Digitale Helfer im UnterrichtWissen statt Angst – wie ein Zürcher Gymnasium KI einsetzt
Übersetzen, Rechnen – und Schummeln? Was es braucht, damit Schülerinnen und Schüler und ihre Lehrpersonen die Revolution der künstlichen Intelligenz meistern.
Für Tobias Weber, Rektor des Zürcher Realgymnasiums Rämibühl, ist der Fall klar: «Wir müssen aufhören, über künstliche Intelligenz nur als Gefahr nachzudenken und das Gefühl zu haben, KI mache die Schülerinnen und Schüler dümmer.» Vielmehr sollten sich Schulen der Herausforderung stellen, gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern zu lernen, wie die neuen Tools am besten eingesetzt würden.
«Es wird im Unterricht weiterhin Bereiche geben, in denen Schülerinnen und Schüler eigenständig arbeiten müssen – ohne die Hilfe von KI-Werkzeugen wie beispielsweise Chat-GPT», sagt Tobias Weber. Er hebt jedoch hervor, wie wichtig es sei, KI-Tools sinnvoll zu nutzen. Konkret: Schülerinnen und Schüler müssen das Prompten beherrschen, also lernen, der KI die richtigen Anweisungen zu geben. «Der Output eines KI-Tools ist immer nur so gut wie die Fragen, die man stellt», sagt Weber.
Das Vertrauen, dass die eigene Meinung zählt
Zwar ermögliche KI den Schülerinnen und Schülern, sich gezielter und schneller Informationen zu beschaffen, sagt Gabriela Ochsner, Französischlehrerin am Realgymnasium. «Doch nach einer gewissen Euphorie über die neuen Möglichkeiten wird sich die Schule wahrscheinlich gar nicht so fundamental verändern», so Ochsner.
Die Schülerinnen und Schüler würden sich immer noch mit ihren Kameraden treffen und sich untereinander austauschen. Und die Lehrpersonen weiterhin in irgendeiner Form den Schulstoff vermitteln und das Lernen anleiten. «Jugendliche müssen das Vertrauen finden, dass ihre Meinung zählt, dass sie mit ihrer Meinung auch bestehen können gegenüber digital produzierten Informationen», sagt Rektor Tobias Weber.
Viel genutzt werden KI-Tools für das Übersetzen; die Ergebnisse sind oft hervorragend. Müssen wir dann noch mühsam Fremdsprachen erlernen?
Auf keinen Fall ist dies überflüssig, davon ist Französischlehrerin Ochsner überzeugt. Sie unterstreicht die Bedeutung des «tiefen Verständnisses der eigenen sowie fremden Sprachen». Entscheidend sei, dass man sorgfältig mit Sprache umgehe. Man sollte diese sehr gründlich und sehr genau lernen.
Ochsner erklärt, dass es beim Erlernen einer Sprache nicht nur um Kommunikation geht, sondern auch um das Verstehen und Erleben unterschiedlicher kultureller Realitäten. Als Beispiel nennt Gabriela Ochsner das deutsche Wort «Geborgenheit», für das es im Französischen keine exakte Entsprechung gebe. «Es zeigt, dass fremde Sprachen andere sprachliche Systeme haben, welche auch andere Denksysteme sind», sagt sie.
Kein Ersatz fürs Lernen
KI kann allerdings beim Erlernen einer Sprache eine grosse Hilfe sein: Apps wie Quizlet oder AnkiApp ermöglichen ein personalisiertes Lernen von Vokabeln. Die Häufigkeit, mit der eine Lernkarte präsentiert wird, ist abhängig vom eigenen Antwortverhalten. Durch die Algorithmen kann das Lernen personalisiert werden, und man arbeitet individueller.
Auch im Mathematikunterricht sind die digitalen Helfer eine Ergänzung des Unterrichts. Mathelehrerin Christine Grotzer führt am Realgymnasium ihre Schülerinnen und Schüler früh an moderne Technologien heran. Sie zeigt der Klasse Apps wie Photomath und Wolfram Alpha, die Schritt für Schritt Lösungen liefern und so helfen, grundlegende mathematische Konzepte zu verstehen. «Es ist eine gute Hilfe, wenn man zu Hause bei einer schwierigen Aufgabe nicht weiterkommt. Man kann sie sich vorrechnen lassen, das Problem erkennen und weitermachen», erklärt Grotzer.
Trotz der Nützlichkeit solcher Anwendungen betont auch die Mathelehrerin, dass diese digitalen Lernhilfen den traditionellen Unterricht nicht ersetzen können. Schule biete weit mehr als nur die Vermittlung von Lernstoff und baue auf Interaktion. Neben den kognitiven werden dadurch auch die sozialen Fähigkeiten gefördert. Auch Rektor Weber meint: «Man lernt nicht allein, sondern im Austausch mit anderen, in Begleitung einer Lehrperson, wenn man zusammen etwas erarbeitet, Fragen diskutiert oder Ideen vergleicht.»
Vor allem auch die Rolle der Lehrerinnen und Lehrer unterliegt im digitalen Zeitalter einer grundlegenden Veränderung. Rektor Tobias Weber sagt: «Die Vorstellung, dass die Lehrperson die einzige Wissensquelle darstellt, ist bereits länger nicht mehr adäquat.» Lehrkräfte agierten immer mehr als Moderatoren in einem Bildungsprozess, der es Schülerinnen und Schülern ermögliche, Wissen eigenständig zu erschliessen – unter Zuhilfenahme aller verfügbaren digitalen Tools und Ressourcen wie Internetrecherche, KI-Tools und Datenanalyse. «Wenn es klappt, die Schüler und Schülerinnen so zu begleiten, dass sie am Schluss selbstständig neues Wissen erarbeiten können, dann ist der Auftrag der Schule geglückt», sagt Weber.
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