Potentatengelder in der Schweiz1 Milliarde Dollar soll zurück – doch die Behörden arbeiten aneinander vorbei
Die Schweiz hat Mühe bei der Rückzahlung von Potentatengeldern. Das zeigt eine Untersuchung der Eidgenössischen Finanzkontrolle.
Für das Eidgenössische Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) ist es eine Schweizer Erfolgsgeschichte. Bis heute seien rund 2 Milliarden Dollar sogenannter Potentatengelder restituiert worden, schreibt das EDA auf seiner Website. Geld, das ausländische Staatsoberhäupter, deren Familien oder Entourage zu Unrecht ihren Ländern stahlen und bei Schweizer Banken horteten. Parallel dazu häuften sich in den letzten Jahren die Fälle, in denen die Bundesanwaltschaft und kantonale Staatsanwaltschaften Vermögen zurückgaben, die ausländische Unternehmen auf korrupte Weise erwirtschaftet hatten.
Doch ist die angebliche Erfolgsgeschichte tatsächlich so gut, wie sie klingt?
Die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) kommt in einem am Mittwoch publizierten, umfassenden Bericht zu einem anderen Schluss. Sie stellt bei Rückerstattungen grundlegend «einen Mangel an Kohärenz» und das «Fehlen von klaren Kriterien» fest. Dazu passt: Die Aufsichtsbehörde konnte nicht einmal genau eruieren, wie viel blockiertes oder konfisziertes Geld in der Schweiz liegt und wie viel in den letzten Jahrzehnten zurückgezahlt wurde oder nächstens zurückgegeben werden soll.
«An Blockaden, Konfiszierungen und Rückgaben sind viele Akteure beteiligt. Alle arbeiten in ihren eigenen Gärten.»
Laurent Crémieux, Leiter der EFK-Studie, sagt: «An Blockaden, Konfiszierungen und Rückgaben sind viele Akteure beteiligt, das EDA, die Bundesanwaltschaft, kantonale Staatsanwaltschaften, aber auch das Bundesamt für Justiz und das Staatssekretariat für Wirtschaft. Alle arbeiten in ihren eigenen Gärten. Exakte Zahlen konnten wir darum nicht zusammentragen.» Die EFK kann bloss schätzen, dass die Schweiz in den nächsten Jahren blockierte Vermögen in der Höhe von nochmals rund 1 Milliarde Dollar zurückgeben wird.
Rechtliche Grundlage für die Rückführung von Potentatengeldern ist ein Gesetz von 2016. Damit reagierten Bundesrat und Parlament auf die Aufstände und Umstürze in der arabischen Welt, die im Dezember 2010 begonnen hatten.
Im Zuge des Arabischen Frühlings blockierte der Bundesrat rasch Gelder gestürzter Potentaten in der Schweiz, musste sich dabei aber zunächst direkt auf seine Notrechtskompetenzen in der Bundesverfassung abstützen. Mit dem neuen Gesetz wollte der Bundesrat die Reputation des Finanzplatzes schützen und die Straflosigkeit bekämpfen, aber auch dafür sorgen, dass geklautes Geld gestürzter Potentaten «über die Finanzierung von Programmen von öffentlichem Interesse» in deren Heimatländer zurückfliesst und der Zivilbevölkerung zugute kommt. Das funktioniere in einigen Fällen gut, in anderen aber überhaupt nicht, schreibt die EFK. Schuld an den Problemen trügen auch die Schweizer Behörden.
Als Positivbeispiel streicht Crémieux den Umgang mit einem peruanischen Millionenvermögen heraus. Das Geld hatte Vladimiro Montesinos, Geheimdienstchef des früheren peruanischen Diktators Alberto Fujimori, vor Jahrzehnten in die Schweiz geschafft. Seit 2000 ist es blockiert. 16,3 Millionen Dollar sollen nun gemäss einem Abkommen zurückgezahlt werden, 8 Millionen Dollar verbleiben vorerst in der Schweiz.
Verstrich von der Blockierung bis zur Rückgabevereinbarung nicht viel zu viel Zeit? Darin sieht Laurent Crémieux kein Problem, weil die peruanische Justiz die Zeit brauchte, alle Verfahren zu erledigen und Urteile zu fällen. Peru habe sich selbst engagiert, das Geld auf der Grundlage internationaler Anti-Korruptionsabkommen repatriieren zu können, lobt Crémieux. Weil unter Fujimori auch in Luxemburg Geld versteckt wurde, kam es zu einer tripartiten Einigung zwischen Peru, der Schweiz und Luxemburg.
Schweizer Justiz fordert zu viel
Grössere Probleme sieht die EFK im Umgang mit gescheiterten Staaten, sogenannten «failed states», wie Haiti, dessen Justiz komplett darniederliegt. Die Schweiz sollte Haiti mindestens 11 Millionen Dollar zurückgeben, die teils noch der 1986 nach Frankreich geflüchtete Langzeitdiktator Jean-Claude Duvalier hier versteckt hatte.
Das Problem sei, dass «failed states» den hohen Erwartungen der Schweizer Justiz nicht gewachsen seien, ja diese teilweise gar nicht verstünden. Nur schon Übersetzungen offizieller Schreiben könnten ein grosses Hindernis sein.
Die EFK schlägt vor, dass die Schweiz Rechts- oder Antikorruptionsexperten langfristig in Staaten platziert, die Gelder zurückverlangen, oder gescheiterten Staaten systematisch Rechtsanwälte zur Seite stellt, die Staaten bei Rückforderungen geklauter Gelder unterstützen. Darüber hinaus sollte die Schweiz nach Ansicht der EFK vermehrt mit NGOs zusammenarbeiten, die auf Geldrückgaben spezialisiert sind und den Verwendungszweck vor Ort rigoros überwachen.
Ein weiteres Problem ist aus Sicht der EFK, dass kantonale Staatsanwaltschaften die Rückgabe von Geldern an Staaten verfügen können, ohne den Bund zu involvieren. Die Genfer Staatsanwaltschaft liess 2019 kurzerhand eine Sammlung von Luxusautos von Teodorin Obiang, dem Sohn des Machthabers von Equatorialguinea, versteigern. Um den Erlös von 22,4 Millionen Dollar und die korrekte Rückgabe an die Zivilbevöllkerung Äquatorialguineas soll sich jetzt das EDA kümmern. Das ist keine einfache Aufgabe, weil es im bitterarmen Staat keinen Regimewechsel gab, sondern der Obiang-Clan immer noch fest an der Macht ist.
Auch der EFK ist bewusst, dass die Schweiz bei der Rückgabe von Potentatengeldern nicht alle Probleme selber lösen kann. Dies trifft auf Staaten wie Ägypten oder Tunesien zu, bei denen Verfahren im Gang sind. Um an Potentatengelder zu kommen, müssen sie strafrechtliche Verfehlungen ihrer Ex-Diktatoren beweisen.
Der Bundesrat hat gegenüber der EFK signalisiert, dass er die Rückgabepraktiken nun überprüfen will. Eine Revision des erst vor fünf Jahren in Kraft gesetzten Bundesgesetzes steht jedoch nicht zur Debatte.
«Apropos» – der tägliche Podcast
Den Podcast können Sie kostenlos hören und abonnieren auf Spotify, Apple Podcasts oder Google Podcasts. Falls Sie eine andere Podcast-App nutzen, suchen Sie einfach nach «Apropos».
Fehler gefunden?Jetzt melden.