50. Yellow-CupEin Bus voller Schnaps und andere wilde Geschichten
Der Yellow-Cup in Winterthur ist legendär. Vom 4. bis 6. Januar findet das wichtigste Schweizer Handballturnier zum 50. Mal statt. Gründer Peter Lattmann erinnert sich.

Keine Panik, wir finden noch Mannschaften

Peter Lattmann wachte in der Badewanne auf. In der Nacht davor im Haus eines Kumpans war das Yellow-Cup-OK, vermutlich nicht nur wegen der Traktanden, bis zum Limit gesessen. «Baldo», wie sie ihn alle nennen, war für die Teams zuständig und musste wenige Wochen vor dem ersten Turnier verkünden: «Wir haben nur noch vier.» Sechs Mannschaften waren geplant, zwei hatten sich kurzfristig abgemeldet. Man diskutierte über eine Absage. Doch Baldo beschwichtigte: «Es ist noch Zeit, wir finden etwas.» Das war mutig. Denn zuvor hatte er «unzählige Vereine» angeschrieben, «aber von wenigen überhaupt eine Antwort» erhalten, erinnert er sich.
Trotzdem klappte es. Am ersten Oktober-Wochenende 1972 fand zum 10-Jahr-Jubiläum des Winterthurer Handballclubs Yellow, von ein paar Kantonsschülern gegründet, der 1. Yellow-Cup, ein internationales Turnier für Clubmannschaften, in der neuen Eulachhalle statt. Die Landesmeister aus Spanien (Granollers), Holland (Sittard), Österreich (Salzburg) und der Schweiz (ATV Basel-Stadt) sowie Pfadi und Yellow traten an. Sittard, eines jener zwei Ersatzteams, gewann. Der «Landbote», für den Lattmann letztlich jahrzehntelang arbeitete, widmete dem Ereignis am Montag eine ganze Seite mit kleinem Überlauf auf der nächsten. Auf dem Titelblatt war wie damals üblich kein Sporthinweis zu finden; dort dominierte das Thema «Indien anerkennt die DDR».
Als man den Bus aus Ungarn nicht über die Grenze liess

Der Termin im Herbst vor Saisonbeginn zog beim Publikum nicht. Ein neuer musste her: Trotz vermeintlicher Konkurrenz des Spengler-Cups wählte man von der vierten Austragung an die Tage nach Weihnachten und ums Neujahr. «Erst jetzt wurde der Yellow-Cup zum Erfolg», erklärt Lattmann – und zur wichtigsten Einnahmequelle des Vereins.
Je länger, desto eher liessen sich Clubs aus dem Ausland anlocken, vor allem solche aus dem Ostblock. Medvescak Zagreb machte 1973 den Anfang. Aus Jugoslawien reisten sie an, aus Polen, Ungarn, Rumänien und der Tschechoslowakei. In Bussen. Nicht alle fuhren restlos einwandfrei.
«Einmal mussten wir eine Garage auftreiben, die den Bus reparierte, damit sie überhaupt wieder nach Hause konnten», erzählt Lattmann. «Das Verrückteste aber war das: Wenige Stunden vor Turnierbeginn rief uns das Zollamt St. Margrethen an. Es stehe da ein Bus aus Ungarn. Aber den würden sie nicht über die Grenze lassen.» Der Grund: «Der Bus war voller Spirituosen. Die Spieler wollten sie hier verkaufen, um überhaupt etwas Geld zu haben, das sie in der teuren Schweiz ausgeben konnten.» Erst als die Ware an der Grenze gelassen wurde, ging es weiter in Richtung Eulachhalle.
Mit gebrauchten Autopneus ins Flugzeug nach Kuba

Solche Ladungen aus dem Ostblock waren gang und gäbe. ZSKA Moskau, von 1989 bis 1995 Stammgast, habe «nicht nur billigen Schnaps, sondern auch Kaviar und guten Wodka» mitgebracht, sagt Lattmann. Weniger angenehm war jene Episode im Motel Wülflingen: Ein paar ZSKA-Leute versuchten sich im Zimmer als Köche. Es brannte ab und Yellow musste für den Schaden geradestehen. Hin und wieder hätten die Moskauer fahrtaugliche Autos gekauft, sagt Lattmann. «Wir haben dann den Transport organisiert.»
Das musste man 1995 auch für die Kubaner. Einige besorgten sich für den Gebrauch zu Hause alte Autopneus, mit denen sie ins Flugzeug steigen wollten. Nach Diskussionen fand man Platz im Frachtraum. Zuvor hatten sie am Yellow-Cup im grossen Stil Zigarren verschachert. «Die Kubaner sind schuld, dass ich aufgehört habe, Zigarren zu rauchen. In der Nacht nach dem Turnier hatte ich vier davon. Am nächsten Morgen konnte ich nicht mehr sprechen.»
Die früheren Ostblock-Teams wurden von Funktionären begleitet, die, wie Lattmann sagt, «alles sehr korrekt nahmen». Die Aufgabe des OK war es, diese abzulenken, damit Handballer «abschleichen» konnten, um die Zeit nach den Spielen zu geniessen. Trotzdem: Während des Yellow-Cups sei nie ein Spieler oder ein Offizieller in den Westen abgesprungen, sagt Lattmann, der von der 4. bis zur 38. Austragung als OK-Chef mit mässiger Vorliebe für Sitzungen amtete. Von der Gründung, die 1962 erfolgte, bis 2007 war er zudem Yellows Vereinspräsident.
Der gestoppte Bus aus Ungarn war nicht die einzige Episode, die den Turnierverlauf hätte ausbremsen können. Mit Kuwait war vertraglich geregelt, dass die Hotelkosten für 18 Personen übernommen werden. «Dann standen sie mit 29 Leuten da. Für die Überzähligen hätten sie zahlen müssen. Doch das wollten sie nicht», erinnert sich Lattmann. Am Abend vor dem Turnier forderte er sie deshalb auf, abzureisen. Erst sein Telefonat mit dem zuständigen Scheich in der Heimat brachte die Lösung: Er überweise das Geld sofort, hiess es.
Und dann haben die Koreaner auch noch gesungen

Schon früh wollte man mindestens einen «Exoten», einen Teilnehmer ausserhalb Europas, anlocken. Sie wurden zur Bereicherung. Die Kubaner gehörten seinerzeit zur weiteren Weltspitze, Ägypten kam 1997 als WM-Sechster, die Tunesier wurden zu dreimaligen Turniersiegern, Katar, Kuwait, Saudiarabien, Algerien, China, Japan, Brasilien und Kap Verde waren ebenfalls da.
Den grössten Eindruck aber hinterliessen Südkoreas Junioren-Nationalspieler. 1985, erstmals in Europa, begeisterten sie die Eulachhalle, spielten dynamisch und ungewohnt. Nach ihrem Turniersieg trumpften sie auch am Bankett auf. Die Stimmung war wie immer ausgelassen und die jungen Koreaner stellten sich vor der Bühne des Neuwiesenhofs zum Gesang auf.
Ihr überragender Spieler und Turnier-Topskorer war 17 Jahre jung: Jae-Won Kang. Neun jener Koreaner, die in Winterthur mit Handball und Gesängen entzückt hatten, gewannen keine drei Jahre später an den Olympischen Spielen in Seoul Silber. Kang war nun auch Olympia-Topskorer, mit 49 Toren in sechs Einsätzen. Das und die Silbermedaille machten ihn zum Welthandballer 1989. Der Linkshänder war Pfadis Schlüsselspieler, als die Winterthurer in ihren grossen Neunzigerjahren fünf Meistertitel in Serie gewannen.
Lattmann nennt, und das will etwas heissen, dieses erste Gastspiel der Koreaner als persönliches Highlight des Yellow-Cups. «Es war eine andere Art Handball, eine andere Art Menschen. Alles hat zusammengepasst, auch neben dem Spielfeld. Und für sie war es ein einmaliges Erlebnis, Jae-Won erzählt heute noch davon.
Fünf Jahre später fiel ein weiterer 17-jähriger Linkshänder aus Südkorea in der Eulachhalle auf: Kyung-Shin Yoon. Später wurde er dreimal WM- und einmal Olympia-Topskorer sowie 2001 Welthandballer, und er ist zweitbester Torschütze in der Bundesliga-Geschichte.
Wie Pfadi im Sudden Death die Russen bezwang

Zwei Jahrzehnte lang tauchte Kang immer wieder am Yellow-Cup auf. Zuerst mit Südkorea, dann mit GC, Pfadi und später als (Spieler-)Trainer oder Teamchef von Teams aus Südkorea und Japan.
Kang war es auch, der das spannendste Yellow-Cup-Spiel beendete. Am 28. Dezember 1997, die Eulachhalle war mit 2300 Zuschauern übervoll, stand es im Final zwischen Pfadi und Russland 24:24 nach Verlängerung. Der Sudden Death, an sich ein Unding im Handball, musste entscheiden. Wer zuerst in Ballbesitz war, hatte entscheidenden Vorteil. Roman Brunner gewann gegen den Hünen Wjatscheslaw Gorpischin den «Schiedsrichterball» zum Anspiel, 15 Sekunden später erzielte Kang den Siegtreffer gegen die Russen um Spielmacher Oleg Kuleschow, den Welt- und Europameister, der 2013 als Nationaltrainer erneut nach Winterthur kam.
Dujschebajew und viele weitere grosse Namen

Kuleschow war nicht der erste brillante Mittelmann eines russischen Yellow-Cup-Teams. Der Kirgise Talant Dujschebajew, 21-jährig, räumte im Januar 1990 alle Preise ab: Turniersieg, attraktivster Spieler und Topskorer. Der Sage nach durfte er ein paar Tage länger als der Rest von ZSKA Moskau in Winterthur bleiben, weil es ihm hier so gut gefiel.
Dujschebajew war schon damals der Star – und sollte es noch mehr werden. Er ist einer von nur fünf Handballern, die mehr als einmal Welthandballer wurden: 1994 und 1996. Hinter dem Schweden Magnus Wislander war er Zweiter bei der Wahl zum Welthandballer des Jahrhunderts. Dujschebajew war Olympiasieger und Weltmeister, ehe er nach 1995 für Spanien spielte und zweimal Olympiabronze holte. Als Trainer sammelte er weitere Titel: viermal Sieger der Champions League (auch mit Ciudad Real und Pfadis jetzigem Abwehrchef Viran Morros), Meister in Spanien und Polen. Seit 2014 trainiert er den polnischen Dominator Kielce, für den auch seine zwei Söhne Alex und Daniel, zwei spanische Internationale, spielen.
Die Welthandballer Kang, Dujschebajew und Yoon waren bei weitem nicht die einzigen hochdekorierten Spieler oder Trainer, die am Yellow-Cup auftraten. Die Liste ist lang. Ein Auszug:
Peter Kovacs, WM-Topskorer 1978 und mit 1797 Treffern die Nummer 2 der Länderspieltorschützen weltweit, kam mit Honved Budapest. Vasile Stinga, WM-Topskorer 1982 und zweimal Olympiadritter, war als Spieler von Steaua Bukarest und Trainer des rumänischen Nationalteams da. Erhard Wunderlich, Weltmeister 1978 und deutscher «Jahrhundert-Handballer», spielte für Milbertshofen. Kubas Kreisläufer Rolando Urios wurde Topskorer der WM 1999. Der Weissrusse Siarhei Rutenka gewann mit drei Vereinen die Champions League. Nicht zu vergessen: Andy Schmid, der Schweizer Regisseur und fünffache Bundesliga-MVP, der vom 4. bis 6. Januar zum letzten Mal am Yellow-Cup spielen wird.
Und die Trainer? Der legendäre Anatoli Jewtuschenko, als Trainer der Sowjetunion zweimal Olympiasieger und einmal Weltmeister, kam mit Kuwait, Anatoli Fedjukin mit ZSKA Moskau und Juri Schewzow mit Weissrussland (beide waren als Spieler sowjetische Olympiasieger und Weltmeister), der schwedische Weltmeister-Torhüter Mats Olsson mit Portugal, FC-Barcelona-Coach Xavi Pascual mit Rumänien oder der Isländer Dagur Sigurdsson, Welttrainer 2015, mit Japan. Und: 2012 besuchte der höchste Handballer den Yellow-Cup: Hassan Moustafa, der nicht unumstrittene Präsident des Weltverbands IHF.
Mit den Nationalteams kehrte etwas Ruhe ein

Wer am Yellow-Cup gewinnt, erhält seit der ersten Austragung eine Treichel. Mal gross für den Turniersieg, mal klein für Spezialwertungen. Eine OK-Delegation machte sich einst Jahr für Jahr auf den Weg, um sie im Appenzell abzuholen. «Alle wollten mitkommen. Denn jeder wusste: Man geht anschliessend nicht sofort nach Hause. Irgendwann stellte sich heraus, dass die Treicheln nicht im Appenzell hergestellt wurden, sondern in Österreich.
Rekord-Treichelinhaber ist die Schweizer Nationalmannschaft. Sie gewann acht Mal, gefolgt von ZSKA Moskau und Russland (je 4) sowie Dukla Prag, Pfadi und Tunesien (je 3). Seit 1999 sind weitgehend Nationalteams am Start, Clubs waren für diesen Termin kaum mehr aufzutreiben. Damit änderte sich manches. «Nationalmannschaften sind durchorganisiert und professioneller. Von da an wurde es richtig ernst», meint Lattmann. Zudem wurde die Halle moderner: 2019 löste die neue Axa-Arena die Eulachhalle ab.
Mit Clubmannschaften hatte man die Stunden neben dem Handball intensiver genossen. «Das waren die lustigsten Turniere», erklärt Lattmann. «Die Bedingung war aber immer: Am nächsten Tag mussten die Spieler bereit sein und Leistungen erbringen.» Yellow feierte in der Eulachhalle zusammen mit den Teams Silvester, wenn der Yellow-Cup am 1. Januar begann. Die gemeinsamen Bankette nach Turnierende waren legendär. In den Anfangsjahren gehörten Ausflüge, etwa auf den Säntis, zum Programm. Damals war in Winterthur um 23 Uhr Polizeistunde. «Dann trafen sich alle bei mir zu Hause in der Yellow-Bar, die Etzbergstrasse war voller Autos», sagt Lattmann und lächelt. Er spricht von «wilden Zeiten».
Seit 2008 ist der Yellow-Cup das offizielle Vierländerturnier des Schweizerischen Handballverbands. «Das hat für beide Seiten Vorteile», betont Lattmann. Der Verband kann auf eine bewährte lokale Organisation zählen und Yellow erhält ein gutes Teilnehmerfeld mit der Nationalmannschaft im Zentrum. «Der Yellow-Cup braucht die Nati. Anders würde es nicht mehr gehen.» Sie lockt das Publikum an. Inzwischen hat sich das erste Wochenende nach Neujahr als Termin etabliert – ideal für die Vorbereitung auf eine EM, WM oder Qualifikationsspiele im Januar.
Die Jungen führen die Tradition weiter

Peter Lattmann hofft, dass es mit seinem Turnier «so weitergeht». «Das Engagement bei Yellow ist immer noch gross. Es ist den Jungen hoch anzurechnen, dass sie sich so ins Zeug legen», lobt der 77-Jährige. Der Yellow-Cup läuft weiter auf Hochtouren. Man schaut internationalen Handball, trifft sich, lässt alte Zeiten aufleben, streut Transfergerüchte und macht Vereins- oder Verbandspolitik.
Und die Nächte werden auch in der 50. Ausgabe unabsehbar lang bleiben. Letztes Jahr dauerte der zweite von drei Turniertagen bis um 5 Uhr in der Früh. OK-Chef Marko Jazo verabschiedete die letzten fünf Gäste und legte sich in einem Nebenraum der Axa-Arena auf den Boden zur kurzen Nachtruhe. Es muss ja nicht immer in der Badewanne enden.
Fehler gefunden?Jetzt melden.