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Meinung

Analyse zum Eklat im Oval Office
Selenski jetzt zu kritisieren, ist bizarr

Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj treffen sich im Oval Office des Weissen Hauses, Washington, 28. Februar 2025.
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Es ist nicht verwunderlich, dass Wolodimir Selenski irgendwann nicht mehr Danke und Amen sagte. Er hörte sich am Freitag im Oval Office ein ums andere Mal an, wie US-Präsident Donald Trump den russischen Machthaber Wladimir Putin lobte, betonte, dass dieser ihn niemals enttäuscht habe, dass er ihm vertraue.

Selenski liess sich das lange gefallen und stellte dann, erstaunlich höflich, klar, dass es um weit mehr geht als Trumps Befindlichkeiten. Das Vertrauen Selenskis, das Vertrauen der Ukraine und des Westens hatte Putin nämlich sehr wohl missbraucht, mit dem Einmarsch in die Ukraine im Jahr 2022, mit den zahlreichen Waffenstillstandsbrüchen in den Jahren zuvor. Doch Selenski musste sich weitere Demütigungen Trumps gefallen lassen, etwa, dass er nicht am Frieden interessiert sei.

Die Kritik also, Selenski hätte gelassen bleiben müssen, seinen Charme spielen lassen, wie sie nach dem katastrophalen Treffen im Oval Office laut wurde, ist bizarr. Natürlich wäre es besser gewesen, die Eskalation wäre ausgeblieben. Aber auf Selenski lastet enormer Druck, es geht für ihn um die Existenz der Ukraine – etwas, das Trump nicht wahrhaben will. Selenskis Abwehr ist also mehr als verständlich.

Donald Trump spricht zu Reportern auf dem South Lawn des Weissen Hauses in Washington, Februar 2025.

Auch, weil er sich vor Trump inzwischen in ganz grundsätzlichen Fragen verteidigen muss. Trump hatte behauptet, Selenski sei ein «Diktator ohne Wahlen». Selenski ist aber als Präsident der Ukraine demokratisch legitimiert. In dieser Funktion ersuchte er nun Hilfe bei seinem mächtigsten Verbündeten. Das heisst aber nicht, dass er den Kotau machen muss. Es sollte also nicht verschoben werden, was gestern passiert ist.

US-Vizepräsident J. D. Vance initiierte eine Eskalation mit dem Vorwurf, Selenski zeige keine Dankbarkeit. Trump übernahm und vollzog den Schritt zum Eklat. Selenski schlug sich tapfer. Dem Ganzen vorangegangen war, dass Selenski Trumps erstes Angebot für einen Rohstoffdeal abgelehnt hatte. Die Bedingungen waren für Kiew inakzeptabel, es wurde nachverhandelt. Trumps Eitelkeit war gekränkt. Zum anderen zeigte sich im Oval Office kein unterwürfiger Selenski, sondern einer, der Trump und seinen Vize zu ehrlichen Antworten herausforderte. Als die beiden die Chance sahen, ihn vorzuführen und zu schwächen, ergriffen sie sie. Selenski verliess kurz darauf gedemütigt das Weisse Haus.

Trump verweigert Sicherheitsgarantien für Ukraine

Dabei hatte Selenski wieder und wieder klargestellt: Die Ukraine braucht Sicherheitsgarantien der USA, für das Land ist das eine existenzielle Frage und darum nicht verhandelbar. Seine Haltung war also keine Überraschung. Im Rohstoffdeal-Entwurf waren Sicherheitsgarantien nicht vorgesehen. Trump verweigert sie der Ukraine.

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Trump kann Selenski nun also schwerlich vorwerfen, er sei nicht bereit, Frieden zu schliessen. Vielmehr entlarvte Trump seinen Unwillen, für die Ukraine akzeptable Bedingungen zu schaffen. Und noch mehr, Trump zeigte, dass er nun wirklich die Seite gewechselt hatte – auf die des russischen Machthabers.

Man muss sich das noch mal in Erinnerung rufen: Der ukrainische Präsident hatte nach dem Grossangriff auf sein Land im Februar 2022 das Land nicht verlassen. Die dahinterstehende Haltung prägt Selenski als Präsident bis heute: Widerstand statt Unterwerfung. Und das nur am Rande, Selenski beschützt damit nicht nur sein Land, er vertrat im Oval Office auch die europäischen Werte. In Washington weiss man also sehr genau, mit wem man es zu tun hat.

Selenski wird nicht zurücktreten

Da die Beziehungen zwischen Kiew und Washington nun aber zerrüttet sind, stellt sich die Frage, wie es mit Selenski weitergehen kann und ob er noch der Richtige ist, mit den USA Verhandlungen zu führen. Praktisch gesagt – er muss es sein. In Kriegszeiten kann er aus guten Gründen nicht leicht abgesetzt werden. Neuwahlen finden verfassungsgemäss erst mit Abstand nach einem Waffenstillstand statt. Träte Selenski von sich aus zurück, würde er das Land ins Chaos stürzen und Russland ermuntern, seine Truppen direkt nach Kiew zu schicken. Genau das riskiert Trump, wenn er russische Propaganda verbreitet und Selenski destabilisiert.

Natürlich ist Selenski in seiner Heimat nicht unumstritten. Er wird für einen autoritären Politikstil kritisiert, auch dafür, dass er zu wenig gegen Korruption tut. Aber er ist niemand, der sich an die Macht klammert. Dass er nun im Sender Fox News sagte, es gehe bei den nun zerrütteten Beziehungen zwischen den USA und der Ukraine um mehr als um zwei Präsidenten, deutet darauf hin; er wäre ersetzbar. Er ist aber ebenfalls klug genug, nicht noch Öl ins Feuer zu giessen, und schliesst derzeit einen Rücktritt aus. Auch bemühte er sich am Samstag um weitere Gespräche mit Trump und dessen Team. Das goutiert man in der Ukraine, dort erhält er derzeit viel Zuspruch, dass er nicht aufgibt – und gleichzeitig Trump die Stirn bietet.

Selenskis Zukunft hängt von Trump ab – und Europa

Doch seine Zukunft hängt nun von den kommenden Wochen und Donald Trump ab. Die Menschen in der Ukraine haben Angst vor den konkreten Folgen der Tump’schen Fehde mit Selenski. Der «New York Times» zufolge könnte die gesamte US-Hilfe für die Ukraine – einschliesslich der letzten bereits bezahlten Munitions- und Ausrüstungslieferungen der Biden-Administration – in Kürze eingestellt werden. In der Ukraine fürchtet man ausserdem, dass man ihnen Starlink abschaltet. Die ukrainische Armee ist von der Satelliten-Internetverbindung stark abhängig. Die Kontrolle darüber hat Elon Musk, ein Mann Trumps.

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Und zugleich kann Selenski von seiner Forderung nach Sicherheitsgarantien nicht abweichen, ohne sein Land zu verraten. Damit steht er Trumps Verständnis des Dealmakings im Weg. Es liegt deswegen jetzt auch an Europa, Selenski zu stärken und Trump zu zwingen, ihn weiter ernst zu nehmen.

Die Bekenntnisse vom Freitagabend aus Brüssel, Berlin, Paris und Warschau können nur ein Anfang sein. Europa muss nun eine Führungsrolle einnehmen. Und man muss sich weiter um die USA bemühen, ohne sie geht es nicht. Viel Erwartung liegt jetzt auf dem für Sonntag einberufenen Europa-Gipfel in London.

Ausgerechnet Trumps Unberechenbarkeit bietet Grund zur Hoffnung

Und eine Hoffnung bleibt. Trump zeigte am Freitag aufs Neue seine Unberechenbarkeit. Zuvor aber hatte sich Trump im Ton gemässigt, der Ukraine Mut im Verteidigungskampf bescheinigt, auch schienen ihn die Besuche von Keir Starmer und Emmanuel Macron zu besänftigen. Davor wiederum hatte er Selenski scharf angegriffen und ihm Mitschuld am Krieg in der Ukraine gegeben. Trumps Impulsivität ist auch für Russland ein Problem. Sie bietet keine Verlässlichkeit. Genauso kann Selenski weiter hoffen, dass er die Beziehungen wieder zweckmässig reparieren kann.

Trump hat trotz allen Streits weiter wirtschaftliches Interesse an der Ukraine, er sieht die Möglichkeit, dort Rohstoffe abzubauen, und will China am Weltmarkt schwächen. Dass er die Ukraine gänzlich fallen lässt, ist schwer vorstellbar. Nur dass er ihre Niederlage herbeiführt und sie aus verletztem Stolz in existenzgefährdende Friedensverhandlungen zwingt, das ist wahrscheinlicher geworden.