Kriminalitätsbekämpfung in ZürichTerror in Solingen, Wien und Zürich: Polizei will mehr Möglichkeiten zur Überwachung
Am Donnerstag informierte der Zürcher Sicherheitsvorsteher Mario Fehr zur öffentlichen Sicherheit im Kanton. Polizisten sollen künftig in geschlossenen Chats ermitteln dürfen – und mehr Personal erhalten.
In Zürich hat ein jihadistisch motivierter Jugendlicher dieses Jahr einen Juden attackiert und mit einem Messer schwer verletzt. Teenager planten einen Anschlag mit einem Lastwagen auf die Pride in Zürich. In Wien mussten Konzerte von Taylor Swift wegen Terrorverdachts abgesagt werden. Im deutschen Solingen tötete ein junger Mann, mutmasslich islamistisch motiviert, mit einem Messer drei Menschen und verletzte acht weitere.
Man habe es mit einer Reihe gravierender Ereignisse in immer kürzerer Kadenz zu tun, sagte der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr am Donnerstag vor den Medien. «Wir müssen früher eingreifen können, wenn sich Menschen im Internet radikalisieren.» Auch der Zürcher Messerstecher Anis T. war mit verschiedenen Accounts in obskuren Chats aktiv gewesen.
Die Mittel dafür soll die Polizei mit dem revidierten kantonalen Polizeigesetz erhalten, das Fehr präsentierte. Künftig dürfte die Polizei ohne richterlichen Beschluss in geschlossenen Chats und Foren ermitteln, um schwere Kriminalität wie terroristische Anschläge zu verhindern. Bisher war dies nur im Rahmen von bereits eingeleiteten Strafverfahren erlaubt. Die Polizei will also zu einem früheren Zeitpunkt ansetzen.
Extremisten werden immer jünger
Die Messerattacke von Selnau habe gezeigt, dass die Polizei in Chatforen präsent sein müsse, um solche Taten möglichst früh zu erkennen, sagte der Kommandant der Kantonspolizei Zürich, Marius Weyermann. Radikalisierte Personen wie der Zürcher Messerstecher seien in Dutzenden einschlägigen Chatgruppen und würden dort mit extremistischen Inhalten regelrecht zugeschüttet.
Neue, KI-unterstützte Software soll helfen, solche grosse Datenmengen zu verarbeiten und einzugrenzen. Die Polizei will sich dafür allgemein verfügbare Programme zunutze machen, dies allerdings nur mit Genehmigung des Zwangsmassnahmengerichts. Nicht zum Einsatz kommen dagegen Staatstrojaner, die sich zwecks Überwachung in Geräte einschleusen; gegenüber dem Vernehmlassungsentwurf wurde solche sogenannte Govware aus dem Gesetzestext gestrichen.
Die Kantonspolizei Zürich stellt fest, dass immer jüngere Leute radikalisiert werden. Sie habe Kenntnis von 14-, 15-Jährigen, sagte Weyermann. Wie viele Jugendliche auf dem Radar der Behörden sind, sagt die Kapo nicht. Man arbeite intensiv mit den Schulen und Gemeinden zusammen, um mögliche Radikalisierungen frühzeitig zu erkennen.
KI liest alle Autokennzeichen ab
Mithilfe von intelligenten Systemen sollen neu auch Kriminelle im Autoverkehr gefasst werden. Datengrundlage ist das heute bereits eingesetzte automatisierte Fahrzeugfahndungs- und Verkehrsüberwachungssystem (AFV). Neue Software wird die Kontrollschilder jedes vorbeifahrenden Fahrzeugs ablesen und diese mit der Polizeidatenbank abgleichen. Im Fall eines Treffers wird ein Bild gespeichert.
Die kantonale Datenschutzbeauftragte Dominika Blonski hatte den ursprünglichen Gesetzesentwurf kritisiert. Mit intelligenten Kameras sei eine praktisch lückenlose Überwachung der Strassen möglich. Um unverhältnismässige Eingriffe in die Grundrechte der Bevölkerung zu vermeiden, müsse der Einsatzzweck klar geregelt werden.
Die Sicherheitsdirektion teilt nun mit, man habe nachgebessert. So sollen Bewegungsprofile nur im Zusammenhang mit Verbrechen oder schweren Vergehen erstellt werden. Der Datenschutz sei gewährleistet, versichert Mario Fehr. «Wir verfolgen damit keine Bagatelldelikte, sondern schwere Delikte.» Die Datenschutzbeauftragte habe am Gesetz massgeblich mitgearbeitet. Sie stand am Donnerstag für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung.
Polizeikorps wird aufgestockt
Um mit dem Bevölkerungswachstum Schritt zu halten und der steigenden Kriminalitätsrate zu begegnen, will der Gesamtregierungsrat zudem das Polizeikorps aufstocken. Bis 2027 soll der Bestand von heute 2317 auf neu 2425 Vollzeitstellen wachsen. Das sind 108 Stellen mehr.
Das revidierte Polizeigesetz geht nun an den Kantonsrat. Die Parteien reagierten am Donnerstag überwiegend positiv. Für die Grünliberalen handelt es sich um ein zeitgemässes Gesetz, das zum Schutz der Bevölkerung zwingend sei. Die FDP lobt die Stärkung der Polizei, ohne dass der Datenschutz gefährdet werde. Die SVP hält die Gesetzesänderungen für «überfällig».
Auch für die SP wurde das Gesetz gegenüber dem Vernehmlassungsentwurf an den richtigen Stellen präzisiert. Trotzdem würden Bedenken bleiben, dass die Grundrechte angesichts der neuen Überwachungsmöglichkeiten nicht ausreichend geschützt seien.
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