Zögern bei Affenpocken-Tests und ImpfstoffAlle impfen – ausser die Schweiz
Die Affenpocken-Fallzahlen nehmen zu. Trotzdem fehlt in der Schweiz die Impfung. Jetzt fordern Schwule die Ausrufung der besonderen Lage. Und ein betroffener Assistenzarzt erzählt von seinem Leid.
«Es juckte wochenlang, und ich hatte Fieber», sagt Dario S. Er hat sich Anfang Juli beim sexuellen Verkehr mit Affenpocken angesteckt. Weil die Krankheit stigmatisiert wird, möchte er sich nicht mit Namen äussern. Er will aber einen Beitrag zur Aufklärung leisten und das Bewusstsein für diese Krankheit fördern.
«Die Dunkelziffer ist extrem hoch», sagt der 33-jährige Assistenzarzt aus Zürich. Zwei bis vier Fälle pro Tag behandelt er in seiner Praxis. Viele, die sich mit Affenpocken anstecken, leiden im Stillen, statt sich behandeln zu lassen. «Die meisten Patienten wissen gar nicht, dass sie sich mit Affenpocken angesteckt haben, denn die Symptome sind sehr unterschiedlich.»
Er selbst habe keine Hautpocken gehabt, dafür geschwollene Lymphdrüsen, rektale Beschwerden und ein diffuses Unwohlsein. Manche Patienten hätten Hautveränderungen im Gesicht, in der Genital- oder Analregion. Wer die Hautgeschwülste ausdrückt, kann Entzündungen verursachen. Die Symptome treten oft einige Tage oder Wochen nach der Ansteckung auf. Die Inkubationszeit beträgt 5 bis 21 Tage. Bei Dario S. waren es 14 Tage.
Eigentlich gäbe es inzwischen einen Impfstoff. Entwickelt hat ihn die Firma Bavarian Nordic. Doch noch ist die Impfung in der Schweiz nicht zugelassen. Es liegt in der Verantwortung des Pharmaunternehmens, einen Antrag auf Zulassung bei Swissmedic einzureichen. Das ist bisher nicht erfolgt. «Die Herstellerfirma Bavarian Nordic ist derzeit nur bereit, ihren Affenpocken-Impfstoff in grösseren Mengen zu liefern», sagt das BAG. Es würden keine kleinen Bestellungen bearbeitet. Deshalb prüfe der Bund derzeit die Möglichkeit einer zentralen Beschaffung. Die Eidgenössische Kommission für Impffragen ist daran, Empfehlungen auszuarbeiten.
«Es wäre höchst fragwürdig, falls der Bund erst reagiert, wenn die gesamte Bevölkerung betroffen ist.»
Dieses Zögern ist für Roman Heggli von Pink Cross, dem Verband für schwule, bisexuelle und queere Männer, nicht hinnehmbar. Gemäss Heggli fühlen sich die Schwulen vom Bund im Stich gelassen. «Viele stellen sich die Frage, ob weggeschaut wird, solange die Krankheit ‹nur› schwule und bisexuelle Männer betrifft.» Er fordert die Ausrufung der besonderen Lage. «Das ist keine Erkältung, sondern eine ernsthafte Krankheit, die bleibende Schäden verursachen kann», so Heggli. Das BAG macht allerdings geltend, dass der Bundesrat in der besondere Lage keine zusätzlichen Kompetenzen hat, welche eine Beschaffung erleichtern würde. Heggli ist trotzdem überzeugt: «Man könnte meinen, dass die Behörden nichts gelernt haben aus dem Debakel um die Covid-Impfstoff-Beschaffung.»
Gerade im Vorfeld zur Street Parade wäre es aus Hegglis Sicht wichtig gewesen, genügend Tests und Impfstoff bereitzustellen. Für Heggli ist klar: Dass die Affenpocken auf andere Bevölkerungsgruppen übergingen, sei «nur eine Frage der Zeit». In Deutschland wurde das Virus am Dienstag erstmals bei einem vierjährigen Kind entdeckt. Heggli sagt: «Es wäre höchst fragwürdig, falls der Bund erst reagiert, wenn die gesamte Bevölkerung betroffen ist.»
Mediziner rät zum Impf-Tourismus
Assistenzarzt Dario S. weist darauf hin, dass die Schweiz ganz unten auf der Warteliste für den Impfstoff steht. Er geht nicht davon aus, dass der Impfstoff in naher Zukunft in der Schweiz verfügbar sein wird. Der Mediziner sagt, dass es eine grosse Präventionskampagne bräuchte. «Die Leute wissen nicht, dass die Symptome sehr atypisch sein können, und lassen sich nicht testen, weil sie denken, dass es ohne die typischen Hautausschläge keine Affenpocken sind.»
Zwar könnte die Krankheit bei einem milden Verlauf von selbst heilen, sagt Dario S. «Doch erstens dauert das sehr lange, zweitens kann es sehr schmerzhaft sein, und drittens können Narben bleiben.» Wer die Möglichkeit habe, solle sich im Ausland impfen lassen, statt auf die Schweiz zu warten. Einige seiner Patienten hätten diese Möglichkeit genutzt und sich zum Beispiel in Frankreich impfen lassen. Die EU-Kommission hat den Impfstoff gegen die Affenpocken zugelassen. Damit ist nun in den 27 EU-Staaten sowie in Island, Liechtenstein und Norwegen ein Impfschutz verfügbar. Auch in Kanada und in den USA sind Impfungen bereits kostenlos und unbürokratisch möglich.
Dass die Krankheit ernsthaft gefährlich ist, zeigen zwei Fälle aus Spanien. Dort sind Ende Juli zwei Personen im Zusammenhang mit den Affenpocken gestorben. Die beiden Männer hatten eine Hirnentzündung als Folge der Infektion entwickelt, die tödlich verlief. Es handelt sich um die ersten bekannten Todesfälle durch die Krankheit in Europa.
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