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7 Punkte zum Prämienschub
Welche Kassen erhöhen die Prämien besonders stark?

Bundespraesident Alain Berset spricht an einer Medienkonferenz zu der Erhoehung der Krankenkassenpraemien 2024, am Dienstag, 26. September 2023, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
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Alain Berset liebt den grossen Auftritt. Doch auf die Bekanntgabe der neuen Krankenkassenprämien am Dienstag hätte er wohl gern verzichtet. Diese steigen um 8,7 Prozent, so stark wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. Kurz vor seinem Rücktritt per Ende Jahr muss der Gesundheitsminister diese miserable Nachricht überbringen. Wie konnte es dazu kommen? Welche Krankenkassen sind am stärksten betroffen? Und wie reagiert die Politik? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Warum schlagen die Prämien so heftig auf?

Berset führt den ausserordentlichen Prämienschub auf den unerwartet hohen Anstieg der Kosten im vergangenen Jahr und in der ersten Hälfte dieses Jahres zurück. Dies haben die Krankenkassen und der Bund bei der letzten Prämienrunde unterschätzt. Entsprechend reichen die gegenwärtigen Prämien nicht, um alle Auslagen zu decken. Allein im ersten Halbjahr 2023 stiegen die Kosten um 6,4 Prozent. (Wahl der Krankenkassen 2024: Mit drei Schritten sparen Sie Hunderte Franken Prämien)

Am stärksten stiegen die Kosten im letzten Jahr für ambulante Spitalbehandlungen (+8,5 Prozent). Auch die Rechnungen der Arztpraxen fielen höher aus (+5,1). Zwar blieb die Anzahl Arztbesuche pro Patientin und Patient stabil, aber die Kosten pro Besuch nahmen zu. Für Medikamente mussten die Krankenkassen 5,5 Prozent mehr bezahlen, wobei vor allem die Kosten für Krebsmedikamente, Immunsuppressiva und Antidiabetika markant zulegten.

Doch damit nicht genug. Auch an den Finanzmärkten lief es den Krankenversicherern schlecht. Sie haben im letzten Jahr 1,8 Milliarden Franken verloren, weil die Börse schwächelte und der Wert der Anlagen dadurch sank. Zudem haben Nachholeffekte der Pandemie zu Verlusten von 1,7 Milliarden geführt. Diese beiden Faktoren haben die Reserven der Kassen so weit reduziert, dass kein Polster mehr vorhanden ist, um die Prämienerhöhung abzufedern. (Lesen Sie unseren Leitartikel: Wir leisten uns zu viel Luxus im Gesundheitswesen)

Welche Krankenkassen erhöhen die Prämien besonders stark?

Bemerkenswert sind die Aufschläge der KPT. Sie offerierte für 2023 in vielen Städten das günstigste Angebot. Doch jetzt verliert sie ihren Spitzenplatz. Zum Beispiel in Zürich. Hier fuhr man bisher mit KPTwin.win und einer Franchise von 2500 Franken am günstigsten. Die KPT schlägt nun aber um ausserordentliche 16 Prozent auf und muss den ersten Platz dem HMO-Modell von Atupri überlassen, das seine Prämie nicht erhöht.

Auch in Bern und St. Gallen bietet die KPT nächstes Jahr nicht mehr die tiefste Prämie an. Ihre diesjährigen Tarife waren wohl zu günstig. Derart günstig, dass sie die Zahl ihrer Kunden um mehr als 50 Prozent erhöhen konnte. Fast 200’000 Versicherte haben zur KPT gewechselt, was in diesem Ausmass zuvor noch keine Krankenkasse geschafft hatte. Nun aber muss die KPT korrigieren und überdurchschnittlich stark aufschlagen. Damit wird sie wohl einen beträchtlichen Teil der Kundschaft wieder verlieren. Auch muss die KPT ihren Reserven Sorge tragen, sind doch diese unter die vom Bund vorgeschriebene Mindesthöhe gefallen.

Wer aber ist nun neu am günstigsten? In Bern und Genf ist es Sanitas, in Basel Mutuel, in Winterthur Concordia, in St. Gallen Vivao Sympany und in Luzern die Krankenkasse Luzerner Hinterland.

Die einstige Billigstkasse Assura verliert weiter an Boden und muss dringend Reserven aufbauen. Diese lagen per Anfang 2023 mehr als ein Viertel unter der vom Bund vorgegebenen Mindesthöhe.

Sah es nicht auch schon viel besser aus?

Doch. Von 2019 bis 2021 sind die Krankenkassenprämien nur sehr moderat gestiegen – um ein Prozent oder weniger. 2022 sind sie gar um durchschnittlich 0,2 Prozent gesunken. Dies war zum einen auf ein moderateres Kostenwachstum zurückzuführen, aber auch den Abbau von Reserven. Berset hat die Krankenkassen dazu angehalten, ihr Polster zu reduzieren. Jetzt, wo es schlecht läuft, fehlt dieses Polster. Entsprechend heftig schlagen die Krankenkassen auf.

Wie reagiert die Politik?

SVP und FDP geben SP-Bundesrat Alain Berset die Schuld für den «Prämienhammer». Die SVP bezeichnet Bersets Bilanz als Gesundheitsminister als «blamabel». Die Zeche bezahle vor allem der Mittelstand. Die SVP fordert höhere Franchisen für Zugewanderte und eine Minimalversorgung für Asylsuchende. Zudem dürfe es nicht mehr möglich sein, sein Teilzeitpensum so zu optimieren, dass Prämienverbilligung ausbezahlt werde.

Auch die FDP spricht nach mehr als zwölf Jahren sozialdemokratischer Führung des Innendepartements von einer «bedenklichen Bilanz». Sie schlägt ein Budget-Versicherungsmodell vor, das Einsparungen von bis zu 25 Prozent ermögliche. Zudem brauche es im Gesundheitssystem mehr Wettbewerb und einen Digitalisierungsschub.

SP und Gewerkschaften fordern eine Entlastung der Versicherten durch Prämienverbilligung.

Die Mitte empfiehlt ihre Kostenbremse-Initiative als Mittel gegen die stetig steigenden Prämien. Diese setze beim Kostenwachstum an, denn die Prämienexplosion sei ein Abbild der Kostenexplosion im Gesundheitswesen.

Die SP und der Schweizerische Gewerkschaftsbund fordern eine Entlastung der Versicherten durch Prämienverbilligung. Das Rezept sehen sie in der Prämieninitiative der SP, die die Prämienlast der Haushalte auf 10 Prozent begrenzen will. Die SP wirft zudem den Bürgerlichen vor, gemeinsam mit der Pharmalobby Massnahmen zur Kostensenkung zu verhindern. Ebenso propagiert die SP die Einheitskasse.

Die Grünen wollen einkommensabhängige Prämien, wie sie bei der Unfallversicherung bereits existieren. Denn das System der Prämienverbilligung stosse an seine Grenzen. Die heutigen Kopfprämien seien unsozial.

Die Ärzteverbindung FMH verweist darauf, dass ein geringerer Prämienanstieg möglich wäre. Dazu brauche es eine einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen (Efas), preisunabhängige Margen bei Medikamenten, den neuen ambulanten Tarif Tardoc sowie eine wirksame Prämienverbilligung.

Auch der Kassenverband Curafutura sieht in einer Margenrevision, Efas und Tardoc wichtige Reformschritte. Zudem brauche es eine Debatte über den Leistungskatalog. Der Kassenverband Santésuisse fordert Sofortmassnahmen wie die Senkung der Labortarife, der Vertriebsmargen bei Medikamenten und der Generikapreise. Zudem brauche es einen sofortigen Ausbaustopp beim Leistungskatalog.

Steigen die Prämien überall gleich stark?

Nein. Der Anstieg unterscheidet sich von Kanton zu Kanton. Am härtesten trifft es das Tessin. Dort schlagen die Krankenkassenprämien um durchschnittlich 10,5 Prozent auf. Das trifft den Südkanton umso stärker, als dieser bereits in diesem Jahr einen Schub um 9,2 Prozent verkraften musste. Grund dafür sind die Kosten, die im Tessin noch drastischer zunehmen als im Rest der Schweiz. Auch in Zug und in Appenzell Ausserrhoden kommt es zu einer Prämienerhöhung von über 10 Prozent.

In den Kantonen Zürich und Bern liegt der Anstieg mit je 8,3 Prozent leicht unter dem gesamtschweizerischen Schnitt von 8,7 Prozent. Am wenigsten schlagen die Prämien in Basel-Stadt und in Appenzell Innerrhoden auf. Dort kommt es zu einem Plus von je 6,5 Prozent.

Trifft es Kinder weniger stark?

Ja. Die Prämien der unter 18-Jährigen steigen im gesamtschweizerischen Schnitt etwas weniger, nämlich um 7,7 Prozent.

Inwiefern kann die Entwicklung der Löhne mit jener der Prämien mithalten?

Nur sehr, sehr beschränkt. Die Löhne haben seit dem Inkrafttreten der obligatorischen Krankenversicherung 1996 im Schnitt um 30 Prozent zugelegt. Die Prämien hingegen sind viel stärker gestiegen – um über 150 Prozent. Sie haben sich also mehr als verdoppelt. Damit geht die Schere zwischen dem Einkommen der meisten Schweizerinnen und Schweizer und den Kosten für die Krankenkassen immer mehr auf.