Daniel Humm kocht neu vegan«An jedem Tisch spüre ich Euphorie»
Der Schweizer Küchenchef hat sein New Yorker Restaurant wieder geöffnet – und verzichtet fortan auf tierische Produkte. Er hofft, dass er den dritten Michelin-Stern behalten wird.

Genau wusste noch niemand, was er auftischen würde. Und trotzdem berichteten Anfang Mai so bekannte Publikationen wie die «New York Times», «The Guardian» und «Der Spiegel», dass Daniel Humm sein New Yorker Restaurant nach der Eröffnung vegan ausrichten würde.
Warum die Aufregung? Das Eleven Madison Park (EMP) in New York würde damit das erste von weltweit rund 330 Gastlokalen mit drei «Michelin»-Sternen sein, das vollständig auf tierische Produkte verzichtet: «Dieser Schritt war mit viel Risiko verbunden», sagt Humm jetzt nach der Wiederöffnung. «Wegen des Lockdown haben wir über ein Jahr keinen Rappen verdient – und jetzt kommen wir und machen etwas komplett anderes als vorher.» Im Moment sei er einfach nur glücklich, dass das neue Konzept den Gästen Freude bereitet.

Vor drei Wochen öffnete Humms Restaurant mit neuem Konzept seine Tore. Und das Feedback sei durchs Band positiv: «An jedem Tisch spüre ich bei der Verabschiedung eine Euphorie, wie ich sie bisher noch nie erlebt habe.» Viele Gäste sagten, dass sie nicht einordnen könnten, was sie gerade erlebt haben, «weil es nichts Vergleichbares gibt». Und vermisst habe, so der Küchenchef, trotz des Verzichts auf Fisch und Fleisch bisher niemand etwas.
«Das Menü ist aufwendiger und arbeitsintensiver als jemals zuvor.»
Auch die ersten professionellen Kritiken lesen sich vielversprechend: «Dass die Proteine fehlen, fällt nicht auf – vielleicht weil fast nichts im Menü versucht, Fleisch oder Fisch zu imitieren», schreibt etwa Kate Krader von «Bloomberg.com». Sie war – neben Angelina Jolie und anderen VIPs – beim Eröffnungsabend dabei.

Besonders angetan war Kritikerin Krader von der halben karamellisierten Aubergine, die mit Tomaten, Radieschen und Pilzen serviert wurde: «Diesen Gang zu essen, ist ungeheuer befriedigend, vor allem, wenn man weiss, dass ein Koch zwei Tage daran gearbeitet hat.»
Ganz New York will nun sehen, wie Humm die veganen Hürden meistert: Inzwischen sind über 50’000 Personen auf der Reservations-Warteliste für den Monat Juli – bei gerade mal 100 Plätzen, die sechsmal wöchentlich vergeben werden.

Ob die Tester des «Guide Michelin» schon reserviert haben, weiss der im Kanton Aargau aufgewachsene Daniel Humm nicht. Er geht aber davon aus, dass er die Höchstwertung von drei Sternen im roten Buch wird behalten können: «Ich kann ihnen nicht vorschreiben, wie sie testen sollen, aber das Menü ist aufwendiger und arbeitsintensiver als jemals zuvor», sagt er.
Sicher sind ihm diese Sterne jedoch nicht – und als man nachfragt, ob er denn mit einer tieferen Bewertung leben könnte, meint er: «Die Sterne sind für mich nicht mehr das Wichtigste, denn ich bin mir sicher, dass ich auf dem richtigen Weg bin.» Es gehe, sagt er fast ein wenig pathetisch, um etwas Grösseres.
«Luxus wird neu definiert.»
Erstaunlich, denn Humm war bisher bekannt dafür, immer auch auf dem Podest stehen zu wollen, wenn er irgendwo ins Rennen ging. Doch jetzt scheint ihm Nachhaltigkeit wichtiger zu sein als Ruhm: «Wir mussten einsehen, dass niemand täglich 50 Enten von guter Qualität liefern und gleichzeitig nachhaltig sein kann.» Bei Auberginen sei dies einfacher, denn es gebe in New York unglaublich viele biologisch produzierende Gemüsebauern. Die Herausforderung für Humm scheint zu sein, daraus dann etwas Magisches und Unvergleichliches zu machen. Oder wie er es nennt: «Luxus wird neu definiert.»
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Daniel Humm klingt am Telefon auffallend entspannt. Wie anders war das doch im April vor einem Jahr, als er müde und geläutert wirkte. Ganz New York war damals im Bann der Seuche, er hatte im Handumdrehen eine Gassenküche lanciert, die Essen für Obdachlose und Krankenhauspersonal verteilte. Die Situation hatte ihm, schien es, die Augen geöffnet: «Glauben Sie mir, ich werde nie mehr als Koch arbeiten können, wenn diese soziale Komponente nicht Teil des Konzepts ist», meinte er.
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Er hat Wort gehalten: Mit jedem Mehrgänger, der heute im EMP serviert wird, werden fünf Mahlzeiten für Bedürftige finanziert. Dafür sind 25 Dollar im Menüpreis von 335 Dollar inbegriffen: «Jeder, der mit dem EMP zu tun hat, muss mitmachen», so Humm. «Die Gäste, die mit dem Bezahlen des Menüs eine Spende leisten. Die Mitarbeiter, die in den Gassenküchen mithelfen müssen. Die Lieferanten, die uns auch günstige Produkte zur Verfügung stellen müssen.»

Daniel Humm ist passionierter Marathonläufer. Fühlt er sich momentan eher, als wäre er im Ziel angekommen? Oder doch wie am Start des Rennens? «Ich bin etwa bei Kilometer drei oder vier – ich weiss nicht, was mich in den nächsten Wochen noch erwartet.» Aber all sein Training und seine Erfahrung machten, dass er sich diese Challenge zutraue, sagt er bildlich.
Ob er am diesjährigen 50. New York Marathon teilnimmt? Ausschliessen will er es nicht. Allerdings dürfte es schwierig werden, Zeit für die Vorbereitungen zu finden: Zurzeit arbeitet Daniel Humm etwa 16 Stunden täglich, sechs Tage pro Woche. Und Ferien werde er bis Ende Jahr sicher auch keine machen.
Weshalb tut sich das einer an? «Mir war schon lange klar, dass sich die gehobene Gastronomie neu erfinden muss – jetzt habe ich gezeigt, dass es möglich ist.» Er sei überzeugt, dass ganz viele junge Köchinnen und Köche ihm folgen werden: «Im Moment sind zwar alle noch ein wenig sprachlos – aber sie werden sich längerfristig hinterfragen. Und schon nächstes Jahr werden viele so kochen.» Seinen Ehrgeiz scheint Daniel Humm nicht verloren zu haben.
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