Neue EU-KommissionUrsula von der Leyen startet mit einer brüchigen Mehrheit in die zweite Amtszeit
Die Kommissionspräsidentin kann am 1. Dezember in die zweite Amtszeit starten. Die Anhörungen ihrer Kommissare im EU-Parlament haben gezeigt, wie brüchig die proeuropäische Mehrheit ist.
- Ursula von der Leyen steht kurz vor der Bestätigung ihres Teams.
- Die proeuropäische Koalition im Parlament zeigt zunehmende Spannungen.
- Parteipolitische Konflikte überschatten die Anhörungen der Kommissarinnen und Kommissare.
- Zweifel wachsen, dass die Konservativen mit Rechtsextremen zusammenarbeiten könnten.
Ursula von der Leyen ist fast am Ziel. Wenn nichts mehr dazwischenkommt, wird das EU-Parlament am nächsten Mittwoch ihr Team bestätigen. Ursula von der Leyen kann dann am 1. Dezember starten, also rechtzeitig bevor Donald Trump im Januar ins Weisse Haus zurückkehrt. Das ist die gute Nachricht für die Kommissionspräsidentin. Irgendjemand muss reagieren können, wenn der US-Präsident etwa Zölle gegen europäische Unternehmen verhängt.
Die schlechte Nachricht ist, dass die zweite Amtszeit sehr unruhig werden dürfte. Die proeuropäische Mehrheit, auf die sich Ursula von der Leyen abstützen möchte, ist brüchig geworden. In der informellen Koalition der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), den Sozialdemokraten (S&D) und den Liberalen (Renew) ist das Klima vergiftet. Die Spannungen sind bei den Anhörungen für die 26 Kommissarinnen und Kommissare deutlich geworden.
Es sollte nach dem Verständnis des EU-Parlaments um eine «Sternstunde der europäischen Demokratie» gehen. Am Ende ging es bei den Hearings aber kaum um Kompetenzen und persönliche Eignung der Kandidaten, sondern hauptsächlich um Parteipolitik und nationale Fragen. Im Nachhinein hatte das schlechte Timing in der Woche der US-Wahlen einen positiven Nebenaspekt. Ausserhalb der Brüsseler Blase hat kaum jemand das Trauerspiel der Anhörungen mitbekommen.
Das hätte sich womöglich geändert, wenn die Bestätigung des Teams der Kommissare nächste Woche geplatzt wäre. Konservative, Sozialdemokraten und Liberale konnten sich in letzter Minute doch noch zusammenraufen. In den Hauptrollen des Parlamentsdramas: Manfred Weber, Chef der mit Abstand grössten konservativen Fraktion. Auf der anderen Seite die Spanierin Iratxe Garcia Perez von den Sozialdemokraten, zweitstärkste Kraft im EU-Parlament.
Eigentlich müssten die beiden grössten Fraktionen und die Liberalen zusammenarbeiten, doch zwischen Manfred Weber und Iratxe Garcia Perez herrscht dicke Luft. Die Sozialdemokraten werfen den Konservativen vor, die Brandmauer aufzugeben und nach neuen Mehrheiten mit den rechtsextremen Patrioten oder der nationalkonservativen ECR-Fraktion zu suchen. So hat man seit der Europawahl gemeinsam ein Gesetz zum Schutz der Wälder verwässert oder EU-Geldern für Grenzbefestigungen gegen Migranten zugestimmt.
Die Konservativen entgegnen, dass die Sozialdemokraten ihren Machtverlust nach der letzten Europawahl vom Juni nicht verkraftet haben. Bisher war es so, dass die Sozialdemokraten die Möglichkeit von Mehrheiten links der Mitte hatten. Weil neben den Genossen auch Liberale und Grüne stark geschrumpft sind, bleibt den Sozialdemokraten nur noch die Option mit den Konservativen.
Manfred Weber könne vor Kraft kaum mehr gehen, sagen Kritiker. Die Konservativen hätten die Sozialdemokraten zuletzt unnötig gedemütigt. Ihren Beitrag hat auch Ursula von der Leyen geleistet. So setzte die Christdemokratin durch, dass Giorgia Melonis Europaminister Raffaele Fitto einer von sechs Vizepräsidenten in ihrer Kommission werden wird. Die Kommissionschefin versteht sich persönlich gut mit Italiens Regierungschefin und will die Postfaschistin möglichst einbinden. Eine Provokation in den Augen vieler Sozialdemokraten.
Die Konservativen wiederum wollten unbedingt die spanische Sozialistin Teresa Ribera verhindern, die ebenfalls Vizepräsidentin mit einflussreichem Dossier etwa zum Wettbewerb bekommen wird und noch Umweltministerin in Madrid ist. Hier spielte die Polarisierung in Spanien hinein und zuletzt noch der Streit um die Verantwortung für das schlechte Krisenmanagement nach der Naturkatastrophe in Valencia.
Am Ende musste Spaniens Regierungschef Pedro Sanchez per Telefonat seine alte Vertraute und sozialdemokratische Fraktionschefin Iratxe Garcia Perez unter Druck setzen, dem Vizeposten für den Italiener Raffaele Fitto zuzustimmen. Und der Konservative Manfred Weber überredete im Gegenzug seine Truppe, die Spanierin Ribera durchzuwinken. Der Parteienstreit wurde zudem mit einem eineinhalb Seiten langen Papier zugetüncht, einem eher unverbindlichen Bekenntnis der proeuropäischen Parteien zur Zusammenarbeit.
Links der Mitte ist der Argwohn aber gross, dass die Konservativen die nächsten fünf Jahre die neue Machtoption mit den Patrioten öfter nutzen, weitere Gesetze gegen den Klimawandeln verwässern oder eine noch restriktivere Migrationspolitik durchsetzen könnten. Es geht vordergründig um parteipolitisches Kleinklein. Im Hintergrund aber die Frage, ob die Brandmauer zwischen Konservativen und Rechtsaussen fällt. Mit den rechtspopulistischen Patrioten wird die Kommissionspräsidentin ihre proeuropäische Agenda nicht umsetzen können. Kein Geld für die Ukraine, kein Haushalt, um etwa Europas Verteidigungsindustrie für die Gefahrenlage fit zu machen. Für Ursula von der Leyen sind die unsicheren Mehrheiten ein riskanter Balanceakt.
Fehler gefunden?Jetzt melden.