwar immer aggressivere Reden, der Verlauf des Konfliktes machte aber deutlich, dass die Mullahs in Teheran die Hizbollah nicht für die Interessen der Hamas opfern würden, sondern nur dann, wenn Israel den Iran selbst angreifen würde. Auch Israel wollte sich nicht mit einer weiteren Grossfront belasten. So weit die Theorie.
In der Praxis war immer klar, dass eine Fehlkalkulation oder eine verirrte Rakete alles verändern könnte. Nun könnten der Angriff und die zwölf toten Kinder und Jugendlichen von Majdal Shams ein ähnlicher Wegpunkt sein. Seit dem 7. Oktober warten Millionen Libanesen voller Angst, ob der Krieg auch auf ihr Land übergreifen könnte. Sie schauen der Eskalation genauso machtlos zu wie ihre gewählte Regierung, die die USA am Sonntag aufforderte, mässigend auf Israel einzuwirken. Die Vereinigten Staaten wiederum gaben dem libanesischen Aussenminister Abdallah Bou Habib auf, auf die Hizbollah einzuwirken.
Hochgerüstet mit Zehntausenden Raketen
Die ist im Libanon aber längst ein eigener Staat, der sich an keine Anweisungen hält, ausser sie kommen aus Teheran. Die Terrormiliz selbst bestritt am Sonntag, für den Angriff auf das Golan-Dorf verantwortlich zu sein, vielmehr habe eine israelische Luftabwehrrakete den Fussballplatz getroffen. US-Geheimdienstmitarbeiter hätten jedoch keine Zweifel daran gelassen, dass die Hizbollah die Rakete abgefeuert habe, berichtet die Nachrichtenagentur AP.
Die Terrormiliz verfügt über Zehntausende Raketen mit zum Teil grosser Reichweite und Präzision. Experten schätzen, dass die Terrorgruppe in den ersten zwei Monaten eines Kriegs mit Israel jeden Tag mindestens 1000 Raketen abfeuern könnte, auch auf Haifa, Tel Aviv und Jerusalem. Es ist eine Feuerkraft, die auch das israelische Abwehrsystem Iron Dome überfordern könnte.
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