LiveTicker zur Wahl in BrasilienBolsonaros erste Rede nach Wahl – Einwilligung in Machtübergabe, kein Wort über Niederlage
Lula gewinnt im äusserst knappen Rennen um die brasilianische Präsidentschaft. Der unterlegene Bolsonaro verspricht, sich an die Verfassung zu halten. Wir berichten laufend.
Das Wichtigste in Kürze
Der Linkspolitiker Luiz Inácio Lula da Silva, der bereits von 2003 bis 2010 Präsident war, holte sich den Sieg in der Stichwahl mit 50,9 Prozent. Der rechtsradikale Amtsinhaber Jair Bolsonaro erhielt demnach 49,1 Prozent.
Bolsonaro hat seine Niederlage bisher nicht anerkannt. Im Wahlkampf hatte er mehrfach Zweifel am Wahlsystem gestreut und angedeutet, das Ergebnis möglicherweise nicht zu akzeptieren.
Am Dienstag äusserte sich Bolsonaro zur Wahl. Er wolle sich an die Verfassung halten, eine Gratulation für seinen Nachfolger gabs keine.
Aus Protest gegen das Ergebnis haben Bolsonaro-Anhänger mehr als 200 Strassensperren im Land errichtet.
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Strassensperren der Polizei sorgen für Unruhe
Während der Wahl richtete die Verkehrspolizei Kontrollpunkte ein, die die Anreise zu Wahllokalen erschwerten. Durch diese Strassensperren sei die Weiterfahrt von Bussen mit Wählerinnen und Wählern verzögert worden, erklärte der Vorsitzende des Obersten Wahlgerichts, Alexandre de Moraes. Inzwischen sei jedoch die Aufhebung dieser Sperren angeordnet worden, an denen Fahrzeuge auf mögliche Verstösse gegen die Verkehrsvorschriften überprüft worden seien.
Die verschärften Verkehrskontrollen fanden im Nordosten des Landes statt, wo Oppositionskandidat Lula besonders starken Rückhalt hat. Führende Vertreter von Lulas Arbeiterpartei verbreiteten Videos in den Onlinenetzwerken von Bussen mit Wählerinnen und Wählern, die an den Kontrollpunkten stillstanden.
«Was im Nordosten passiert, ist inakzeptabel», erklärte Lula.
Der oberste Wahlaufseher Moraes versicherte später aber, die Polizeikontrollen hätten lediglich zur «Verzögerung» bei der Stimmabgabe geführt. Keiner der Busse sei von der Polizei angewiesen worden, umzudrehen und zum Herkunftsort zurückzufahren. Das Wahlrecht sei nicht verletzt worden. Moraes lehnte es deshalb auch ab, die Öffnungszeiten der Wahllokale zu verlängern.
Die Zeitung «Folha de São Paulo» berichtete, am Sonntagmittag habe es im Land mehr als 500 Strassensperren durch die Verkehrspolizei gegeben. Dies seien 70 Prozent mehr gewesen als während der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am 2. Oktober. (AFP)
Wahllokale geschlossen
Am späten Sonntagnachmittag Ortszeit sind alle Wahllokale geschlossen worden. Die ersten Ergebnisse der Stichwahl werden etwa zwei Stunden nach Beendigung der Stimmabgaben erwartet.
Angesichts der extremen politischen Polarisierung im bevölkerungsreichsten Land Lateinamerikas und des mutmasslich engen Rennens zwischen den Kandidaten wird der Wahlausgang mit besonderer Hochspannung entspannt. In den letzten Umfragen vor der Stichwahl hatte Lula vor Bolsonaro gelegen, dies mit zuletzt geschrumpften Vorsprung.
Trump über Bolsonaro: «Einer der grossen Menschen in der Politik»
Der frühere US-Präsident Donald Trump hat seine Unterstützung für Bolsonaro bekundet. «Brasilianer, ihr habt die Gelegenheit, erneut einen der grossen Menschen in der Politik und einen der besten Führer der Welt zu wählen», sagte Trump in einem Video-Statement. (oli)
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Zugang zu Wahllokalen in Lula-Hochburgen erschwert
Am frühen Nachmittag Ortszeit hatten Polizei und Sicherheitskräfte in mehreren Hochburgen des Herausforderers Lula da Silva die Strassen abgesperrt und so den Zugang zu Wahllokalen für viele erschwert.
Verantwortlich für einen Grossteil der Blockaden soll der Chef der Verkehrspolizei gewesen sein, der auf Instagram zur Wahl Bolsonaros aufgerufen hatte. Als einen «verzweifelten Versuch, unsere Demokratie auszuhebeln», bezeichnete dies die frühere Umweltministerin und Lula-Verbündete Marina Da Silva. Der Präsident des Obersten Wahlgerichtes Alexandre de Moraes sagte später, es hätte Verzögerungen gegeben, es sei aber niemand vom Wählen abgehalten worden. (sw)
Ausgangslage
Nach einem mit äusserst harten Bandagen geführten Wahlkampf hat Brasilien am Sonntag einen neuen Präsidenten gewählt. In der Stichwahl traten der rechte Amtsinhaber Jair Bolsonaro und der linke Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva gegeneinander an. Insgesamt waren im grössten Land Lateinamerikas 156 Millionen Menschen zur Stimmabgabe aufgerufen. Lula hatte die erste Runde am 2. Oktober gewonnen. Der 77-Jährige war bereits Präsident von 2003 bis 2010. Allerdings schnitt Amtsinhaber Bolsonaro (67) deutlich besser ab als nach den Umfragen erwartet. Deshalb galt die Stichwahl als offen.
«Die Erwartung ist ein Sieg, zum Wohle Brasiliens», sagte Bolsonaro, nachdem er in Rio de Janeiro seine Stimme abgegeben hatte. Er trug ein gelbes T-Shirt mit der Aufschrift «Brasil» und zeigte das Victory-Zeichen. «So Gott will, werden wir heute siegreich sein. Oder besser gesagt: Brasilien wird heute siegreich sein.» Lula küsste bei der Stimmabgabe seinen Wahlzettel. Er sagte: «Bei dieser Wahl geht es um die Entscheidung zwischen Demokratie und Barbarei, Demokratie oder Faschismus.»
Das Ergebnis, wer die nächsten vier Jahre Staatsoberhaupt ist, wurde in der Nacht zum Montag erwartet. Ausserdem wurden am Sonntag auch Gouverneure in einem Dutzend Bundesstaaten gewählt – etwa im bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten Bundesstaat São Paulo. In der ersten Runde hatten Gefolgsleute Bolsonaros bereits eine Reihe wichtiger Gouverneursposten erobert. Seine Liberale Partei (PL) stellt künftig auch die stärkste Fraktion im Kongress, vor Lulas Arbeiterpartei (PT).
Wahl weltweit von Bedeutung
Die Präsidentenwahl in Brasilien hat auch für den Rest der Welt Bedeutung. Als riesiger Kohlenstoffspeicher spielt das Amazonasgebiet im Kampf gegen den weltweiten Klimawandel eine wichtige Rolle. Angesichts der angespannten Lage auf dem Energie- und Lebensmittelmarkt wegen des Ukraine-Kriegs ist das Land mit seinen enormen natürlichen Ressourcen ein wichtiger Handelspartner.
Befürchtet wird, dass es je nach Wahlausgang zu Gewalt kommen könnte. Bolsonaro hatte mehrfach Zweifel am Wahlsystem gestreut und angedeutet, das Ergebnis möglicherweise nicht anzuerkennen. Seit der Lockerung der Waffengesetze in seiner Amtszeit haben viele seiner Unterstützer ordentlich aufgerüstet. Einige Anhänger des Amtsinhabers forderten auch unverhohlen einen Militärputsch.
Das Land ist politisch zerstritten, was sich bei der Befragung von Wählern auch am Sonntag zeigte. «Ich hoffe, dass Lula gewinnt, ich ertrage Bolsonaro nicht mehr», sagte Christiane Machado, nachdem sie im Viertel Copacabana in Rio de Janeiro ihre Stimme abgegeben hatte. «Das Erbe der PT ist zweischneidig. Es gab soziale Fortschritte, aber auch Korruptionsskandale. Man kann jedoch nicht fast 700 000 Corona-Tote ignorieren – daunter meine Eltern. Wenn Bolsonaro rechtzeitig Impfstoffe gekauft hätte, könnten sie noch am Leben sein.»
Dagegen stimmte Renata Proença für den amtierenden Präsidenten, um eine Rückkehr Lulas an die Macht zu verhindern. «Ich habe nie in meinem Leben der Linken, der Arbeiterpartei PT oder Lula meine Stimme gegeben», sagte sie. «An Bolsonaro gefällt mir, dass ich weiss, was von ihm zu erwarten ist – auch, wenn seine Äusserungen unerträglich sind.» (SDA)
TV-Duell: «Lügner», «Bandit» – Lula und Bolsonaro liefern sich eine letzte «Anti-Debatte»
oli/sw/red/SDA/AFP/roy/sep
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