Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen
Video

Festnahme nach Pentagon Leaks
21-Jähriger stellt Sicherheitsapparat der USA bloss – und stolpert über Familienfotos

Es konnte gar nicht schnell genug gehen mit dem Schulterklopfen. Kaum hatte das FBI am Donnerstag einen 21-jährigen Netzwerktechniker der Luftwaffe in Gewahrsam genommen, verteilte Verteidigungsminister Lloyd Austin Lob. Er dankte «für die schnelle Festnahme» des Hauptverdächtigen für das grösste Leck in den US-Geheimdiensten seit zehn Jahren (hören Sie den Podcast zur Bedeutung des Leaks).

Wie Austin dazu kommt, von Schnelligkeit zu reden, ist schwer nachvollziehbar. Der Festgenommene soll schon vor mehr als einem halben Jahr begonnen haben, hochgeheime Informationen in eine geschlossene Chatgruppe hochzuladen. Er war Computer- und Netzwerktechniker für die 102. Nachrichtendiensteinheit auf dem Luftwaffenstützpunkt Otis in Massachusetts. Deshalb hatte er Zugriff auf das weltweite Netzwerk des Verteidigungsministeriums für Geheiminformationen.

Anfang März begannen die Unterlagen in breiteren Kreisen zu kursieren, doch erst als sie vergangene Woche den Weg auf Twitter und Telegram fanden, wurde das Verteidigungsministerium darauf aufmerksam.

Das FBI kam Stunden nach den Journalisten

Hinweise auf die mögliche Quelle der Dokumente veröffentlichte der private Recherchedienst Bellingcat bereits am 9. April. Doch es sollten vier weitere Tage verstreichen, bis die Bundesbeamten am Donnerstagnachmittag mit einem Panzerfahrzeug vor dem Heim des Verdächtigen in dem Ort Dighton im Bundesstaat Massachusetts vorfuhren. Als sie dort auftauchten, standen bereits seit Stunden Reporter der «New York Times» vor dem Haus, um den jungen Mann zu interviewen. Zuvor hatten sie ihn in einem Artikel beim vollen Namen genannt und als mögliche Quelle des Geheimdienstlecks bezeichnet.

Die Zeitung hatte Fotos auf Onlineprofilen des Mannes ausgewertet und dabei Übereinstimmungen gefunden mit Fotos der Geheimpapiere, die in den vergangenen Tagen in sozialen Medien die Runde machten. Der Hintergrund von Familienfotos im Elternhaus des Mannes würde Details am Rande der Aufnahmen von Geheimdienstakten entsprechen.

Das Geheimdienstleck wird mit den Fällen von Chelsea Manning und Edward Snowden verglichen.

Dank Helikopteraufnahmen einer lokalen Fernsehstation liess sich live mitverfolgen, wie schwer bewaffnete Einsatzkräfte durch ein Wäldchen zu dem Haus vorrückten, wo der 21-Jährige in T-Shirt und roten Shorts an der Sonne sass und ein Buch las. Die Polizisten riefen ihn auf, sich zu stellen, worauf sich der Mann widerstandslos ergab und abführen liess. Bei einer Durchsuchung fanden sie mehrere Waffen in dem Haus, in dem auch die Mutter des Verdächtigen wohnt.

Überraschend plötzlich und gewaltlos ging damit eine tagelange Jagd zu Ende, die weltweit mit Spannung verfolgt worden war. Die Festnahme bringt die US-Sicherheitsbehörden in Erklärungsnöte. Das Geheimdienstleck, für das sie den jungen Mann verantwortlich machen, wurde bereits mit den Fällen von Chelsea Manning und Edward Snowden in den Jahren 2010 und 2013 verglichen. Beide hatten als Whistleblower umfangreiche Dokumentensammlungen über illegales Verhalten von US-Sicherheitsbehörden nach aussen getragen.

Gewehre, Gott und Videospiele

Diesmal reagierten die Behörden besonders nervös, weil sehr aktuelle und heikle Informationen an die Öffentlichkeit gelangten: Ausdrucke von Karten über die Kriegsvorbereitungen Kiews, Angaben über die Anwesenheit westlicher Spezialeinheiten in der Ukraine sowie Hinweise auf US-Abhöraktionen gegen UNO-Generalsekretär Antonio Guterrez. Wie viele es genau sind, ist noch immer nicht bekannt, US-Medien berichten über mehrere Hundert Aktenstücke.

Und nun soll also ein lediglich 21-Jähriger für diesen grossen Fall verantwortlich sein, ein unscheinbarer Computertechniker, der seine Freizeit als Anführer und Administrator einer Internetgruppe verbrachte, in der zwei Dutzend Teenager über Gewehre, Gott und Videospiele diskutierten und mit rassistischen Sprüchen um sich warfen.

Er sass in roten Shorts an der Sonne und las ein Buch: Das FBI nimmt den Tatverdächtigen in North Dighton im Bundesstaat Massachusetts fest. 

Der Mann, der auf Fotos knabenhaft jung wirkt, wuchs in einer patriotischen, katholischen Umgebung auf. Mehrere Familienmitglieder hatten Dienst geleistet, sein Vater sogar in derselben Einheit. Wohl war er ein Waffenfan und Patriot mit Rechtsdrall, doch scheint er die Dokumente in der Gruppe nicht in erster Linie aus politischen Motiven gestreut zu haben. Er wollte Eindruck schinden, wie Gruppenmitglieder verschiedenen amerikanischen Medien sagten. Ein anderer Bekannter meinte, er habe seine Freunde aufklären wollen darüber, was auf der Welt wirklich vor sich gehe. Die ersten Geheimakten habe er kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine geteilt, also vor mehr als einem Jahr.

«Wir vertrauen unseren Angehörigen schon in jungen Jahren sehr viel Verantwortung an.»

Pat Ryder, Pentagonsprecher

Sofort kam die Frage auf, warum ein 21-Jähriger überhaupt solch weitreichenden Zugang zu Staatsgeheimnissen erhält. Pentagonsprecher Pat Ryder antwortete darauf mit einem lapidaren Vergleich: «Wir vertrauen unseren Angehörigen schon in jungen Jahren sehr viel Verantwortung an. Denken Sie an einen jungen Zugführer im Kampf.» Das Leck sei das Resultat «einer vorsätzlichen kriminellen Tat», eines bewussten Verstosses gegen strenge Vorschriften, sagte Ryder. 

Dem jungen Reservesoldaten, der am Freitag einem Richter vorgeführt werden soll, droht wohl eine Anklage wegen mehreren Verstössen gegen das Antispionagegesetz – was ihn für Jahrzehnte ins Gefängnis bringen könnte.

Politiker sieht ein Problem der Generation Z

Allerdings ordnete Verteidigungsminister Lloyd Austin noch am selben Nachmittag an, den Zugang zu Geheiminformationen zu überprüfen, «damit so etwas nie wieder geschehen kann». Das hatten die Geheimdienste schon 2010 und 2013 versprochen. Und noch immer ist mehr als eine Million Personen berechtigt, auf Unterlagen der höchsten Kategorie «Top Secret» zuzugreifen, was Fachleute für einen viel zu weiten Personenkreis halten.

Solche Systemprobleme müssten die Sicherheitskräfte nun endlich lösen, forderte Senator Jack Reed, der Demokrat an der Spitze des Verteidigungsausschusses. Sein Parteifreund Seth Moulton aus dem Abgeordnetenhaus wollte gar «ein Problem der Generation Z» geortet haben, wie er «Politico» sagte: «Einige unserer jüngsten Militärangehörigen fühlen sich besonders wichtig und anspruchsberechtigt und meinen darum, die Regeln gälten für sie nicht.»

Für einmal Verständnis für die Gen Z zeigte hingegen die Trump-Vertraute Marjorie Taylor Greene. Der Verdächtige sei «weiss, männlich, christlich und gegen den Krieg. Das macht ihn zu einem Feind des Biden-Regimes», twitterte die Abgeordnete der Republikaner. Dabei, suggerierte sie, sei der wahre Feind doch in US-Präsident Joe Biden zu suchen.