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Gefahr für Island
Alle 800 Jahre wachen die Vulkane nahe Reykjavik auf

TOPSHOT - Molten lava is seen overflowing the road leading to the famous tourist destination "Blue Lagoon" near Grindavik, western Iceland on February 8, 2023. A volcanic eruption started on the Reykjanes peninsula in southwestern Iceland on Thursday, the third to hit the area since December, authorities said. (Photo by Kristinn Magnusson / AFP) / Iceland OUT
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Zum dritten Mal in nur zwei Monaten hat sich letzte Woche auf der isländischen Halbinsel Reykjanes ein langer Riss in der Erde geöffnet, aus dem Lava schoss. Wieder traf es die lokale Bevölkerung hart. Rund 30’000 Menschen waren tagelang bei Minusgraden ohne heisses Wasser. Das ist in Island schlimmer als anderswo, nicht nur wegen des kalten Klimas.

Die Menschen heizen nämlich mit dem heissen Wasser, das ihnen die Geothermie kostenlos liefert, auch ihre Häuser. Und weil der Ausfall länger dauerte, mussten die Betroffenen fürchten, dass die Heizrohre, die ihre Häuser durchziehen, gefrieren und beim Auftauen möglicherweise bersten.

Der erste und zweite Ausbruch im Dezember und Januar bedrohten den Fischerort Grindavik. Jetzt war das geothermische Kraftwerk Svartsengi betroffen, das viele Menschen in der Region mit Energie versorgt. Und es wird vermutlich nicht der letzte derartige Riss bleiben.

Auf der Reykjanes-Halbinsel nahe der Hauptstadt Reykjavik ist ein vulkanisches System erwacht, das rund 800 Jahre geschlafen hat. Das ist in den letzten 4000 Jahren schon mehrmals passiert. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, was den Menschen in Island in den nächsten Jahrzehnten oder vielleicht sogar Jahrhunderten bevorstehen könnte. Die letzte derart aktive Phase der Vulkansysteme auf Reykjanes spielte sich im Mittelalter ab und dauerte rund 400 Jahre, von 800 bis 1240.

Eruptionen an einem ungünstigen Ort

Fünf aktive Vulkansysteme durchziehen die Reykjanes-Halbinsel. Ausgerechnet dort liegt auch das am dichtesten besiedelte Gebiet der ganzen Insel. Fast 70 Prozent der Bevölkerung Islands leben im Grossraum Reykjavik, die vier grössten Städte des Landes liegen in der Region. Der internationale Flughafen Keflavik, über den jedes Jahr immer mehr Touristen ins Land kommen, liegt an der Spitze der Reykjanes-Halbinsel. Auch im Flughafengebäude fiel letzte Woche die Heisswasserversorgung aus.

«Die letzten Eruptionen waren an einem sehr ungünstigen Ort», sagt der Historiker Sverrir Jacobsson, Professor für Geschichte an der University of Iceland in Reykjavik. Er ist spezialisiert auf die Geschichte des isländischen Mittelalters und hat sich mit der Frage beschäftigt, wie die Menschen damals mit den wiederholten Ausbrüchen umgingen.

«Es gibt zwei Methoden, um die mittelalterlichen Eruptionen zu datieren», sagt Jakobsson. Man könne die erstarrte Lava, die man in Island an vielen Orten sehe, untersuchen. Ganz genau ist diese Datierungsmethode allerdings nicht. Oder man verlasse sich auf die schriftlichen Quellen, die in Island Anfang des 13. Jahrhunderts einsetzten.

Siedler mussten mit Vulkanen leben lernen

Besiedelt wurde die Insel in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts im Zeitalter der Wikinger, von Menschen aus Norwegen und von den Britischen Inseln. Im sogenannten Landnámabók ist eine Liste von 400 norwegischen Siedlern aus der Anfangszeit festgehalten. Die Verlässlichkeit dieser Liste ist heute allerdings umstritten. Die ersten Siedlerinnen stammten vorwiegend von den Britischen Inseln. Ob die Norweger sie entführten oder ob die Frauen freiwillig mitreisten, lässt sich nicht mehr klären.

Mit Vulkanausbrüchen mussten die Neuankömmlinge von Beginn weg zurechtkommen. Nicht nur auf der Reykjanes-Halbinsel brodelte es. Aus den Jahren 877 und 939 sind grosse Eruptionen verzeichnet. Vor allem jene von Anfang des 10. Jahrhunderts hatte Auswirkungen über Island hinaus. Ein Schleier zog vor die Sonne, von dem auch Chronisten auf den Britischen Inseln berichten.

1223 gab es zudem eine heftige Explosion beim Vulkan Hekla im Landesinnern, der seither schon mehrmals wieder ausgebrochen ist. Während auf der Reykjanes-Halbinsel eher kurze, nicht allzu starke, dafür häufige Ereignisse stattfinden, sind die Eruptionen der grossen Vulkane im Landesinnern meist heftig.

«Berichte sind erstaunlich nüchtern»

Die amerikanische und die europäische Kontinentalplatte treffen in Island aufeinander. Dieser mittelozeanische Rücken zieht sich von Nord nach Süd durchs Land, zudem reicht ein Arm von der Landesmitte direkt durch die Reykjanes-Halbinsel. Die Platten bewegen sich langsam voneinander weg. Island wächst dadurch jährlich um mehrere Zentimeter, ist aber gleichzeitig ein Land von Feuer und Eis, von Chancen und Gefahren.

«Schon die ersten Siedler lebten mit diesem Widerspruch», sagt Historiker Jakobsson. Die Vulkane boten in den kalten Wintern etwas, wovon man in einer mittelalterlichen Gesellschaft nur träumen konnte: die Möglichkeit, dank der thermischen Quellen jederzeit in heissem Wasser zu baden. So liegen auch viele der ersten grossen Gehöfte in der Nähe vulkanischer Gebiete.

Daran hat sich nicht viel geändert. Island lebt von der geothermalen Energie, die sowieso vorhanden und deshalb billig ist. «Wollen wir sie nutzen, so bleibt uns nichts anderes übrig, als in gefährdeten Gebieten zu siedeln und dort auch unsere Kraftwerke zu bauen», sagt Jakobsson.

Faszinierend sei es, die Aufzeichnungen aus den mittelalterlichen Annalen und Chroniken über die Ausbrüche zu lesen. «Diese Berichte sind erstaunlich nüchtern», sagt der Historiker. Meist nur mit einem Satz werde erwähnt, dass es irgendwo wieder ein Erdbeben oder eine Eruption gegeben habe.

This handout picture released by the Icelandic Coast Guard on February 8, 2024 shows billowing smoke and flowing lava pouring out of a new fissure during a new volcanic eruption on the outskirts of the evacuated town of Grindavik, western Iceland. A volcanic eruption started on the Reykjanes peninsula in southwestern Iceland on Thursday, the third to hit the area since December, authorities said. (Photo by HANDOUT / Icelandic Coast Guard / AFP) / RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY CREDIT "AFP PHOTO /HANDOUT/ICELANDIC COAST GUARD " - NO MARKETING - NO ADVERTISING CAMPAIGNS - DISTRIBUTED AS A SERVICE TO CLIENTS

«Was die Natur tat, konnten die Menschen nicht verändern. Die mittelalterlichen Chronisten interessierten sich deshalb viel mehr für das Handeln ihrer Mitmenschen.» Streitereien und Querelen widmeten sie viele Seiten. Das wird auch in den berühmten Isländersagas deutlich, die wilde Natur spielt nur eine untergeordnete Rolle, Streitereien zwischen Nachbarn waren viel wichtiger.

Doch was verrät der Blick ins Mittelalter über die nahe Zukunft der Reykjanes-Halbinsel? «Wir müssen aus der Vergangenheit ableiten, dass nun eindeutig wieder eine aktive Phase auf der Reykjanes-Halbinsel begonnen hat», sagt die Vulkanologin Bergrún Arna Óladóttir vom Icelandic Met Office. «Doch wie häufig die Ausbrüche stattfinden werden, können wir nicht vorhersagen.»

Anders als im Mittelalter begann die Ausbruchsserie dieses Mal mit dem System Fagradalsfjall, das im Zentrum der Halbinsel liegt, und hat sich jetzt leicht Richtung Svartsengi bewegt. «Es ist aber trotzdem möglich, dass auch andere Systeme, die näher bei der Hauptstadt Reykjavik liegen, noch ausbrechen», sagt Óladóttir. Zudem bestehe immer die Gefahr, dass gefährliche Gaswolken die dicht besiedelten Gebiete um Reykjavik erreichten.

Der Druck bei Grindavik steigt schon wieder

Gewisse Hinweise auf die weitere Entwicklung liefert die Vergangenheit trotzdem. «Bisher ist noch längst nicht die gleiche Menge an Lava aus der Erde gekommen wie damals. Deshalb müssen wir leider noch mit viel mehr rechnen», sagt auch der Vulkanologe Freysteinn Sigmundsson von der University of Iceland, der eine Studie zu den Ausbrüchen um Grindavik veröffentlicht hat.

Welche Auswirkungen das Ganze auf den Tourismus, der ein wichtiger Wirtschaftszweig ist, haben wird, weiss noch niemand. In den letzten Jahren ist die Zahl der Island-Reisenden explodiert. Auch die Ausbrüche ziehen jeweils viele Schaulustige an. Der einzige internationale Flughafen der Insel liegt zwar nicht direkt auf einem vulkanischen System. Doch die Strasse, die vom Flughafen Richtung Hauptstadt führt, könnte von Lavaströmen verschüttet werden. «Auch kritische Infrastruktur, die den Flughafen versorgt, steht in Gefahrengebieten», sagt Sigmundsson.

Schon seit längerer Zeit gibt es in Island Diskussionen darüber, einen zweiten internationalen Flughafen zu bauen. «Es gab Pläne, ihn östlich von Reykjavik zu errichten», sagt Jakobsson. Davon sei man in den letzten Wochen wieder abgekommen. Denn genau dort steigt die Erdbebengefahr, wenn die Systeme auf der Reykjanes-Halbinsel aufwachen. Deshalb wolle man die Planungen jetzt dringend vorantreiben und irgendwo anders bauen.

Es waren anstrengende Wochen für alle auf Reykjanes. Viele arbeiten pausenlos daran, Schutzwälle gegen die Lava zu errichten und neue Wasserrohre zu verlegen. Noch ist unklar, ob die Menschen in nächster Zeit in die Stadt Grindavik zurückkehren können. «Im Moment steigt schon wieder der unterirdische Druck um die Stadt, und wir müssen uns auf weitere Ausbrüche einstellen», sagt Vulkanologe Sigmundsson.