Hobbyspekulanten im HochAmerikanische Anleger tanzen ohne Fangnetz auf dem Hochseil
Erstmals seit 60 Jahren sind Kleinanleger wieder eine treibende Kraft im Aktienmarkt. Sie sind jung und haben noch nie einen Crash erlebt.
Für den Boom haben die alten Herren wenig Schmeichelhaftes übrig. «Mir sind die armen Fische, die spekulieren, an sich egal», sagt der 97-jährige Charlie Munger, Compagnon des legendären Warren Buffett. «Aber ich hasse die Profis, die diese Dummköpfe an die Angel nehmen. Es ist nicht nur stupid, es ist beschämend.»
Seit einem Jahr steigt die Zahl der Kleinanleger in den USA massiv. Der Corona-Lockdown, der Crash im Frühjahr 2020 sowie der kostenlose Aktienhandel auf Handelsplattformen wie Robinhood schufen eine einmalig günstige Ausgangsposition.
Mindestens zehn Millionen Anleger stiegen nach dem Crash in den Aktienmarkt ein, so schätzt die Investmentbank JP Morgan, davon über sechs Millionen bei Robinhood. Sie sind im Durchschnitt 35 Jahre alt. Personen, die vor Corona investierten, waren im Schnitt 48 Jahre alt.
Taschengeld geht an die Börse
Die Folge dieses Booms: Der Aktienanteil im Depot der Anleger stieg bis im April 2021 auf 41 Prozent. Das ist der höchste Stand seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 1952.
Zum letzten Mal waren die individuellen Anleger in den 1960er-Jahren eine derart starke Kraft an der Börse, als sie über 85 Prozent der Aktien kontrollierten. Danach übernahmen Anlagefonds und Wallstreet-Banken mit der Verwaltung von Pensionskassengeldern diese Rolle, und der Aktienanteil der individuellen Investoren sank auf 38 Prozent.
Der Ansturm wird untermauert von hervorragenden Gewinnen von Hightechfirmen, aber auch des Detailhandels und der verarbeitenden Industrie. Die Anleger verfügen zudem über ein «Taschengeld» von mehreren Tausend Dollar, das ihnen dank der Corona-Staatshilfen zugeflossen ist. Diese Staatsgelder haben auch den Konsum der Haushalte beflügelt. Um hohe 6,4 Prozent dürfte die US-Wirtschaft deshalb dieses Jahr wachsen, so stark wie seit 1984 nicht mehr.
Dass der Aufschwung den Optimismus der Anleger antreibt, ist nachvollziehbar. Korrigiert die Börse nur um ein Prozent, so sind die Anleger sofort zum Kaufen bereit. Vermögensverwalter berichten auch, dass die jüngeren Anleger oft Aktien von kleineren und vernachlässigten Firmen kaufen und Obligationen links liegen lassen.
«Kleinanleger haben im vergangenen Jahr sehr viel Geld gemacht.»
Wie lange die Hausse weitergeht, ist offen, doch drängen sich Erinnerungen an den Börsencrash 2000 auf. «Kleinanleger haben im vergangenen Jahr sehr viel Geld gemacht», sagt Nikolaos Panigirtzoglou, Direktor von JP Morgan. «Aber das Risiko steigt parallel zu ihrem hohen Aktienanteil, was dazu führen wird, dass sie die Profite einstreichen und en masse aus dem Markt aussteigen werden. Das ist genau, was 2000 passiert ist.» Es ist ein Tanz auf dem Hochseil – ohne Netz.
Verschärfend kommt hinzu, dass viele Aktien auf Pump gekauft haben. Ihnen droht der Zwangsverkauf der Aktien, sobald der Wert ihrer Papiere unter die Kreditlimite fällt. Eine solche Liquidation wird den Abwärtstrend verschärfen, wie die Gamestop-Spekulation zu Beginn des Jahres gezeigt hat.
«Wenn etwas nicht mehr steigen kann, so muss es fallen», besagt eine alte Binsenwahrheit. Das gilt besonders für Unternehmen, die ohne Aussicht auf baldige Gewinne und mit hohen Schulden an die Börse gegangen sind.
Die Gier ist zurück
Dutzende haben dafür das Vehikel einer «Blankocheckgesellschaft», auch bekannt als Spac, benützt, das enormen Kursschwankungen ausgesetzt ist. Seit 2020 sind Spacs in Rekordzahl an die Börse gekommen und versprechen hohe Gewinne, ohne dass die Anleger wissen, wie ihr Geld investiert wird. Es gibt relativ wenig Investoren, die nicht spekulative Blasen in Teilen des Finanzmarktes sehen. Als Beispiel dient die viel beachtete Bitcoin-Manie: 2019 schien sie zu verfliegen, als der Preis von 20’000 auf unter 4000 Dollar stürzte. Aber die Gier ist zurück – der Preis ist mittlerweile auf über 56’000 Dollar angestiegen.
«Ich hasse eine Währung, die für Kidnapper und Erpresser nützlich ist.»
Unter jüngeren Anlegern gilt Bitcoin mittlerweile als Alternative zu Gold, die Rückschläge der Aktien abfedern soll. Buffetts Spezi Charlie Munger hat nie Gold gekauft und wird auch Bitcoin meiden. «Ich hasse eine Währung, die aus dünner Luft geschaffen wurde», sagte Munger am Aktionärstag von Buffetts Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway letzte Woche. «Ich hasse eine Währung, die für Kidnapper und Erpresser nützlich ist. Die ganze verdammte Entwicklung ist abstossend und konträr zu den Interessen der Zivilisation.»
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