Ausnahmezustand in El Salvador ausgerufen60 Morde an einem Tag
El Salvador hatte gehofft, die schlimmsten Zeiten der Ganggewalt seien vorbei. Nun gab es in wenigen Tagen so viele Morde wie sonst in einem Monat – und die Regierung, so die Sorge, könnte das Chaos für sich nutzen.
Nach einem der tödlichsten Wochenenden in der jüngeren Geschichte des Landes wächst in El Salvador die Sorge, der autoritäre Präsident Nayib Bukele könnte die Gewalt als Vorwand nutzen, um seine Macht auszubauen. Mehr als 60 Menschen wurden allein am vergangenen Samstag ermordet. Unter den Opfern waren Strassenhändler und Passanten.
Die Regierung macht Gangs für die Gewalt verantwortlich und erklärte den Ausnahmezustand. Er soll zunächst 30 Tage gelten und hebt einige in der Verfassung garantierte Rechte auf. Verdächtige können nun zum Beispiel bis zu 15 Tage und ohne die Angabe von Gründen festgehalten werden. Polizei und Sicherheitsbehörden bekommen dazu weitgehende Befugnisse, um Telefongespräche abzuhören und Nachrichtenverläufe zu durchsuchen.
«Keiner wird wieder freikommen»
Unmittelbar nach der Verhängung des Ausnahmezustands riegelten Polizei- und Armeeeinheiten ganze Viertel ab. Autos und Wohnungen wurden durchsucht. Es habe in den letzten Tagen mehr als 2000 Festnahmen gegeben, schrieb Präsident Bukele am Dienstag auf Twitter und fügte hinzu: «Keiner wird wieder freikommen.»
Der Terror und die Toten sind für Bukele ein ernsthaftes Problem: El Salvadors Präsident hatte bisher immer für sich beansprucht, die allgegenwärtige Gewalt wieder unter Kontrolle gebracht zu haben. Nach einem blutigen Bürgerkrieg in den 80er-Jahren hatten sich in El Salvador Banden nach dem Vorbild von US-amerikanischen Strassengangs gebildet. Bald kontrollierten diese Gangs, die sich Maras nennen, komplette Viertel. Heute sind sie eng vernetzt mit Politik und Polizei und verdienen ihr Geld mit Drogenschmuggel, Schutzgelderpressung, Entführung und Menschenhandel. Immer wieder kam es zu erbitterten Macht- und Revierkämpfen zwischen verfeindeten Banden und dem Staat. Zuletzt hat die Gewalt aber abgenommen.
Geheime Abkommen
Der 2019 ins Amt gewählte Präsident Nayib Bukele führt dies vor allem auf seinen «Plan zur territorialen Kontrolle» zurück: mehr Polizistinnen und Polizisten, grössere Präsenz des Militärs und eine angeblich harte Hand gegen Bandenmitglieder. Vieles spricht aber dafür, dass die Regierung in Wahrheit geheime Abkommen mit den Maras geschlossen hat: Geld für Gangmitglieder und Hafterleichterungen für die Bosse im Knast im Gegenzug für etwas Frieden. Die Mordrate war zuletzt jedenfalls gesunken. Es gab Tage, an denen niemand in El Salvador eines gewaltsamen Todes starb.
Präsident Nayib Bukele brachte dies enorme Beliebtheit ein: 85 Prozent der Bevölkerung standen zuletzt hinter ihm und seiner Politik. Die Opposition und Nichtregierungsorganisationen aber werden gegängelt und kritische Journalisten abgehört. Gleichzeitig baut Bukele immer weiter seine Macht aus: Letztes Jahr gewann seine Partei Nuevas Ideas die absolute Mehrheit im Kongress. Seitdem werden Gesetze im Eilverfahren durchgewinkt und lästige Richter entlassen. Entgegen der Verfassung hat sich Bukele bereits die Erlaubnis des von ihm neu besetzten obersten Gerichts geholt, 2024 für eine weitere Amtszeit zu kandidieren.
Human Rights Watch (HRW) beklagt, es gebe heute in El Salvador keine unabhängigen Institutionen mehr, die in der Lage wären, die Exekutive zu überwachen. Die Menschenrechtsorganisation fürchtet, dass sich die Situation jetzt noch verschärfen könnte. Der nun verhängte Ausnahmezustand schütze die Menschen in El Salvador nicht, erklärte die Amerika-Sprecherin von HRW, Tamara Taraciuk Broner: «Er setzt stattdessen ihre Rechte aufs Spiel und ist eine Anleitung zur Katastrophe.»
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Präsident Bukele weist derweil alle Kritik von sich. Im Netz verbreitet er martialische Videos aus Gefängnissen, in denen Häftlinge wie Vieh zusammengetrieben werden. Und an die Gangs gewandt schrieb Bukele auf Twitter, die Regierung habe Tausende Bandenmitglieder in ihrer Hand: «Hört auf zu töten, oder sie werden dafür bezahlen.»
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