Datenanalyse zum MassentourismusUS-Riese Airbnb nutzt wertvollen Wohnraum in der Schweiz – und nichts hilft dagegen
Das Parlament will mit der Verschärfung der Untermiete auch Plattformen wie Airbnb bremsen. Doch eine Datenanalyse zeigt: Der Gigant lässt sich kaum zähmen.
Die Massen überrollen die Schweiz. Immer mehr Touristinnen und Touristen strömen in die Städte, und immer häufiger übernachten sie in Airbnb-Wohnungen. Mit Folgen für die einheimische Bevölkerung: Die Mieten steigen, insbesondere in den Innenstädten. Diese Effekte jedenfalls belegen diverse Studien zu europäischen Städten.
Die grosse Frage ist: Wie sollen sich die Städte in der Schweiz gegen den US-Giganten Airbnb (Börsenwert: 85 Milliarden US-Dollar) wehren? Die Plattform nutzt wertvollen Wohnraum und sorgt damit angesichts von Wohnungsnot und hohen Mieten regelmässig für Ärger.
In der Schweiz sind fast alle Regulierungsversuche verpufft
Am 24. November stimmen die Schweizerinnen und Schweizer über höhere Hürden bei der Untermiete ab. Davon erhoffen sich die Befürworter auch eine Eindämmung von Airbnb. Zwar können Vermieter schon mit dem heutigen Gesetz solche Untervermietungen verbieten. Aber nicht alle Mieterinnen und Mieter halten sich daran. Nun soll die Zustimmung der Vermieter zwingend schriftlich eingeholt werden müssen. So soll eine Sensibilisierung erreicht werden.
Bloss: In der Schweiz ist es bis heute keiner Stadt gelungen, die Angebote von Airbnb nachhaltig einzudämmen. Fast alle Regulierungsversuche sind mehr oder weniger wirkungslos verpufft. Das zeigt eine Analyse zu ausgewählten Städten basierend auf Daten des Beratungsunternehmens Airdna.
Warum funktioniert anderswo, was in der Schweiz nicht klappt?
Roland Schegg forscht an der Fachhochschule Westschweiz unter anderem über Airbnb. Der Tourismusprofessor sagt: «Aus Studien wissen wir, dass die 90-Tage-Regel wenig Wirkung auf die Zahl der Angebote bei Plattformen für Kurzzeitvermietungen wie Airbnb hat.» Die Vermieter nutzten oft Schlupflöcher, etwa indem sie ihre Objekte auf mehreren Plattformen anmelden oder diese schlicht informell abgeben würden. Gerade in touristischen Regionen sei die Nachfrage derart gross und das Vermieten entsprechend lukrativ, dass die 90-Tage-Regel «oft nur als Wachstumsbremse, nicht aber als echte Begrenzung» wirke.
Es kann sogar passieren, dass Städte mit Regulierungen das Gegenteil erreichen – ein noch schnelleres Wachstum. Das hat Stefan Kirchner von der Brandenburgischen Technischen Universität festgestellt. Er forscht im Sonderforschungsbereich «Refiguration von Räumen» zu den Auswirkungen von Airbnb – und er sagt: «Oftmals haben wir paradoxerweise auch beobachtet, dass eine stärkere Regulierung zu mehr Angeboten führt.» Der Grund dafür sei die Rechtssicherheit, die klare Regeln schaffe «und damit erst recht Investitionen ermöglicht».
New York schreckt Airbnb-Anbieter mit hohen Bussen ab
Doch beide Wissenschaftler betonen: Wie auch immer die Regulierungen in einer Stadt ausgestaltet sind, entscheidend ist, ob und wie kontrolliert wird. New York etwa setzte von allem Anfang an auf hohe Bussen – und schreckte so potenzielle Betrüger ab. Die Angebote von Airbnb brachen in sich zusammen.
In der Schweiz ist das anders. Oft gebe es zu wenig Ressourcen für Kontrollen, sagt Tourismusprofessor Schegg. «So ist eine Überwachung neuer Regeln kaum möglich.» Tatsächlich setzt etwa Genf auf das Prinzip Hoffnung: Man wartet schlicht auf Anzeigen aus der Bevölkerung. Und in Interlaken durchforsten die Behörden in mühsamer Kleinarbeit die diversen Plattformen nach unregistrierten Angeboten. Auch die lokale Tourismusorganisation hat erst kürzlich einen neuen Kontrolleur eingestellt. Trotzdem sagt Gemeindepräsident Philippe Ritschard (FDP): «Kontrollen sind Sisyphusarbeit.»
Im Schnitt ist jede zweite Airbnb-Unterkunft ungenutzt
Für viele besonders stossend: Viele Wohnungen, die auf Airbnb angeboten werden, sind nicht durchgehend vermietet. Die saisonalen Leerstände sind teilweise markant – während die Einheimischen keine bezahlbaren Wohnungen mehr finden. In Basel liegt die Auslastung der Airbnb-Angebote im Schnitt nicht einmal bei 50 Prozent, jede zweite Unterkunft ist also ungenutzt. Am besten schneidet Luzern ab mit einer durchschnittlichen Auslastung von 65 Prozent. Aber auch da sind die Schwankungen je nach Saison extrem. Das zumindest zeigen die Daten von Airdna.
Die Idee von Airbnb war ursprünglich, dass Privatpersonen ihre Wohnung oder ein Zimmer für kurze Zeit vermieten, wenn sie selber den Platz gerade nicht brauchen. Doch eine Plattform für die sogenannten Homesharer ist Airbnb vermutlich schon lange nicht mehr. Auch wenn die für die Schweiz zuständige Airbnb-Chefin kürzlich in einem Interview der NZZ sagte, dass die meisten Anbieter auf der Plattform nur eine Wohnung oder eine Unterkunft vermieten würden.
Die Daten des Beratungsunternehmens Airdna widersprechen dieser Aussage: In Interlaken zum Beispiel haben rund zwei Drittel aller Airbnb-Hosts mehr als 6 Unterkünfte im Angebot – 40 Prozent sogar mehr als 21. Auch in Luzern oder Lugano gibt es sehr viele professionelle Anbieter.
Dass es immer mehr professionelle Anbieter gibt, ist auch eine Folge der Regulierungen. Professor Kirchner sagt: Tatsächlich würden Regulierungen vor allem bei den kleinsten Anbietern einen Abschreckungseffekt zeigen. Während professionelle Vermieter besser mit den Vorschriften zurechtkommen würden, könnten kleinere Anbieter anfallende Strafen oder zusätzliche Anforderungen, die mit den Regulierungen einhergehen, nicht so leicht tragen. «Grössere Anbieter haben genug Kapital, um sich anzupassen.»
Was also ist zu tun?
Interlakens Gemeindepräsident Ritschard sagt, er hoffe schon, dass ein Ja zur Untermiete-Vorlage am 24. November Linderung bringe. Auch wenn das umstritten ist. Weil Vermieter Airbnb bereits heute untersagen können. Und weil viele Wohnungen auf Airbnb von den Hauseigentümern selbst angeboten werden.
Lieber wäre Ritschard eine strikte Regel wie in New York. «Wenn man die Wohnung nur noch über Airbnb vermieten dürfte, wenn man selber dort wohnt – ja, das würde ich begrüssen.»
Airbnb-Chef will «Millionen von neuen Unterkünften» auf seiner Plattform
Gegenüber der NZZ betonte die Airbnb-Schweiz-Chefin, dass «Homesharing im Kern keinen Wohnraum wegnimmt». Übertourismus sei ein Fakt, aber 9 von 10 Nächten würden immer noch in Hotels gebucht. Dass Airbnb derart im Fokus stehe, sei «Blaming».
Doch auch Airbnb will vor allem eins: noch mehr wachsen! Airbnb-Chef Brian Chesky sagte in einem Interview mit der deutschen FAZ: «Wir sind zwar heute in fast jedem Land der Welt vertreten, aber in vielen Regionen ist unsere Präsenz enorm ausbaufähig, und wir kratzen noch an der Oberfläche.» Künftig sollen «Millionen von Unterkünften» zusätzlich auf die Plattform kommen. Schon heute sind es 8 Millionen Angebote aus weltweit 100’000 Städten.
Anmerkung: Die Textbox zur Regelung in der Stadt Zürich wurde präzisiert.
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