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Szenarien zur US-Präsidentenwahl
Die Parteien bereiten sich auf das Schlimmste vor

Lange Schlangen vor einem Wahllokal in Durham, North Carolina.
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Nach der Wahl war die Nervosität im Weissen Haus ins Unerträgliche gestiegen, der Präsident musste mit einem Aufstand rechnen. Deswegen griff er zur ultimativen Waffe und drohte mit dem Einsatz von Truppen des Bundes. Über New York würde er das Kriegsrecht verhängen. Sicher würde es zu Gewalt kommen, wenn sich der Kandidat der Demokraten fernab von Washington zum Präsidenten küren lassen würde.

Zwei Tage vor der Vereidigung konnte der Bürgerkrieg abgewendet werden. Der Kandidat der Demokraten, Samuel Tilden, liess sich mit politischen Zugeständnissen kaufen und gab sich geschlagen. Der Republikaner Rutherford Hayes zog als Nachfolger von Ulysses S. Grant ins Weisse Haus ein. Die USA hatten eine Verfassungskrise überstanden. Das Jahr: 1876. Die Vorgeschichte: Die Wahl hatte in vier Bundesstaaten kein eindeutiges Ergebnis erbracht, die Parteien reklamierten den Sieg für sich und nominierten ihre eigenen Leute für das Wahlmännergremium. Und die Verfassung: lieferte keinen Ausweg.

Regeln sind manipulierbar

Mehr als 140 Jahre später könnte den USA ein ähnliches Szenario drohen, wenn nach der Präsidentschaftswahl am 3. November die Stimmen ausgezählt werden. Amerikas Wahlsystem ist marode, die Gesetze sind schwammig formuliert, und das föderale System führt zu einem schier undurchdringlichen Geflecht an Verfahren, Verordnungen, Regeln und Fristen. Die haben allerdings eines gemeinsam: Sie sind manipulierbar.

Nach vier Jahren Donald Trump sind sich Amerikas Wahlbeobachter in einem einig. Der Mann wird freiwillig kaum weichen. In der Kandidatendebatte hat der Präsident gleich zweimal eine Antwort auf die Frage verweigert, ob er ein Wahlergebnis überhaupt respektieren werde. 2016 liess er die Wähler am letzten Tag der Kampagne wissen, dass er ihre Botschaft durchaus akzeptiere – «aber nur wenn ich gewinne». Klarheit könnte allein das sogenannte Erdrutschszenario schaffen. Eine krachende Niederlage wird selbst Trump nicht leugnen. Alle anderen Varianten aber bringen die Wahlbehörden und Strategen der beiden Parteien in Wallung.

Zum ersten Mal seitdem Wahlen öffentlich hoch- und ausgerechnet werden, konkurrieren in diesem Jahr zwei Konsortien um die Deutungshoheit.

Gleichzeitig laufen die Vorbereitungen für die Zeit nach dem 3. November auf Hochtouren. Anfechtungsklagen werden vorbereitet, Anwälte in den wichtigsten Bundesstaaten in Stellung gebracht, Verfahrenswege ausgekundschaftet und lokale Wahlbestimmungen gewälzt. Auf dem Buchmarkt finden sich Titel wie «Electoral Meltdown» (Wahl-Kernschmelze) oder noch direkter: «Wird er gehen?».

Nach dem überaus knappen Ausgang 2016 in den Schlüsselstaaten Wisconsin, Michigan und Pennsylvania muss also auch diesmal mit einer Schlacht um die sogenannten Swing States gerechnet werden. Und die beginnt bereits am Wahlabend. Zum ersten Mal seitdem Wahlen öffentlich hoch- und ausgerechnet werden, konkurrieren in diesem Jahr zwei Konsortien um die Deutungshoheit.

Der Mann wird freiwillig kaum weichen: Präsident Donald Trump bei einem Auftritt in Dallas vor einem Jahr.

Bisher lieferte allein die Nachrichtenagentur AP mit Tausenden von Befragungsteams und direktem Zugang zu den Wahlbehörden ein halbwegs verlässliches Bild der Wahlentscheidung aus allen Winkeln des Landes. Jetzt ist AP aus dem bisherigen National Election Pool ausgestiegen und berechnet die Zahlen im Auftrag des Trump-freundlichen Senders Fox, allerdings auch für die Trump-kritische «New York Times». Der National Election Pool mit dem Demoskopie-Unternehmen Edison Research übermittelt seine Zahlen an CNN und die anderen Fernsehsender. Bereits hier kann also der Streit um die Deutungshoheit des Wahlergebnisses ausbrechen, selbst wenn alle Sender vorab höchste Seriosität und Zurückhaltung gelobt haben.

Wichtige Briefwahl

Die eigentliche Nachwahl-Bearbeitung beginnt aber erst bei der Auszählung der Stimmen, die über unterschiedlichste Wege abgegeben werden können. Auch hier treibt der US-Föderalismus seltsame Blüten, er kennt kein einheitliches Wahlgesetz. Mindestens drei Viertel der Wahlberechtigten haben in diesem Jahr die Möglichkeit, per Post oder anderen Vorwahlverfahren die Stimme abzugeben, 80 Millionen Amerikaner haben bereits die Unterlagen angefordert, groben Schätzungen zufolge könnte der Anteil für «absentee voting» (Abwesenheit) oder «early voting» (vorzeitige Stimmabgabe) von 42 Prozent (2016) auf bis zu 60 Prozent steigen. Diese Zahl ist bedeutsam: Je höher die Wahlbeteiligung, desto gefährlicher für Donald Trump. Wahlforscher erwarten, dass eine hohe Wählermobilisierung dem Demokraten Joe Biden nützt. Zwar gibt es keine Belege dafür, dass Briefwahl und vorzeitige Stimmabgabe (in manchen Staaten kann seit 18. September gewählt werden) per se den Demokraten helfen. Aber es geht um die Wahlbeteiligung, und die kann angesichts von Corona und notorischen Engpässen in Wahllokalen durch die Briefwahl nach oben schnellen.

Die Republikaner bereiten Anfechtungsklagen in mindestens sechs der wichtigen Schlüsselstaaten vor.

Trump jedenfalls hat sich festgelegt und versucht seit Monaten, das Verfahren zu diskreditieren. Auf Wahlveranstaltungen oder per Twitter raunt er von Betrug und Manipulation, sackweise sollen Stimmen aus China eingetroffen sein, so gehen die Gerüchte. Belege gibt es keine. Bei den vergangenen zwei Wahlen wurde laut US Elections Assistance Commission lediglich ein Prozent der vorab deponierten Stimmen für ungültig erklärt – was allerdings in hart umkämpften Staaten durchaus einen Unterschied ausmachen kann, in Wisconsin entschieden nur 23’000 Stimmen.

Ein Prozent – das wird der Wahlmaschine der Republikaner aber nicht reichen. Sie bereiten nach Recherchen diverser Medien Anfechtungsklagen in mindestens sechs der wichtigen Schlüsselstaaten vor. Protokolle und Tonmitschnitte interner Parteibesprechungen zeigen, dass Wähler nicht nur bei der Abgabe der Stimme bedrängt oder eingeschüchtert werden sollen, sondern dass auch die Auszählung behindert werden könnte. Anfechtbar sind alle möglichen Details im Briefwahlverfahren – die genaue Platzierung der Unterschrift, die Lesbarkeit des Namens, die Authentizität des Wahlzeugen, der Wohnort im Bundesstaat.

Auftritt in Florida: Wahlforscher erwarten, dass eine hohe Wählermobilisierung dem Demokraten Joe Biden nützt.

Sicher ist: Spätestens am Wahlabend wird die Zulassung der vorab abgegebenen Stimmen angefochten werden. In den Swing States Pennsylvania und Wisconsin dürfen Briefe allemal erst am Wahltag geöffnet werden, was zu einer Verzögerung bei der Auszählung führen wird. Michigan, ebenfalls schwer umkämpft, öffnet die Umschläge erst zehn Stunden vor dem Wahltag. In Florida darf hingegen jetzt schon gezählt werden. Wegen des enormen Postaufkommens wird auch umstritten sein, ob nachträglich eingetroffene Briefe anerkannt werden – Details, die in der Summe die Wahl entscheiden können und über die schon vor Gerichten verhandelt wird.

Der 8. Dezember als Zieldatum

Die Strategie der Verzögerung und Delegitimierung hat ein Zieldatum: den 8. Dezember. An diesem Tag müssen die Bundesstaaten ihre Wahlfrauen und -männer benennen, die nach dem US-System am 14. Dezember im Electoral College den Präsidenten wählen. Eigentlich eine Formalität und das langweilige Ende eines aufreibenden Wahlprozesses. Allerdings: Nirgendwo in der Verfassung steht geschrieben, wie genau die Bundesstaaten ihre Wahlleute bestellen.

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Ist also bis zum 8. Dezember ein Wahlergebnis umstritten oder wegen der Verzögerung bei der Auszählung nicht belastbar, könnten bisher unvorstellbare Szenarien eintreten. Wie verwundbar das System ist, hat die Präsidentschaftswahl 2000 gezeigt, als der Supreme Court die Neuauszählung in Florida stoppte und damit George W. Bush den Wahlsieg bescherte.

Hier beginnt der eigentliche Albtraum der Verfassungsrechtler, denn sollte bis zum sogenannten Safe Harbor Day am 8. Dezember ein Bundesstaat keinen klaren Sieger vorweisen, könnten die Abgeordneten im Parlament des Bundesstaates per Mehrheitsvotum ihre Delegierten benennen – eine faszinierende Perspektive für die Republikaner, die in den am meisten umkämpften Staaten Arizona, Florida, Michigan, North Carolina, Pennsylvania und Wisconsin die Mehrheit stellen.

Wann ist das Drama beendet?

Freilich ist die Verfahrenslage auch in den Bundesstaaten umstritten. Neben dem Parlament darf sich auch der Gouverneur oder der für die Wahl zuständige Beamte berufen fühlen, Wahlleute zu benennen. Dann käme es etwa in den Staaten Michigan, North Carolina, Pennsylvania und Wisconsin zu einem Patt, denn dort sitzen Demokraten an der Regierungsspitze.

Das Ergebnis in diesem perfekten, aber denkbaren Chaos könnte ein Szenario wie 1876 sein. Bundesstaaten entsenden zwei konkurrierende Gruppen von Wahlleuten, und das Electoral College ist blockiert.

Selbst dann ist das Drama noch lange nicht beendet. Im Falle der Blockade muss der Präsident des Senats in Washington eingreifen – Vizepräsident Mike Pence. Was nun folgt, ist eine Anleitung zum Bürgerkrieg, denn das für exakt diesen Katastrophenfall verfasste «Wahlzählungsgesetz» taugt nach einhelliger Meinung der Juristen nicht, um eine Blockade in Senat oder Repräsentantenhaus aufzulösen und einen Präsidenten zu bestimmen. Dass Amtsinhaber Trump bis zu diesem Zeitpunkt abwartet, ist eh unwahrscheinlich. Diversen Apokalypse-Szenarien in Washington zufolge marschieren zu diesem Zeitpunkt bereits die Milizen.

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