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Umstrittener Plan im Kanton Zürich
Von 30 auf 24 Prozent: Natalie Rickli senkt das Ziel bei Prämienverbilligungen

Will den Anteil von Prämienverbilligungsbeziehenden senken: Die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP).
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Am Dienstag kommt der nächste Schock. Der Bund gibt die Krankenkassenprämien fürs Jahr 2024 bekannt. Experten rechnen aufgrund der deutlich gestiegenen Gesundheitskosten mit einem Anstieg von 6 bis 10 Prozent.

Die höheren Prämien bedeuten für das Portemonnaie von Herrn und Frau Zürcher eine starke Zusatzbelastung, zumal die Löhne bei weitem nicht mithalten können und die Preise auch in vielen anderen Bereichen steigen.

Im Bereich der Krankenkassenprämien gibt es zumindest für die Haushalte mit niedrigen oder mittleren Einkommen Abhilfe in Form von Prämienverbilligungen.

Doch ausgerechnet hier plant Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP) Abstriche. Statt 30 Prozent der Bevölkerung – wie der politische Konsens lautet – sollen bis 2027 offiziell nur noch 24 Prozent der Menschen Verbilligungen erhalten. Das ist der Finanzplanung des Kantons zu entnehmen, die kürzlich veröffentlicht wurde. Und das sorgt für Empörung.

«Der Regierungsrat lässt ein wichtiges sozialpolitisches Ziel fallen», kritisiert AL-Kantonsrätin Nicole Wyss. Und er tue dies «feige» über den Finanzplan und unterlasse es, die Öffentlichkeit zu informieren. Dabei missachte er den Willen des Kantonsrats, der die 30-Prozent-Quote bei der letzten Gesetzesrevision einstimmig als Leistungsziel bestätigt habe, sagt Wyss.

«Die Prämienverbilligung soll auch Mittelstandsfamilien entlasten, nicht nur die Haushalte mit den niedrigsten Einkommen.»

Nicole Wyss, AL-Kantonsrätin

Sie betont, dass die individuelle Prämienverbilligung (IPV) keine Sozialhilfe ist. «Sie soll auch Mittelstandsfamilien entlasten, nicht nur die Haushalte mit den niedrigsten Einkommen.» Auch der Mittelstand habe mit einem Kaufkraftverlust zu kämpfen. Die IPV halte schon lange nicht mehr mit den Prämien mit, klagt Wyss. An der Verbilligung zu sparen, könne aber verheerende Folgen haben. Im Extremfall drohe ein Abrutschen in die Sozialhilfe.

Die AL wolle nun zusammen mit der SP, den Grünen und der EVP verhindern, dass die Quote der bezugsberechtigten Personen sinke, kündigt die Politikerin an. Anlass dazu bietet die Budgetdebatte im Dezember, wenn die Planzahlen diskutiert werden.

Gesundheitsdirektion: Folge des neuen Systems

Die Gesundheitsdirektion (GD) wehrt sich gegen die Vorwürfe. «Die tiefere Bezügerquote ist Ausdruck der höheren Bedarfsgerechtigkeit, die vom Kantonsrat mit dem Systemwechsel angestrebt wurde», schreibt GD-Kommunikationschef Patrick Borer.

Tatsächlich änderte das System 2021. Das Ziel war, dass weniger Trittbrettfahrer von Prämienverbilligungen profitieren und das Geld gezielt bei jenen ankommt, die es wirklich nötig haben. Ausgeschlossen wurden etwa Studierende mit reichen Eltern oder Personen, die mittels ausserordentlicher Steuerabzüge auf tiefe steuerbare Einkommen kamen. Der Preis für die Umstellung war, dass es Jahre dauern kann, bis klar ist, wie viel Verbilligungsgelder ein Haushalt erhält.

Mehr Geld für weniger Personen

«Das neue System ist sehr gerecht», schreibt Borer. «Jeder Franken kommt über die Jahre am richtigen Ort an.» So hätten nun zum Beispiel etliche junge Erwachsene den Anspruch auf IPV verloren. Sie hatten die Verbilligung aufgrund alter Steuerdaten erhalten. Doch weil sie inzwischen gut verdienen, mussten sie IPV-Gelder zurückerstatten.

Zur tieferen Bezügerquote trage auch die Anrechnung von 10 Prozent des Vermögens am Einkommen bei, schreibt Borer und weist auf einen weiteren Effekt hin: Dass die Prämien stärker anstiegen als die Löhne, belaste insbesondere die unteren Einkommen noch stärker. «Entsprechend muss ein grösserer Anteil der zur Verfügung stehenden IPV-Mittel für die Entlastung der Personen in den unteren Einkommensbereichen eingesetzt werden, wodurch die Bezügerquote leicht abnimmt», erklärt Borer.

Anders ausgedrückt: Die Wenigverdienenden erhalten mehr Geld, der Mittelstand geht dafür weitgehend leer aus.

Zahl der IPV-Bezüger sinkt

Der Anteil der Personen, die tatsächlich von den Prämienverbilligungen profitieren, sinkt im Kanton Zürich bereits jetzt. 2020 lag die Quote noch bei 29 Prozent, 2022 betrug sie 25 Prozent – obwohl die Zielquote bei 30 Prozent lag. Sieben von zehn Begünstigten erhalten individuelle Verbilligungen. Der Rest sind Menschen, die Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen beziehen. Ihnen zahlt der Staat die Versicherungsprämien ohnehin ganz oder teilweise.

Die Zahl der Zürcher IPV-Bezügerinnen und -Bezüger sank von 420’000 im Jahr 2016 auf 316’000 im letzten Jahr, obwohl die Bevölkerung wächst. Es erhalten also gut 100’000 Personen weniger Prämienverbilligung, während die Bevölkerung im selben Zeitfenster um fast 100’000 Menschen gewachsen ist.

Der Betrag, der am Ende ausgezahlt wird, erhöhte sich derweil. Während andere Kantone weniger Prämienverbilligung zahlen als vor zehn Jahren und dafür von Gesundheitsminister Alain Berset kritisiert werden, stieg die Summe in Zürich von 700 auf 940 Millionen Franken. Allerdings stagniert der Betrag seit drei Jahren.

Diese Stagnation hat mit dem sinkenden Kantonsanteil zu tun. Bund und Kantone teilen sich die Verbilligungskosten, wobei der Bund die Höhe seiner Beiträge an die Prämien gekoppelt hat. Steigen die Prämien, steigt auch der Bundesbeitrag.

Der Zürcher Kantonsanteil hingegen sank in den letzten Jahren. 2022 beteiligte sich der Kanton Zürich mit 389 Millionen an den Prämienverbilligungen, zwei Jahre davor waren es noch 423 Millionen gewesen.

Das hatte Auswirkungen auf eine politisch stark beachtete Kennziffer: jene des Anteils des Kantonsbeitrags gemessen am Bundesbeitrag. Das ist auch die Prozentzahl, die in Zürich gesetzlich verankert ist.

2012 wurde der kantonale Anteil im Rahmen eines Sparprogramms von 100 auf «mindestens 80 Prozent» des Bundesbeitrags gesenkt. Die Auswirkungen zeigten sich einige Jahre später.

Diverse politische Versuche, diese Zahl wieder auf 100 zu steigern, sind seither gescheitert. Zuletzt wurde die entsprechende Volksinitiative «Raus aus der Prämienfalle» vom Volk klar abgelehnt.

Es war ein Bundesgerichtsurteil zu einem Luzerner Fall, der den Kanton Zürich ab 2020 zwang, den Eigenanteil auf 92 Prozent zu erhöhen. Die Einkommensgrenze für den Bezug von Prämienverbilligungen war zu tief angesetzt worden. Den geforderten Wert von 92 Prozent erreichte der Kanton allerdings nie auch nur annähernd. Tatsächlich zahlte Zürich in den letzten drei Jahren zwischen 76 und 84 Prozent des Bundesbeitrags aus.

Darauf hat die Politik reagiert. Im März 2023 wurde im Zürcher Kantonsrat eine linke Initiative mit 61 von 180 Stimmen vorläufig unterstützt, welche den Kantonsanteil auf 120 Prozent erhöhen will. Die Initiative wird derzeit in der zuständigen Kommission diskutiert. Im Parlament mehrheitsfähig ist sie in dieser Form allerdings nicht.

100 Millionen blieben liegen

Die Anzahl Menschen, die Prämienverbilligungen erhalten, sinkt also bereits heute. Gleichzeitig schöpft der Kanton Zürich sein Verbilligungsbudget immer weniger aus. Im vergangenen Jahr blieben 101 Millionen in der Kasse der GD liegen.

Fragen zu allfälligen Rückstellungen beantwortete die GD nicht. Sprecher Borer weist aber darauf hin, dass Prognosen schwieriger geworden seien. So wurde die GD überrascht von den vielen Rückforderungen aufgrund von zu viel ausbezahlter IPV.

62 Millionen zurückgefordert, 47 Millionen nachgezahlt

Im neuen System wird die IPV nämlich nur provisorisch und zu 80 Prozent ausgerichtet, bis die aktuellsten Steuerdaten vorliegen. Dann kommt es je nach Anspruch häufig entweder zu Rückforderungen vonseiten der Krankenkassen oder zu Nachzahlungen an die IPV-Beziehenden. Im Frühling 2023 mussten 74’000 Personen insgesamt 62 Millionen zurückzahlen, während knapp 108’000 Personen Nachzahlungen von 47 Millionen erhielten.

GD-Sprecher Borer argumentiert weiter, dass die Budgetierung stattfinde, bevor die Prämienentwicklung feststehe. So stiegen die Prämien 2021 und 2022 weniger stark an als erwartet. Es wurde also zu viel budgetiert und dann nicht ausgeschöpft.

Bei grossen Abweichungen könne der Regierungsrat den Eigenanteilsatz nachträglich noch korrigieren. Diese Zahl bestimmt, wie viel Prozent der Prämie die IPV-Beziehenden selber zahlen müssen. Der Eigenanteilsatz wurde tatsächlich 2021 und 2022 hinterher gesenkt. Gleichwohl wurde das Budget bei weitem nicht ausgeschöpft.

Der Artikel wurde am 6. Oktober 2023 um 17.10 Uhr ergänzt um einen Kasten mit dem Standpunkt der Gesundheitsdirektion. Ausserdem wurde die Aussage angepasst, dass der Mittelstand leer ausgeht. Neu steht, dass der Mittelstand «weitgehend» leer ausgeht.