Zur Schweizer ErschöpfungsepidemieLiebe Arbeitgeber, muten Sie sich und anderen ungestörte Abwesenheiten zu!
Viele Arbeitnehmende sind zunehmend gestresst. Die Verantwortung für die Erholung wird häufig ihnen selbst zugeschoben. Zu Recht?
Über zwei Drittel der Schweizerinnen und Schweizern gaben jüngst in einer Umfrage an, sich oft müde und erschöpft zu fühlen. Ausgelaugt. Immer mehr strampeln sich ins Burn-out hinein, seit den Nullerjahren steigen die Zahlen der chronisch Stressbelasteten stetig.
Im Interview zum Thema erklärte Barbara Hochstrasser, Spezialistin für Burn-out und Dauererschöpfung, wie diese Situation mit der Digitalisierung zusammenhängt. Diese führe zu verdichtetem Turbo-Arbeiten. In weniger Zeit wird mehr geleistet, häufig gleichzeitig auf unterschiedlichsten «Baustellen». Das ist anstrengend. Der Bildschirm, so Hochstrasser, erfordere zudem eine enorme Konzentration. In der Freizeit wiederum entspanne man nicht mehr richtig, schlafe zu wenig und sei eingebunden in die belastende Selbstoptimierungslogik der Social-Media-Welten.
Also im Grunde selber schuld? «Weicheivirus», spottete eine unserer Leserinnen über die allgegenwärtige Erschöpfung. Hol dir deine Erholung, damit du nachher besser arbeiten kannst!
Den Anruf des Chefs nicht annehmen: Potenziell extrem stressig!
Wir finden: Jein. Sicher sollte man versuchen, in der freien Zeit herunterzufahren, das Handy mal liegen zu lassen, sich privat ein wenig zu dedigitalisieren – dies nicht nur für die Leistungsfähigkeit im Job.
Das braucht freilich Courage. Abends nicht ins Arbeits-E-Mail schauen, den Anruf des Chefs nicht annehmen: Das ist potenziell extrem stressig. Diesen Mut kann sich nicht jeder leisten. So liegt es zu einem Gutteil in der Verantwortung – und auch im Interesse – des Arbeitgebers, seinen Mitarbeitenden echte Ruhephasen zu verschaffen, Stressoren wie das Pendeln zu reduzieren und insgesamt mit gutem Beispiel voranzugehen. Das gilt für die direkte Vorgesetzte ebenso wie den CEO. Sprich: keine E-Mails schicken mitten in der Nacht, kein SMS versenden während der eigenen Bergwanderung oder in die Ferien des Mitarbeiters hinein.
Muten Sie sich und anderen bisweilen ungestörte Abwesenheiten zu, solche wie zu Zeiten, als man unerreichbar in der Postkutsche sass. Am Ende wissen wir alle nur zu gut: Niemand ist unersetzlich.
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