10 hochprozentige Ausreden
Werdende Väter wollen sich viel Zeit nehmen für die Familie – und dennoch arbeite wenige tatsächlich Teilzeit. Ihre Gründe.

Die Party ist vorbei, der Samen platziert. Jetzt wird alles anders. Werdende Väter stehen wie nie zuvor im Flutlicht der Gesellschaft. Sie wollen sich viel Zeit nehmen für die Familie. Sie wollen Mama entlasten, Windeln wechseln, Staub saugen und vor allem: da sein für die Frucht ihrer Lenden. Fast jeder träumt von Teilzeitarbeit. Einige sehen sich sogar als Hausmann. Und trotzdem malochen sie, kaum ist das Kleine da, mehr als je zuvor. Nicht einer von zehn steckt zu Gunsten der Familie im Beruf zurück.
Wo liegt der Hund begraben? In den Genen des Jägers und Nüsslisammlers? Im vermaledeiten System, das den Mann zum Held der Arbeit stilisiert? In der zahnlosen Familienpolitik? In der unsäglichen Finanzkrise? Nein. Die Wahrheit ist viel profaner: Die meisten Männer wollen gar nicht Teilzeit arbeiten. Jedenfalls nicht wirklich. Und sie haben gute Ausreden:
«Ich arbeite doch gern.»
Der Beruf als Berufung. Er macht Männer erst zu dem, was sie sind oder sein wollen: angesehen, reich, sexy. Warum den hart erkämpften Status mit reduziertem Pensum gefährden? Und jetzt mal ehrlich: Es kommt doch auch Frau (BMW X5) und Kind (Balmoral Silver Cross) zugute.
«Wir haben bei uns im Moment viel zu tun.»
Und es wird nicht weniger. Jeder Chef weiss: Nicht weniger ist mehr, sondern mehr ist mehr. Mehr Kunden, mehr Aufträge, mehr Arbeitsplätze, mehr Gewinn für alle. Auch für unsere kleine Familie.
«Bei der Finanzkrise? Unmöglich.»
Im Moment ist es halt schwierig. Die Börse. Der Euro. Das wirtschaftliche Umfeld, weisch? Und Besserung ist nicht in Sicht. Auch wenn es eines schönen Tages wieder aufwärts gehen sollte. Dann muss erst recht jeder anpacken. Mit Teilzeit ist da nichts zu machen.
«Bei dem Chef? Kannst du vergessen.»
Er hat zwar auch zwei Kinder, aber wenn es ums Geschäft geht, ist er knallhart. Er ist der erste am Morgen und der letzte am Abend. Ein echtes Vorbild. Bevor der Kurzarbeit einführt, verlagert er die Produktion nach Asien. Dort arbeiten sie noch 60 Stunden die Woche.
«Meine Frau bleibt gern zu Hause.»
Und zu zweit um das Kind rumdödeln, wäre dann doch leicht übertrieben, oder? Und mir macht es nichts aus, 100 Prozent zu arbeiten. War ja vorher auch nicht anders. Und früher auch nicht. Oder?
«Dann ist es mit der Karriere vorbei.»
Als Angestellter vielleicht, aber in einer leitenden Funktion, im Kader, kannst du Teilzeit vergessen. Zwischen 30 und 40 nimmt die Karriere Fahrt auf. Dann gibt es Beförderung, Bonus und erst richtig viel zu tun. Auf dem Golfplatz, an Kundenanlässen und im Nachtclub.
«Alle anderen arbeiten auch 100 Prozent.»
Es würde das Arbeitsklima vergiften, Neid und Missgunst schüren. Warum darf der Huber plötzlich Teilzeit und ich nicht? Dann könnte ja jeder kommen. Schön wärs, ja. Aber kannst du vergessen.
«In meinem Job geht das nicht.»
Ja, bei euch vielleicht. Aber bei uns, wir sind halt ein Produktionsbetrieb. Da muss die Maschine die ganze Woche laufen. Ist in einem Dienstleistungsbetrieb wahrscheinlich anders, oder rufen die Kunden da auch ständig an?
«Es gibt keine qualifizierten Teilzeit-Stellen.»
Der Arbeitsmarkt ist ausgetrocknet. Hartes Brot. Die Deutschen nehmen uns die Stellen weg. Und für die paar Teilzeitstellen bewerben sich ja sowieso nur Frauen. Als Mann hast du da keine Chance. Kannst du vergessen.
«Das können wir uns schlicht nicht leisten.»
Wir haben im Excel ein Familienbudget gemacht und knapp kalkuliert. Meine Frau arbeitet momentan 40 Prozent. Und wenn ich auf 60 Prozent reduziere, hätten wir ja nur noch 100 Prozent. Das Haus, die beiden Autos und Ferien liegen da einfach nicht mehr drin.
Wer nicht will, der will nicht. Kein Problem. Aber wie viele Väter stehen dazu, dass sie nicht mehr Zeit mit der Familie verbringen wollen? Und wie viele wollten zwar, müssten die Windeln, die sie ihren Sprösslingen wechseln, aber eigentlich selbst anziehen? Weil sie die Hosen voll haben, um beim Arbeitgeber überhaupt einmal nachzufragen und Teilzeit einzufordern. Die meisten, die es wagen, gewinnen. Und die anderen werden es bereuen. Todsicher.
Die australische Sterbebegleiterin Bronnie Ware trug in ihrem vielbeachteten Buch die fünf Dinge zusammen, die Sterbende am meisten bereuen. Auf Platz eins: «Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mein eigenes Leben zu leben statt das, das von mir erwartet wurde.» Und auf Platz zwei: «Ich wünschte, ich hätte weniger gearbeitet. Und mich mehr um Kinder, Partner und Freunde gekümmert.»
Dieser Artikel wurde erstmals am 11. Juli 2012 publiziert und am 31. Juli 2023 in dieses Redaktionssystem übertragen.
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