Zürcher SVP in der OffensiveAus einer kleinen Bildungsvorlage wird eine grosse Asyldebatte
Vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer sollen neu ohne Wartefrist Ausbildungsstipendien erhalten, findet der Kantonsrat. Weil die SVP das Referendum ergreift, wird das Stimmvolk entscheiden.
Was normalerweise nur wenige Minuten dauert, erstreckte sich am Montagmorgen über eine volle Stunde. Traktandiert waren im Kantonsrat die Redaktionslesung und die Schlussabstimmung für eine Vorlage, über welche der Rat Mitte Januar bereits debattiert hatte.
Grund war die SVP, welche aus einer Bildungs- eine Ausländerdebatte machte. Zudem kündigte die Partei an, das Referendum zu ergreifen und somit eine Volksabstimmung zu erzwingen. Nicht weniger als elf SVP-Voten provozierten auf der linken Seite heftige Reaktionen.
Rechts gegen Mitte-links
Es geht darum, den vorläufig Aufgenommenen den Zugang zu Ausbildungsstipendien zu erleichtern. Die bislang geltende Wartefrist von fünf Jahren soll abgeschafft werden. Der Regierungsrat sah keine Einwände, das Parlament sprach sich mit 95 gegen 76 Stimmen dafür aus. Das Pro-Lager bestand aus SP, GLP, Grünen, Mitte, EVP und AL, die Gegner stammten aus den Reihen der SVP, der FDP und der EDU. Wie Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) vor sechs Wochen gesagt hatte, beziehen derzeit knapp 300 vorläufig Aufgenommene Stipendien. Der Verzicht auf eine Wartefrist würde zu Mehrkosten von 3 bis 4 Millionen Franken führen.
Die unterschiedlichen Meinungen waren bereits in der Sprache zu erkennen. Die Gegner redeten konsequent von abgewiesenen Asylbewerbern oder Personen mit Flüchtlingsstatus F, die Befürworter von Menschen, die zu 90 Prozent in der Schweiz bleiben werden, weil eine Rückkehr ins Ursprungsland nicht möglich ist.
«Ich bin entsetzt»
Jasmin Pokerschnig (Grüne, Zürich) hatte die Änderung des Bildungsgesetzes zusammen mit Gefährten von EVP und GLP angeregt und zeigte sich nun empört über die SVP. «Ich bin entsetzt und kann es fast nicht fassen», schleuderte sie Tobias Infortuna (SVP, Egg) entgegen, der gesagt hatte, der Kanton Zürich dürfe nicht noch attraktiver werden für kriminelle Asylbewerber, die in der Schweiz kein Bleiberecht hätten.
Nach Pokerschnigs Einwurf gab Domenik Ledergerber (SVP, Herrliberg) noch einen drauf und sprach vom «Asylschlaraffenland Schweiz» und einer Sogwirkung. Darauf warf Thomas Forrer (Grüne, Erlenbach) der SVP vor, als «nationalistische Partei» Ressentiments gegen Minderheiten zu schüren.
SP argumentiert mit Blocher
Alan David Sangines (SP, Zürich) riet Ledergerber zu Nachhilfestunden bei Christoph Blocher, der als Bundesrat den Geltungsbereich für vorläufig Aufgenommene erweitert und Integrationsmassnahmen gefördert habe. Chantal Galladé (GLP, Winterthur) fügte hinzu, es sei damals auch darum gegangen, die Sozialdienste der Gemeinden zu entlasten, da integrierte und arbeitende Menschen keine Sozialhilfe brauchten.
Galladé berichtete von einer aus der syrischen Stadt Aleppo geflüchteten Frau, die nun dank einer Coiffeuselehre bald auf eigenen Beinen stehen wird. «Es geht um die erfolgreiche Integration junger Talente», sagte Hanspeter Hugentobler (EVP, Pfäffikon). Darauf riet Rochus Burtscher (SVP, Dietikon) zu Darlehen statt nicht rückzahlbarer Stipendien, was Qëndresa Sadriu-Hoxha (SP, Opfikon) auf die Palme brachte: «Wie soll das eine Working Poor zurückzahlen?» Working Poor sind Menschen, die trotz bezahlter Arbeit kaum genug Geld haben zum Leben.
So ging es hin und her. Am Ende werden aufgrund des SVP-Referendums die Stimmberechtigten entscheiden.
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