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Regierung in Deutschland
Olaf Scholz macht den Weg zu Neuwahlen frei

German Chancellor Olaf Scholz casts his ballot during a vote of confidence against him in a plenary session at the German parliament Bundestag, Berlin, Germany, Monday, Dec. 16, 2024. (AP Photo/Markus Schreiber, Pool)
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In Kürze:
  • Olaf Scholz stellte im Bundestag die Vertrauensfrage, um Neuwahlen zu ermöglichen.
  • Nur die SPD stimmte für Scholz, alle anderen enthielten sich oder sagten Nein.
  • Bundespräsident Steinmeier wird nun innert Tagen den Bundestag auflösen.

Der Moment war historisch: Zum ersten Mal seit knapp 20 Jahren wurde im Deutschen Bundestag wieder die sogenannte Vertrauensfrage gestellt. Der sozialdemokratische Kanzler Olaf Scholz, dessen Koalition vor sechs Wochen zerbrochen war, stellte sie mit der erklärten Absicht, das Vertrauen zu verlieren. Das Ziel war, so vorgezogene Parlamentswahlen im kommenden Februar zu ermöglichen.

Die Operation gelang wie gewünscht: Scholz erhielt nur die Stimmen seiner eigenen Partei, während sich die in der Regierung noch verbliebenen Grünen enthielten. Die anderen Parteien stimmten geschlossen gegen den Kanzler.

In seiner Rede vor der Abstimmung hatte Scholz das paradoxale Manöver mit einem kommunikativen Trick eingeleitet: Er bat das Parlament nicht darum, ihm das Vertrauen zu entziehen, sondern reichte die Vertrauensfrage rhetorisch an das deutsche Volk weiter. Dieses bat er, in der vorgezogenen Wahl nun eine Richtungsentscheidung zu treffen.

«Sie, Herr Scholz, haben Vertrauen nicht verdient»

«Trauen wir uns zu, als Land kraftvoll und mit Zuversicht in die Zukunft zu investieren?», fragte Scholz. «Oder setzen wir unsere Zukunft aufs Spiel?» Danach zählte er eine halbe Stunde lang Gründe auf, warum Wählerinnen und Wählern seiner SPD bei der Neuwahl ihre Stimme geben sollten. Er schloss mit dem Satz: «Ich bitte Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger, um Ihr Vertrauen.»

Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU), der hofft, Scholz als Kanzler nachzufolgen, liess seinem Rivalen das Selbstlob natürlich nicht durchgehen: «Herr Bundeskanzler, Sie haben Ihre Chance gehabt. Sie haben Ihre Chance nicht genutzt», sagte er in seiner Gegenrede. Und heute wie auch zum Tag der Wahl gelte: «Sie, Herr Scholz, haben Vertrauen nicht verdient.»

epa11770540 A handout photo made available by the German Government press service shows German Chancellor Olaf Scholz signing a motion of confidence addressed to the Bundestag President, in his office at the Chancellery, in Berlin, Germany, 11 December 2024. Scholz has submitted a request for a vote of confidence in the German Parliament Bundestag, in order to pave the way for new federal elections.  EPA/GERMAN GOVERNMENT PRESS SERVICE / STEFFEN KUGLER HANDOUT  HANDOUT EDITORIAL USE ONLY/NO SALES

Soll in Deutschland der Bundestag aufgelöst werden, ist das nur in einer komplizierten, mehrteiligen Operation möglich, an der Regierung, Parlament und Bundespräsident einträchtig mitwirken müssen. Artikel 86 des Grundgesetzes gibt dem Kanzler die Möglichkeit, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen – in Ausnahmefällen auch mit der Absicht, diese zu verlieren.

Entzieht das Parlament dem Regierungschef das Vertrauen, kann dieser danach den Bundespräsidenten um die Auflösung des Bundestags bitten. Das Staatsoberhaupt ist in der Frage frei, wird aber die Handlungsfähigkeit einer Regierung im Auge behalten. Innert 21 Tagen muss er entscheiden. Löst er den Bundestag auf, müssen danach innert 60 Tagen Neuwahlen stattfinden.

Im aktuellen Fall haben Regierung, Parteien und Bundestag das Vorgehen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bereits vereinbart. Steinmeier, den Scholz unmittelbar nach der Abstimmung bei einem Besuch um die Auflösung des Bundestags bat, wird diesem Wunsch innert weniger Tage nachkommen. Für die Neuwahl ist schon seit längerem der 23. Februar 2025 eingeplant.

Erst fünf Vertrauensfragen seit 1949, Scholz’ ist die sechste

Dass ein Kanzler im Bundestag die Vertrauensfrage stellt, ist seit 1949 erst fünfmal vorgekommen – mit Scholz nun also ein sechstes Mal. Dabei lassen sich die echten und die unechten Vertrauensfragen unterscheiden: Eine echte Vertrauensfrage wird gestellt, wenn es einem Regierungschef darum geht, seine Koalition in einer strittigen Frage zu einem politischen Treuebekenntnis zu zwingen.

So war es 1982, als SPD-Kanzler Helmut Schmidt im Streit um die Stationierung von amerikanischen Atomraketen in Deutschland und um die Wirtschaftspolitik seinen Sozialdemokraten und der FDP die Vertrauensfrage stellte – und das Vertrauen erhielt. Auch SPD-Kanzler Gerhard Schröder benutzte die Vertrauensfrage einmal in diesem Sinne, um sich 2001 eine rot-grüne Mehrheit zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr zu verschaffen.

Bei allen weiteren Vertrauensfragen, die im Bundestag gestellt wurden, handelte es sich um unechte Fragen: Sie wurden gestellt, um mit Nein beantwortet zu werden und den Weg zu Neuwahlen zu ebnen. So hielt es SPD-Kanzler Willy Brandt 1972, als er sich im Streit um die Ostpolitik seiner Mehrheit im Parlament nicht mehr sicher sein konnte.

Geht Scholz’ Wahlwette auf wie die von Brandt und Kohl?

CDU-Kanzler Helmut Kohl verlor 1982 mit Absicht, weil er, der nicht durch eine Volkswahl, sondern durch ein konstruktives Misstrauensvotum im Parlament ins Amt gekommen war, sich von einer Bundestagswahl zusätzliche Legitimität versprach. Schröder schliesslich zog 2005 im Streit um seine Sozialreform eine vorgezogene Neuwahl einem absehbaren Siechtum seiner Regierung mit den Grünen vor. Im Unterschied zu Brandt und Kohl verlor Schröder seine Wahlwette, wenn auch nur knapp.

Scholz ist der einzige Kanzler, der eine Vertrauensfrage stellte, nachdem er die Mehrheit im Parlament bereits verloren hatte. Am 6. November hatte der Kanzler FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner entlassen. Er war damit der FDP zuvorgekommen, die den Austritt aus der Regierung schon länger geplant hatte.