Neuer Gipfel für den ÄtnaInnert Stunden ist der Vulkan um 15 Meter gewachsen
Forschende müssen die Karte des grössten europäischen Vulkans korrigieren. Und neue Daten per Glasfaser könnten die Frühwarnung verbessern.
Er ist ein Garant für grossartige Bilder. Hochsprudelnde Fontänen, kilometerhohe Rauchpilze, faszinierende Lavaströme. In den vergangenen Tagen war es wieder so weit – nach einer mehr als sechsmonatigen Pause. Der Ätna spuckte wieder so stark, dass die Betreiber des internationalen Flughafens von Catania auf Sizilien am vergangenen Dienstag den Betrieb für mehrere Stunden schlossen.
Der Ausbruch in den vergangenen Tagen mit einer Aschewolke, die bis in eine Höhe von 8 Kilometern ragte, ist allerdings nur eine Episode einer mehrwöchigen aktiven Phase. Sie sollte für die Kartografen des Ätna-Observatoriums mit einer Überraschung enden. Die aktive Phase begann am 14. Juni im Voragine-Krater, der zu den vier grossen Kratern des Ätna gehört. Über drei Jahre war es still im Voragine, doch nun wurden die explosiven Eruptionen zunehmend stärker.
Am 4. Juli begann der Vulkan sich richtig zu öffnen. Lavafontänen sprudelten bogenförmig, Gase, Asche und Gestein wurden kilometerweit hochgeschleudert. Es war ein siebenstündiges Spektakel. Mit dieser Konsequenz: Der Gipfel des Vulkans erhielt eine neue Form durch das ausgeschleuderte Material, das sich dort abgelagert hatte.
Der Ätna ist neu 3369 Meter hoch
Die Kartografen des Ätna-Observatoriums stellten mithilfe von Drohnen fest: Der östliche Rand des Voragine war innert weniger Stunden um 107 Meter angewachsen und erreichte die gleiche Höhe wie der Südostkrater, welcher der bisher höchste Punkt des Ätna war: 3354 Meter über Meer. Doch diese Höhe sollte nicht mehr lange Bestand haben. In den Morgenstunden des 7. Juli, so heisst es im Bulletin des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie (INGV), kam es zu einem weiteren Ereignis, das den östlichen Kraterrand des Voragine nochmals erhöhte. Der Ätna ist nun neu 3369 Meter hoch.
Vulkanforschende schätzen, dass das Gebiet um den Ätna vor etwa 500’000 Jahren erstmals vulkanisch aktiv wurde. Der Vulkan produziert heute kontinuierlich Gase, die aus den Gipfelkratern entweichen. Er ist geprägt durch lange erkaltete Lavaflüsse, die weit ins Tal hinunter reichen. Hunderte Kegel, verteilt über die Hänge des Vulkans, zeugen von seitlichen Eruptionen. Die Fachleute sprechen von Vulkanrissen.
Unberechenbare Ostflanke
Aktive Vulkane wie der Ätna, die regelmässig Asche und Gestein spucken und Lava ergiessen, verändern ihre Kraterform sehr schnell. Früher verbrachten die Forschenden noch viel Zeit im Gebiet des Ätna-Gipfelkraters, um die Topografie auszumessen. Heute sei dort die Umgebung zu gefährlich, heisst es in einer Mitteilung des INGV.
Die modernen Daten stammen deshalb von Satelliten und von Drohnen, die regelmässig und kostengünstiger den Vulkan ausmessen. Daraus entwickeln die Kartografen digitale Geländemodelle, welche die Veränderungen laufend festhalten. Diese helfen aber auch, mögliche gefährliche Entwicklungen vorauszusehen. Sorgen bereitet die östliche Flanke des Hauptkraters. Sie bewegt sich zwar nur wenige Zentimeter pro Jahr, reicht aber bis ins Meer hinein – was eine besondere Gefahr birgt.
«Rutscht die östliche Vulkanflanke schlagartig ins Meer, kommt es zu einem Tsunami», sagt Charlotte Krawczyk vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam. Die Direktorin des Departements Geophysik und ihr Team verfolgen seit Jahren die Entwicklung des Ätna und vermessen ihn in Zusammenarbeit mit dem italienischen Institut für Geophysik und Vulkanologie. Wann das passieren kann, wissen die Forschenden nicht. Das kann in hundert Jahren sein, in tausend oder noch später.
Glasfasern für Frühwarnung
Das Kerngebiet des GFZ am Ätna ist jedoch nicht die Kartografie. Die Forschenden beschäftigen sich zusammen mit ihren italienischen Kollegen und Kolleginnen seit einigen Jahren mit einer neuen Messmethode, um die chemischen und physikalischen Prozesse im Untergrund besser zu verstehen. Der Ätna ist zwar ein Musterbeispiel, was das Überwachungssystem anbelangt. Er wird wie auch der Vesuv oder der Stromboli seismisch, geochemisch, mit Satelliten und auch Drohnen überwacht.
Trotzdem reichen diese Daten nicht aus, um zuverlässig frühzeitig vor einem Ausbruch zu warnen und dessen Gefährdungspotenzial einzuschätzen. «Wir sind noch weit davon entfernt, Entwicklungen so gut vorauszusehen wie die Meteorologen», sagt Charlotte Krawczyk. Die Physikerin ist jedoch überzeugt, dass mithilfe von Glasfasern die Frühwarnung schon bald verbessert werden kann.
Forschende des GFZ und des INGV experimentieren bereits seit 2018 mit Glasfaserkabeln am Ätna. Dort haben sie in rund 2 Kilometer Entfernung vom Gipfelkrater ein 1,3 Kilometer langes Glasfaserkabel 20 Zentimeter tief in eine Lavaschicht verlegt. Das Prinzip: Die Glasfaser verändert sich bereits bei kleinsten Bodenbewegungen oder Vibrationen. Das hat zur Folge, dass der Lichtimpuls, der mithilfe eines Lasers durch das Kabel gesendet und zurückgestreut wird, zu unterschiedlichen Zeiten gemessen wird. Je nach Glasfasertyp und Messsystem können so auch Temperatur und akustische Wellen erfasst werden.
Kleinste Erschütterungen messen
«Der Vorteil dieser Methode ist, dass selbst winzige Erschütterungen oder Bodendehnungen durch vulkanische Entgasungen und Explosionen auf einen Meter genau lokalisiert und gemessen werden können», sagt Charlotte Krawczyk. Diese Daten seien eine Ergänzung zu den traditionellen Messmethoden.
Noch fliessen sie jedoch nicht in den Datenpool, der für die Frühwarnung verwendet wird. «Wir können aus den Glasfaserinformationen noch nicht einen spezifischen Indikator festlegen, der uns auf einen bevorstehenden Ausbruch aufmerksam macht», sagt die GFZ-Forscherin. Dazu fehlten noch genügend Messdaten. Sie hofft aber, dass die Analyse der aktuellen Ausbrüche sie einen Schritt weiter bringt. «Vielleicht können solche Daten bereits in den nächsten Jahren den Echtzeitbetrieb des Frühwarnsystems ergänzen.»
Das wäre nicht nur ein grosser Fortschritt für die Frühwarnung am Ätna, an dessen Flanke mehr als eine Million Menschen leben und der zu den meistbesuchten Vulkanen weltweit gehört. Es würde den Behörden auch helfen, Ausbrüche des Stromboli, des Vesuvs oder der Phlegräischen Felder frühzeitig zu erkennen. Letztere sind ein Vulkangebiet bei Neapel, das im Moment ruhig ist, aber jederzeit wieder aktiv werden könnte – mit unberechenbaren Folgen.
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