Wende nach den VerhörenAlle gegen alle nach dem Seilbahnunglück
Das Gericht von Verbania lässt zwei von drei Angeklagten frei – der technische Betriebsleiter der Bahn am Lago Maggiore steht nach seinem Geständnis unter Hausarrest. Und viele Fragen bleiben offen.
![14 Menschen starben – und noch immer ist völlig unklar, warum das Zugseil der Mottarone-Bahn riss.](https://cdn.unitycms.io/images/DTgjsMRW4RTA46EVh12u9u.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=0solIUhHiac)
Die Aufarbeitung des schrecklichen Seilbahnunfalls am Lago Maggiore mit 14 Todesopfern erfährt eine weitere Wendung, es ist wohl nicht die letzte. Eine Voruntersuchungsrichterin am zuständigen Gericht im norditalienischen Verbania hat zwei von drei Angeklagten nach 96 Stunden im Gefängnis wieder freigelassen: nämlich den Chef der Betreibergesellschaft «Ferrovie del Mottarone», Luigi Nerini, 56 Jahre alt, und Ingenieur Enrico Perocchio, Angestellter der Wartungsfirma Leitner, 51. Gabriele Tadini, der technische Betriebsleiter der Seilbahn, 63, seit 36 Jahren da beschäftigt, steht nun unter Hausarrest.
Tadini hatte gestanden, die Bremsen an der schon länger defekten Gondel bewusst und mehrmals deaktiviert zu haben, weil die Bahn sonst hätte geschlossen werden müssen. Alle seien eingeweiht gewesen, behauptete er, niemand habe den Betrieb einstellen wollen.
Nun, das Gericht hält die Indizien gegen Nerini und Perocchio für «zero», null. Tadini habe die zwei nur belastet, um die Verantwortung auch auf andere abzuwälzen, sagte Donatella Banci Bonamici. Sie demontiert damit die These der Staatsanwaltschaft, die davon ausgeht, dass die drei Verantwortlichen der Gesellschaft die Probleme der verunglückten Gondel aus finanziellen Gründen bewusst ausgeblendet hatten.
«Kurioses Geräusch gehört»
Bei den Verhören hat jeder Angeklagte dem anderen die Schuld in die Schuhe geschoben. Nerini, ein bekannter Transportunternehmer in der Gegend, sagte, er verstehe nichts von Sicherheit, das sei die Sache von Tadini und Perocchio. Perocchio wiederum sagte, er habe nichts gewusst von den zwei «forchettoni», den Zangengabeln, die den Bremsmechanismus ausgesetzt haben: Nerini habe die gewollt, Tadini habe sie montiert. Alle gegen alle.
Viele Fragen bleiben offen - so viele, dass Olimpia Bossi, die halbwegs desavouierte Staatsanwältin, nun daran erinnert, dass die Untersuchung erst «ganz am Anfang» stehe. Die drei Männer bleiben angeklagt wegen Tötung in vierzehn Fällen, schwerer Körperverletzung im Fall des einzigen Überlebenden, eines 5-jährigen Jungen, ausserdem wegen Fälschung und Entfernung einer Sicherheitsvorrichtung. Bossi hatte sie im Gefängnis von Verbania festhalten lassen mit der Begründung, es bestehe Fluchtgefahr
Völlig unklar ist noch immer, warum das Zugseil der Bahn am 23. Mai kurz nach 12 Uhr riss. Das kommt nur sehr selten vor. Die Kabine war in jenem Moment nur noch ein paar Meter von der Endstation am Mottarone entfernt gewesen. Da das Notbremssystem nicht einsetzte, rollte die Gondel auf dem Tragseil rückwärts, gewann zusehends an Fahrt, bis sie 100 Stundenkilometer erreichte, und wurde dann beim Aufprall auf einen Pfeiler in die Luft geschleudert.
Tadini erzählte im Verhör, er habe bei der Kontrollfahrt am frühen Morgen des Unglückstags ein kurioses Geräusch gehört. Da die Gondel aber schon seit vergangenem Herbst Sorgen bereitete, immer wieder stockte und sich blockierte, habe er auch an jenem Tag die «forchettoni» an den Bremsen belassen. «Nie, aber wirklich niemals» habe er sich vorstellen können, dass das Zugseil reissen könnte. Das Seil war zuletzt im November 2020 einer magnetinduktiven Prüfung unterzogen worden, einer alljährlichen Routinekontrolle. Probleme sollen dabei keine entdeckt worden sein.
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