Interview über MasernSind die Masern zurück? Ein Infektiologe ordnet den schweizweiten Anstieg der Fälle ein
Die Ansteckungsfälle häufen sich in Zürich und schweizweit. Man müsse die Infekte im Auge behalten, sagt Infektiologe Jan Fehr. Er spricht über gefährliche Folgen der Infektion und den besten Schutz.
![Der Impfstatus ist entscheidend bei Masern: Wer nicht geimpft ist oder nicht mehr weiss, ob er als Kind geimpft wurde, kann sich problemlos nochmals impfen lassen.](https://cdn.unitycms.io/images/2f-vB79laSSBPLw9ArwDHI.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=xH9t06subb0)
15 Masernfälle wurden seit Anfang Jahr schweizweit gemeldet. Acht davon im Kanton Zürich. Die Zürcher Gesundheitsdirektion informierte und sensibilisierte deshalb Spitäler sowie Hausärztinnen und Hausärzte. Was bedeutet die Häufung? Sind die Masern zurück? Jan Fehr, Infektiologe und Chefarzt am Zentrum für Reisemedizin in Zürich, ordnet ein.
Herr Fehr, breiten sich die Masern in Zürich aus?
Die Häufung in Zürich scheint zufällig zu sein. Zürich ist einfach ein bevölkerungsreicher und internationaler Kanton. Aber tatsächlich verzeichnen wir etwas mehr Fälle als im letzten Jahr. Die Zahlen liegen im Rahmen der natürlichen Schwankungen. Man muss die Infekte sicherlich genau im Auge behalten. Es wäre falsch, sie als absolut harmlos abzutun.
Gemäss der Zürcher Gesundheitsdirektion waren unter den acht Infizierten auch Erwachsene. Stecken sich nicht vor allem Kinder mit Masern an?
Masern sind eine klassische Kinderkrankheit. Aufgrund von Impflücken sehen wir aber immer wieder Erwachsene, die daran erkranken. Bei Erwachsenen ab 20 Jahren sowie bei Säuglingen und Kleinkindern kann eine Infektion zu Komplikationen führen. Deshalb ist ein guter Schutz besonders wichtig.
Was kann passieren?
Eine der schwersten Komplikation ist eine Hirnhautentzündung. Sie kann im schlimmsten Fall tödlich verlaufen oder bleibende neurologische Schäden verursachen. Ein Maserninfekt kann aber auch zu einer Mittelohrentzündung oder einer schweren Lungenentzündung führen.
![Ein Mann mit kurzen Haaren trägt ein weisses Polohemd und steht vor einem unscharfen städtischen Hintergrund.](https://cdn.unitycms.io/images/FvYjyyPa4TSBtCZu4tnZ9s.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=d6EZKOullLc)
Welches sind typische Symptome bei einer Maserninfektion?
Ein Infekt beginnt häufig mit Fieber, einer Bindehautentzündung mit Schnupfen und Husten. Charakteristisch sind Flecken an der Wangenschleimhaut, sogenannte «Koplik-Flecken». Nach rund drei Tagen zeigen sich fleckige Hautveränderungen, die zunächst am Gesicht und hinter den Ohren auftreten und sich dann über den ganzen Körper ausbreiten. Das Fieber sinkt nach ungefähr einer Woche. Nach einer durchgemachten Maserninfektion ist man immun.
In der Schweiz gelten die Masern laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als ausgerottet. Wie sieht es weltweit aus?
Hierzulande stehen wir insgesamt nicht schlecht da. Die Durchimpfungsrate mit zwei Dosen liegt für 16-Jährige sogar bei 96 Prozent. Weniger genau kennen wir die Situation für Erwachsene. Dort gehen wir von Impflücken aus. Zudem gibt es auch kantonale Unterschiede. Mich beunruhigt aber vor allem die globale Situation. Die Masern sind noch lange nicht ausgerottet – im Gegenteil, die Lage hat sich deutlich verschlechtert.
Warum?
Seit der Corona-Pandemie stellen wir weltweit fest, dass es schwieriger geworden ist, eine hohe Durchimpfungsrate zu erreichen. Die Impflücken werden grösser. Ende 2023 galten die Masern nur in 42 Prozent aller Länder als ausgerottet. Wenn sich nun Länder wie die USA oder Argentinien dazu entscheiden, aus der WHO auszutreten, dann werden wir in Zukunft zusätzlich grosse Probleme haben, Pandemien zu bewältigen und Krankheiten wie die Masern auszurotten. Hinzu kommen aktuelle geopolitische Herausforderungen. Die Ukraine hat ihre Bevölkerung einst vorbildlich geimpft, kann diese Versorgung aber nicht mehr aufrechterhalten.
Was braucht es denn, um die Masern endgültig auszurotten?
Das wirksamste Mittel ist die Impfung. Nach zwei Impfdosen sind mehr als 95 Prozent aller Geimpften geschützt. Und man geht davon aus, dass der Schutz ein Leben lang anhält.
Wenn sich die Masern weltweit weiter ausbreiten, würde dann eine Impfpflicht helfen, wie es sie zum Beispiel in Deutschland gibt?
Nein, ein Impfobligatorium scheint mir kein guter Weg zu sein. Das passt auch nicht zu unserer Kultur einer gelebten Demokratie. Es ist wichtig, sich Zeit zu nehmen, um Menschen mit Fragen rund um Impfungen gut zuzuhören. Nur so können wir Vertrauen schaffen. Impfungen sind eine der grössten Errungenschaften im Kampf gegen Infektionskrankheiten, funktionieren aber nur, wenn die Leute die Vorteile sehen.
Unternehmen die Zürcher Gesundheitsbehörden genug im Kampf gegen die Masern?
Die Ausbreitung aller Infektionskrankheiten wird insgesamt gut überwacht und erfasst – nicht nur in Zürich, sondern in der ganzen Schweiz. Was aber weiterhin fehlt, ist eine nationale und allen voran digitale Plattform, die registriert, wie gut die Bevölkerung geimpft ist. Während der Corona-Pandemie waren wir technisch schon sehr nahe dran, aber jetzt entfernen wir uns wieder davon. Die Masern-Impfrate bei Kindern wird in den Kantonen beispielsweise weiterhin weitgehend von Hand mithilfe von eingesandten Impfbüchlein erfasst.
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