Ethanol-Mangel in der KriseÄmter schieben sich den schwarzen Peter zu
Ende 2018 löste der Bund seine Ethanol-Pandemiereserve auf. In der Verwaltung streitet man darüber, wer dafür verantwortlich ist.
Seit Ende Februar herrscht in der Schweiz ein ausgeprägter Mangel an Ethanol, dem Grundstoff für viele Desinfektionsmittel. Die Knappheit ist darauf zurückzuführen, dass der Bund Ende 2018, also genau ein Jahr vor dem Auftreten des Coronavirus, seine Notreserve aufgelöst hat. Zuvor hatte die Schweiz fast 80 Jahre lang einen Ethanolvorrat gehalten. Zuletzt belief er sich auf 8000 bis 10’000 Tonnen. Gelagert wurden sie in riesigen Silos im luzernischen Schachen. Zweck der Reserve war unter anderem die Landesversorgung im Fall einer Pandemie.
Bis anhin stand das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) im Mittelpunkt der Ethanol-Affäre. Der Grund: Der Versorgungsbericht 2015 des Bundes gibt dem BWL die Verantwortung dafür, sicherzustellen, dass die Ethanolreserven im Fall einer Pandemie ausreichend sind.
Ämter im Clinch
Im BWL, so zeigten Recherchen dieser Redaktion, hat man sich darüber aber keine vertieften Gedanken gemacht. Als im Zuge der Privatisierung der Eidgenössischen Alkoholverwaltung 2018 der Vertrag über die Ethanolreserve auszulaufen drohte, unterliess es das BWL, eine Anschlusslösung zu suchen. Man habe dem liberalisierten Ethanol-Markt Zeit geben wollen, sich neu zu bilden, erklärte eine BWL-Sprecherin. Anschliessend hätte das BWL die Vorratshaltung «mit allen Marktteilnehmern» besprechen wollen.
Im Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung sieht man sich aber zu Unrecht in der Kritik. Die Verantwortung für die Ethanolreserve liege eher beim Finanzdepartement, heisst es aus dem BWL. Tatsächlich beruhte die Ethanolreserve formell nicht auf dem Landesversorgungsgesetz, sondern auf dem Alkoholgesetz. Für dessen Vollzug war zunächst die Eidgenössische Alkoholverwaltung zuständig. Seit deren Privatisierung 2018 ist es die ebenfalls im Finanzdepartement angesiedelte Zollverwaltung (EZV).
Die Zollverwaltung jedoch weist jede Verantwortung für den Ethanol-Mangel weit von sich. Der Handel mit dem alkoholischen Rohstoff sei privatisiert worden, teilte die EZV am Donnerstag auf Anfrage mit. Die Zollverwaltung habe 2018 von der vormaligen Alkoholverwaltung lediglich die Eintreibung der Alkoholsteuern übernommen. Somit bleibt vorerst unklar, wer es seitens des Bundes versäumt hat, die Pandemiereserve zu retten.
Entspannung erst im Juni
Sicher scheint derzeit lediglich, dass die Ethanol-Versorgung in der Schweiz noch längere Zeit knapp sein wird. Verwaltungsinternen Informationen zufolge wird im Juni eine grössere Ethanol-Lieferung aus Brasilien erwartet. Erst dann kann mit einer Entspannung gerechnet werden.
Vorerst braucht die Schweiz weiter kreative Lösungen, um genügend Rohstoff für Desinfektionsmittel für die Corona-Pandemie zu haben. Viele Brennereien, Winzer und selbst Bierbrauer haben in den letzten Wochen begonnen, ihre Produktion von Genussmitteln zu reduzieren und dafür Rohalkohol herzustellen. Ihnen wird die Arbeit so rasch nicht ausgehen.
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