Gastbeitrag zur ZuwanderungWie die SVP die Sprache über Migration prägt
Die SVP monopolisiert die Debatte über Zuwanderung. Die anderen Parteien müssen der Rhetorik der Rechten dringend mehr entgegensetzen.
Die medialen Debatten über den SVP-Erfolg bei den eidgenössischen Wahlen legten offen, wie leicht sich unausgesprochene Vorannahmen in den Sprachgebrauch der Schweizer Parteispitzen einschleichen und die politische Landschaft mitbestimmen. Das Ausmass ungeklärter Selbstverständlichkeiten im politischen Kontext ist besonders drastisch, wenn es um den Bereich der Zuwanderung geht. Doch wo und wann, wenn nicht im Verlauf öffentlicher Politdebatten sollte geklärt werden, wer denn nun was genau mit Zuwanderung meint?
Der O-Ton der aktuellen Debatte lautet: «Zuwanderung ist ein Hauptmotiv, die SVP zu wählen.» Die Formel der SVP lautet: Zuwanderung = «Asylchaos» = «Sicherheitsrisiko» für die Schweiz. Es scheint allgemeiner Konsens zu sein, dass das Thema Zuwanderung nur für diejenigen relevant ist, die für Härte, Begrenzung und schnelle Ausschaffung sind. Hier bleibt jedoch ein entscheidender Punkt unbesehen: Das Thema Zuwanderung kann auch aus dem gegenteiligen Grund im Fokus stehen.
Es gibt genügend Schweizerinnen und Schweizer, die niemals eine Partei wählen würden, die eine menschenverachtende Zuwanderungspolitik betreibt und leichtfertig über wertvolles und wertloses Leben urteilt. Denn hier geht es um Menschenwürde, im Bereich Asyl explizit um Leben und Tod. Andere wiederum mögen das Wort «menschenverachtend» in diesem Kontext für übertrieben halten. Schliesslich könnte man meinen, dass es hier primär um die Bewahrung unseres Schweizer Wohlstands geht, um bloss juristisch-bürokratische Fragen wie: Wen lassen wir rein? Wer muss gehen?
Die SVP differenziert nicht zwischen Schutzbedürftigen, Asylsuchenden, Arbeitsmigrantinnen und Straftätern.
Doch die SVP verfolgt sehr wohl eine menschenverachtende Argumentation, indem sie Opfer mit Täterinnen und Tätern vertauscht und eine Zweiklassengesellschaft zementiert. Sie bedient ein klassisch rassistisches Schema, beschwört die Phantasmagorie des «Ausländers» als Bedrohung für die Schweiz herauf und nutzt diese als Legitimationsgrundlage für eine restriktive Migrationspolitik.
Migranten als imaginierte Bedrohung
Die SVP differenziert nicht zwischen Schutzbedürftigen, Asylsuchenden, Arbeitsmigrantinnen und Straftätern (die zum grössten Teil selbst Schweizerinnen und Schweizer sind), sondern proklamiert, dass der Staat sich gegen «den Ausländer» zu verteidigen habe. Oder wie Judith Butler in «The force of non-violence» schreibt: «The new migrant is thus figured as a force of destruction who will engulf and negate its host.» Zu Deutsch: Einwanderinnen und Einwanderer werden als destruktive Kraft imaginiert, die ihren «Gastgeber» in den Abgrund stürzen will. Menschen, die in die Schweiz kommen, um zu leben und zu arbeiten, Schutz suchen und im Falle der Arbeitsmigration das Funktionieren unseres Sozialstaates sichern, werden von der SVP als Bedrohung diskreditiert, gegen die es sich zu verteidigen gilt.
Die Aufgabe der anderen Parteien, allen voran der Linken, muss es sein, dieser realitätsfernen und menschenverachtenden Rhetorik deutlich entgegenzutreten und den Bereich der Zuwanderung positiv und für sich zu besetzen. Solange die SVP das Zuwanderungsthema monopolisiert, wird sie systemischen Rassismus in der Schweiz ungehindert anfachen können und damit die Spaltung unserer Gesellschaft vorantreiben. Politische Debatten müssen sorgfältige und kritische Begriffsklärung implementieren, gerade wenn es um Zuwanderung geht. Denn nur so kann die Schweiz zu der solidarischen und offenen Gemeinschaft werden, die sich die meisten von uns auch wünschen.
Nina Sophie Weiss ist Philosophiestudentin im Master an der École Normale Supérieure in Paris.
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