Instagram-Kanal «Accidentally Wes Anderson»Schweizer Orte wie aus einem Film
Amanda und Wally Koval zeigen in höchst erfolgreichen Büchern und im Netz, wo die Welt – und unser Land – wie bezauberndes Kino aussieht. Eine Begegnung in Basel.

Damit er wie eine Figur des US-Kultregisseurs Wes Anderson aussehen würde, müsste Wally Koval etwas tun, was er nicht so gut kann: ernst dreinschauen und vermutlich auch seinen Bart zu einem Schnauz stutzen lassen. Auch Amanda Koval trägt einen eher unauffälligen Look, lacht wie ihr Mann viel und irgendwie auch amerikanisch. Zwei dem Anschein nach recht gewöhnliche US-Touristen betrachten also auf dem Balkon einer aussergewöhnlich grossen Suite im Hotel Les Trois Rois eine wiederum recht gewöhnliche Szene, nämlich, wie ein grünes Basler Tram über eine Rheinbrücke fährt.
Diese filmt Wally Koval mit seinem Handy und wirft seiner Frau Ausdrücke der Entzückung zu, wie charmant, wie «lovely» doch dieses Basel und, überhaupt, diese Schweiz sei.
Dann sagt Wally zu seiner Frau, dass er diese Szene später auf ihren Instagram-Account hochladen werde. Ein uneingeweihter Zuschauer könnte meinen: zwei US-Touristen auf einer Europareise. Aber der Eindruck täuscht. Wally und Amanda Koval tragen mit ihren Bildern und Filmchen massgeblich dazu bei, wie die Welt über die Schweiz denkt, weswegen sogar Schweiz Tourismus – dazu später mehr – mit ihnen zusammenarbeitet.
Zwei Millionen folgen ihrer Schweizreise
Die Kovals werden diese und weitere Eindrücke ihrer zehntägigen Schweizreise mit ihrem Instagram-Publikum teilen, mit knapp zwei Millionen Menschen. Ausserdem fliessen Bilder wie diese in ihre weltweiten Bestseller-Bücher ein. Auf dem Cover ihres ersten Buchs, einem «New York Times»-Bestseller, prangt das ikonische Hotel Belvédère auf dem Furkapass im Wallis. Im Oktober erscheint bei Dumont ihr nächster Band. Er wird vermutlich nicht nur wieder an der Spitze solcher Bestsellerlisten stehen, sondern im Vergleich zu anderen europäischen Ländern aussergewöhnlich viel Schweiz enthalten.
Doch wer sind die Kovals eigentlich? Warum ist die Schweiz eines ihrer Kernländer? Und was machen sie genau?
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Wird das Ehepaar von Menschen, die sie neu kennen lernen, gefragt, was sie tun, antworten sie: «Wir haben ein Medienunternehmen für Reisen.» Dann erklären die Kovals, wer Wes Anderson ist, nämlich ein Regisseur, der in seinen Filmen auf die perfekte Symmetrie, die perfekte Komposition, pastellige Farben und ein wenig Schrulligkeit Wert legt, was etwa in seinem wohl berühmtesten Film «Grand Budapest Hotel» zu bestaunen ist. Alle sechs Wochen brechen die Kovals in alle Welt auf, um zufällig auf diese Symmetrien und Farben bei ihren nicht fiktionalen Reisen zu stossen, weswegen sie ihre Unternehmungen «Accidentally Wes Anderson» genannt haben: zufällig Wes Anderson.
Begonnen habe das im Jahr 2017 als privates Projekt, sagt Wally Koval, 40, in der Napoleon-Suite des Hotels Les Trois Rois in Basel. Diese könnte selbst aus einem Wes-Anderson-Film stammen, man kann sich gut vorstellen, wie darin ein sprechender Upper-Class-Fuchs Tee trinkt.
Vor sieben Jahren führten die Kovals noch ein anderes Leben: Sie wohnten in ihrer kleinen Wohnung in Brooklyn, als Wally Koval – damals arbeitete er noch im Marketing und seine Frau, eine gelernte Konditorin, als Catererin – den Instagram-Kanal @accidentallywesanderson eröffnete, den die beiden heute meist einfach nur AWA nennen.

Er legte dort ein paar Bilder von Orten in aller Welt ab, die er gern noch vor seinem Ableben bereisen würde, ein rostrotes Holzhäuschen auf einem schwedischen See, ein Strand in Florida, ein Hafen in Malta, ein Hotel auf Sylt.
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Auf dieser etwas melancholischen Reisewunschliste waren und sind noch immer verblichene Grandhotels, alte Eisenbahnen, Leuchttürme, in die Jahre gekommene Autos oder andere Vehikel, Schilder oder Gründerzeit-Schwimmbäder zu sehen. Schnell merkten die Kovals, dass sie damit früh einen Nerv getroffen hatten.

Vergangenes Jahr, also sechs Jahre nachdem er den Kanal eröffnet hatte, war auf Tiktok immer wieder etwas zu sehen, womit die Kovals nie zu tun hatten. Viele aber glauben, sie hätten auch diesen Trend ausgelöst: Menschen versuchten ihr eigenes Leben in einen eigentümlich melancholischen Wes-Anderson-Kurzfilm zu verwandeln.
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Der Kern von AWA ist ihre grosse Community, die Kovals nennen sie, und das passt gut, ihre Abenteurer. Ohne sie würde AWA nicht existieren, denn die meisten der AWA-Bilder stammen nicht von den Kovals, sondern von Menschen, die ihnen diese Fotos aus aller Welt einsenden, rund 3000 im Monat. Sie zeigen, wie Fiktion unseren Blick auf die Welt verändern kann, wir sehen einen von Sonne und Wind abblätternden Leuchtturm und müssen an Wes Andersons Film «Die Tiefseetaucher» denken – die Kovals und ihre Abenteurer sind daher so etwas wie Kino-Paläontologen.
Die meiste Zeit sind die beiden aber weniger mit touristischen Ausgrabungen beschäftigt, sondern arbeiten von zu Hause aus, zwischen Küche, Wohnzimmer und ihrem Büro, in dem sich alles stapelt, was zum AWA-Kosmos noch gehört – Postkarten, Pins, Sticker, Mützen –, und das sie von dort aus genauso in die Welt senden wie ihre Posts, Newsletter und Reisetipps auf ihrer Seite. Ihr Alltag besteht so öfter, das sagen sie, aus Telefonaten, E-Mails, Tabellenkalkulationen und Computer-Recherchen. Gerade sind sie aus einem Apartment aus Brooklyn zurück nach Delaware gezogen, wo sie sich vor 17 Jahren an einem Strand kennen gelernt hatten.
In der Schweiz wohnen? «Warum nicht?», sagen die Kovals
Ihre Reisen führten die beiden in 22 Länder. Bevor sie vergangenes Jahr zum ersten Mal in die Schweiz kamen, dachten sie, das Land bestehe vor allem aus Photoshop-Künstlern, denn sie konnten nicht glauben, dass die Vielzahl der Bilder, die sie aus der Schweiz erreichten, real sind.

Doch dann bereisten sie die wirkliche Schweiz mit Gondeln und Bahnen und ihnen fiel diese gewisse Wes-Anderson-Ästhetik auf und dass sie nur zwei Stunden brauchten, um auf einem schneebedeckten Gipfel zu stehen und dann an einem See unter Palmen zu essen. «Ein Wunderland», sagt Amanda Koval und dass es neben New York drei Städte gäbe, in denen sie sich vorstellen könnten zu leben, die Weltstädte Tokio und Buenos Aires – und Bern. In die Aare springen und sich treiben lassen, die beschaulichen Gässchen, die Liebenswürdigkeit der Plätze, der langsame Beat – das gefiel den Kovals. Das gefällt auch ihren Abenteurern – und darauf wurde vergangenes Jahr Schweiz Tourismus aufmerksam, weswegen sie, als erste Tourismusdestination weltweit, eine Kooperation mit den Kovals einging. Ziel dürfte sein, möglichst viele von den AWA-Abenteurern ins Land zu locken.
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Unter den Posts, die die Kovals nach ihren Schweizreisen veröffentlichen, wimmelt es nur so von zukünftigen Schweiz-Abenteuern:
«Ich kann es kaum erwarten, die Schweiz zu bereisen!» – «Nächstes Reiseziel: die Schweiz, im Stil von Wes Anderson». – «Die Giessbachfälle sind sehr @accidentallywesanderson – der Wasserfall, das Hotel, die Seilbahn. Besucht es» – «Das richtige Grand Budapest Hotel» – «Nach diesem Video möchte ich unbedingt einmal in einem Basler Tram mitfahren!» – «Vamos!»
Sorgt «Accidentally Wes Anderson» für Overtourism?
Doch ist die Gefahr nicht gross, dass an manch beschaulichen Schweizer Orten plötzlich zu viele Menschen sind? Overtourism durch AWA?

«Wir versuchen, nicht Trip Advisor zu sein», sagt Wally Koval, also eher unbekanntere Orte vorzustellen. Und sie rufen ihre Abenteurer immer wieder dazu auf, verantwortlich zu reisen. «Wir wollen gern die Fliege an der Wand sein», sagt Wally – und meint damit Tourismus, der zwar existiert, aber unauffällig ist. Aber ist das nicht naiv?
Das kleine Koval-AWA-Imperium und ihr Einfluss erinnert – bei aller Subkultur, die der Name Wes Anderson mit sich bringt – an ein anderes kosmopolitisches Unternehmerpaar, an Tony und Maureen Wheeler und damit an die Anfänge von deren Reiseunternehmen Lonely Planet. «Wir versuchen, abseits der ausgetretenen Pfade Orte aufzuzeigen, von denen die Leute noch nie gehört haben», fasst Wally Koval die AWA-Strategie zusammen, und sie könnte direkt aus einer der blauen Lonely-Planet-off-the-beaten-track-Fibeln stammen, die man überall auf der Welt antrifft, nur eben nicht off the beaten track. Da Wally Koval ein cleverer Mann ist, der sich aufgrund seines früheren Marketing-Berufs mit den Dynamiken des Netzes auskennt und weiss, was ein Post auslösen kann, sagt er: «Ein Risiko bleibt natürlich.»

Mittlerweile leben vier Menschen von AWA. Sie verdienen ihr Geld nicht nur mit Kooperationen und Büchern, sondern auch mit Ausstellungen, die AWA-Show in Seoul zählte eine Viertelmillion Besucher. Rund 60 Prozent der Bilder und Videos auf den Reisen der Kovals seien geplant, die Reiseroute sei festgelegt, die restlichen 40 Prozent entstünden zufällig während ihrer Trips, sagen die Kovals. Ihnen ist wichtig, dass sie beim Fotografieren kaum ins Geschehen eingreifen. «Wir haben nicht ganz die Ethik eines ‹National Geographic›-Dokumentarfotografen, aber wir orientieren uns daran.» Die meiste Zeit warten sie einfach, bis etwas geschieht, ein Mensch ins Bild tritt, ein Auto, das zur AWA-Ästhetik passt, hineinfährt, und dann drücken sie ab – so ist das auch auf ihrer Basel-Safari.
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Und was sagt eigentlich Wes Anderson zu all dem? Als die Kovals ihren Kanal 2017 starteten, fragten sie ihn nicht um Erlaubnis – und als ihre Unternehmung dann durch die Decke ging, war es zu spät. «Er hätte sagen können: ‹Schaltet diesen Kanal ab, gebt mir das Passwort!› Aber stattdessen sagte er: ‹Ihr könnt Bücher in meinem Namen machen – und ich schreibe euch ein Vorwort›», sagt Wally Koval.

Wes Anderson mag die Abenteuer der Kovals, er unterzieht sie vor der Veröffentlichung nur einem prüfenden Blick. Beim ersten Buch hatte er lediglich einen Änderungswunsch. Die Kovals hatten für das Cover ein Hotel in Prag gewählt, das dem fiktiven Grand Budapest Hotel aus dem Film ähnlich war. Er schrieb ihnen: «Was ich an euch mag, ist, dass das, was ihr tut, nicht so viel mit dem zu tun hat, was ich mache», daher wünschte er sich ein anderes Cover-Motiv, es war ihm zu nahe am Original. Die Wahl fiel dann, in Abstimmung mit Anderson, auf das erste je auf dem AWA-Instagram-Kanal gepostete Foto von Wally Koval. Es stammt von einem Schweizer Hobbyfotografen und zeigt ebenjenes Hotel Belvédère auf dem Furkapass. So kam die Schweiz nicht nur auf das Cover eines Weltbestsellers, sondern auch mehr und mehr ins Leben der Kovals, alles ganz zufällig.
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