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Comeback des U-14-Weltmeisters
Zuerst musste er wieder laufen lernen

Das Racket fest umklammert: Yarin Aebi auf den Courts des TC Horgen. 
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Als Yarin Aebi am Donnerstag aufwacht, weiss er, dass er es probieren möchte. Tage-, ja wochenlang hatte er mit dieser Entscheidung gerungen. Es gab Zeiten, da hatte er sich immer wieder ausgemalt, wie es sein würde, wenn er wieder auf dem Court steht und ein offizielles Spiel bestreitet. Viele Fragen schwirrten in seinem Kopf herum: «Wie würde ich mich fühlen? Wie nervös würde ich sein? Was, wenn ich verliere?»

Wir unterhalten uns draussen beim Eingang zum Tenniscenter Vitis in Schlieren, etwas frische Luft tut gut. Es regnet an diesem Samstag in Strömen. Der 17-Jährige hat seine Lieblings-Baseballkappe vom Laver-Cup 2019 in Genf verkehrt aufgesetzt, wie es Teenager tun. Eigentlich hätte die Interclub-Begegnung der Nationalliga B seines TC Horgen auf den schmucken Sandplätzen des TC Belvoir beim Zürcher Strandbad Mythenquai stattfinden sollen, wegen des Wetters wurde sie in die Halle verlegt.

648 Tage hatte sich Aebi gedulden müssen, bis er endlich wieder spielen konnte. Vor dem Match übermannen ihn in der Garderobe die Emotionen. «Die ganze Geschichte kam mir nochmals in den Sinn, ab dem ersten Tag im Spital.» Das war im November 2018 nach seiner Rückkehr von einem internationalen Juniorenturnier in Israel. In der ersten Nacht zu Hause in Horgen wurde er von stechenden Schmerzen am unteren Rücken überfallen. Es war der Anfang seiner Leidensgeschichte.

Auf dem Gipfel: Im August 2017 feiert Yarin Aebi (Mitte) den U-14-Weltmeistertitel mit Jérôme Kym (rechts), Till Brunner (links) und Coach Michael Lammer.

Wer Aebi an diesem Samstag auf dem Teppichboden im Vitis-Center spielen sieht, würde nicht glauben, was er alles durchgemacht hat. Dass er wegen des Guillain-Barré-Syndroms, einer akut auftretenden neurologischen Krankheit, zeitweise sogar im Rollstuhl sass. Er bewegt sich immer noch nicht ganz rund, doch er spielt schon wieder beachtlich gut. Aebi duelliert sich mit Philipp Orloff, einem 15-jährigen Zürcher Talent mit Klassierung R1, das ebenfalls von einer Tenniskarriere träumt und ihn um fast einen Kopf überragt.

«Yarin hat sich sehr gefreut, aber er ist noch etwas nervös», kommentiert seine Mutter den ersten Satz, den er klar verliert. Seine Eltern fiebern hinter einer Glasscheibe mit. Je länger, desto öfter dürfen sie jubeln. Ab Mitte des zweiten Satzes schwingt Aebi lockerer durch und beginnt, die Ballwechsel zu dominieren. Immer öfter zeigt er, wieso er eines der hoffnungsvollsten Talente im Schweizer Tennis war. Eine Rückhand à la Djokovic, wie an einem Faden gezogen die Linie entlang, sorgt für Entzücken bei der Horgener Zuschauerfraktion.

Nach gut zwei Stunden gewinnt Aebi 2:6, 6:3, 6:3, das Strahlen weicht lange nicht mehr aus seinem Gesicht. Als er seine Eltern umarmt, schiessen ihm Tränen in die Augen. Dann zieht er sich zurück, um mit seinen Kollegen zu telefonieren. Zuerst mit Leandro Riedi, mit dem er früher oft trainierte und der inzwischen schon die Nummer 12 der Schweiz ist und auf gutem Weg zu einer Profikarriere. Aebi hatte auch während seiner Krankheit viel Kontakt mit ihm.

«Ich bin froh, habe ich es gewagt. Und konnte ich mich vom Gedanken lösen, gewinnen zu müssen.»

Yarin Aebi

Der erste Sieg ist für Aebi eine grosse Erleichterung: «Ich bin froh, habe ich es gewagt. Und konnte mich im Verlauf des Spiels vom Gedanken lösen, gewinnen zu müssen. Es gelang mir, wieder Spass zu haben. Zu geniessen, dass ich wieder da bin, wo ich jetzt bin. Dann wurde ich lockerer, bewegte mich besser, traf die Bälle sauberer.»

Über tausend Stunden schweisstreibende Arbeit stecken hinter diesem Comeback. Was während jener Israel-Reise im November 2018 die Krankheit ausgelöst hatte, weiss er bis heute nicht. Wahrscheinlich eine bakterielle Infektion. Aebi bekam Rückenschmerzen, dann Lähmungserscheinungen – zuerst an den Füssen und Beinen, dann an den Händen. Er konnte nicht mehr gehen oder einen Stift halten, musste sich das Gefühl in den Extremitäten langsam wieder erarbeiten.

Die doppelhändige Rückhand als eine der Stärken: Yarin Aebi an der Europameisterschaft 2016 in Klosters.

«Bei Guillain-Barré leiten die Nerven nicht mehr richtig», erklärte Christoph Biaggi, Konditionstrainer bei Swiss Tennis, im April. «Yarin musste seinen Körper dazu bringen, gewisse Muskeln wieder anzusteuern. Das kann sich anfangs so anfühlen, als würde man probieren, seine Haare zu bewegen. Es geht einfach nicht.» Inzwischen geht es immer besser. Sogar beim linken Fuss, der Schwachstelle Aebis. Seit einigen Monaten gelingt es ihm wieder, auf die Zehenspitzen zu stehen.

Zurück auf die Zehenspitzen

«Dass ich diese Bewegung selber ansteuern kann, darauf haben wir eineinhalb Jahre hingearbeitet», sagt er. Er hat durch seine Krankheit nicht nur seinen Körper, sondern auch sich besser kennen gelernt. «Ich bin sehr stolz darauf, wie ich drangeblieben bin, mich zurückgekämpft habe. Ich hätte auch sagen können, ich höre auf mit dem Tennis. Aber Sie müssen unbedingt schreiben, wie unglaublich dankbar ich all jenen bin, die mich unterstützt haben. Meinen Eltern, meiner Schwester Joana, allen Physios und Osteopathen, dem ganzen Trainerteam, den Leuten im Spital, in der Reha.» Seine Augen werden wieder wässrig.

Wie weit er in seinem Sport noch kommen wird, weiss er nicht. Wurde er im August 2017 zusammen mit Jérôme Kym U-14-Weltmeister, so ist an internationale Turniere vorderhand noch nicht zu denken. Das nächste grosse Ziel sind die Schweizer Meisterschaften der Junioren im Januar. Aebi wird dranbleiben. Er trainiert in Biel weiter in der Akademie von Swiss Tennis und besucht die Wirtschaftsmittelschule. Drei Jahre will er sich mindestens geben. Am Samstag machte er, der zuerst wieder laufen lernen musste, einen wichtigen Schritt.

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