Neue Ausbildungsbeiträge in ZürichStadt ist mit Stipendien für Geringverdienende zufrieden
Wer wenig verdient, macht seltener eine Weiterbildung. Solchen Menschen greift das Zürcher Sozialdepartement seit Anfang Jahr unter die Arme.
Seit Anfang Jahr vergibt die Stadt Zürich sogenannte Arbeitsmarktstipendien. Diese ermöglichen berufliche Weiterbildungen für Menschen, die sie sich sonst nicht leisten könnten. Anders als klassische Stipendien für Erstausbildungen sind sie Stadtzürcherinnen und -zürcher gedacht, die bereits im Arbeitsleben stehen.
Nach zehn Monaten zieht das städtische Sozialdepartement ein positives Zwischenfazit. Seit Jahresbeginn sind 65 Weiterbildungsgesuche bewilligt worden, wie die Stadt am Montag an einer Medienkonferenz mitteilte. Die durchschnittliche Stipendienhöhe lag bei 6900 Franken, insgesamt wurden rund 450’000 Franken gesprochen. 36 Gesuche wurden abgelehnt, weil sie die Kriterien nicht erfüllten; 20 Gesuche sind noch in Bearbeitung.
Weiterbildung finanzieren, um Sozialhilfe-Risiko zu reduzieren
«Mit den Arbeitsmarktstipendien haben wir ein Instrument auf der grünen Wiese geschaffen», sagte Sozialvorsteher Raphael Golta. Die Grundüberlegung sei, dass Menschen ohne höheren Bildungsabschluss besonders von Faktoren betroffen seien, die ihr berufliches Weiterkommen erschwerten. Ihr Risiko für einen Stellenverlust sei grösser, der Beschäftigungsgrad generell tiefer, das Einkommen teilweise nicht existenzsichernd. Kurzum: Wer gering qualifiziert ist, läuft eher Gefahr, einmal auf Sozialhilfe angewiesen zu sein.
Mit Aus- und Weiterbildungen könnten diese Menschen ihre Berufsaussichten verbessern. Doch das liege meist nicht drin, sagte Golta. «Wenn die Betroffenen eine Weiterbildung machen, können sie ihr ohnehin schon tiefes Einkommen in dieser Zeit nicht halten.» Erhebungen des Bundesamts für Statistik zeigen ebenfalls: Je niedriger der Bildungsabschluss ist, desto seltener wird eine Weiterbildung gemacht.
Die Arbeitsmarktstipendien finanzieren deshalb nicht nur direkte Kurskosten, sondern auch den Erwerbsausfall und eine allfällige externe Kinderbetreuung während der Weiterbildung. Die Verordnung über die Arbeitsmarktstipendien wurde im Zürcher Gemeinderat einstimmig angenommen. Dies zeige ihm, dass die Problemanalyse von links bis rechts geteilt werde, sagte Golta.
Bewilligt werden Gesuche von Personen, deren Position im Arbeitsmarkt gefährdet ist, und wenn die Weiterbildung diese Gefahr reduzieren kann. Die beantragte Weiterbildung muss zweckmässig und das Kosten-/Nutzen-Verhältnis vertretbar sein.
Horthilfe, Essenskurier, Reiseberaterin werden unterstützt
Was das im konkreten Fall bedeutet, skizzierte der Stipendienberater vom Zürcher Laufbahnzentrum Marco Graf an der Pressekonferenz. Er beschrieb, leicht verfremdet, mehrere Gesuche, die bewilligt wurden:
Eine 27-jährige Frau und Mutter von drei Kindern arbeitet Teilzeit in einem Hort. Sie könnte dort eine Lehre als Fachfrau Betreuung antreten, doch der Hort verlangt von der Ausländerin das Deutsch-Niveau B2. Die Stipendien finanzieren deshalb einen Intensiv-Deutschkurs und einen PC-Grundkurs zur Vorbereitung auf die Berufsfachschule.
Ein 41-jähriger Mazedonier verdient sein Geld mit Gelegenheitsjobs, zuletzt als Essenskurier, was für den Familienvater mit Abend- und Wochenendeinsätzen verbunden ist. Die Stadt Zürich finanziert nun eine Weiterbildung zum Lastwagenchauffeur.
Eine alleinerziehende Schweizerin war lange in der Reisebranche tätig und zuletzt in einem Kundencenter. Die 56-Jährige mit HF-Abschluss will sich aus gesundheitlichen und familiären Gründen beruflich neu orientieren, am liebsten im Schulbereich. Die Kosten für den Grundlagenkurs Klassenassistenz werden von der Stadt übernommen.
Eine 54-jährige Lateinamerikanerin hat einen Abschluss als Pflegefachperson, der in der Schweiz aber nicht anerkannt ist. Seit 20 Jahren arbeitet sie deshalb als Pflegehilfe. Nun kann sie eine Ausbildung zur Assistentin Gesundheit und Soziales machen. Sie erhält Stipendien für den Erwerbsausfall während des einen Kurstags pro Woche.
Anders sah es im Fall eines 46-jährigen Architekten mit ETH-Abschluss aus, der einen CAS in Raumplanung machen möchte. Der Mann lebt getrennt und bezahlt Alimente für zwei Kinder. Sein Gesuch wurde abgelehnt mit der Begründung, dass Architekten auf dem Arbeitsmarkt gesucht seien und sein Job nicht gefährdet sei. Stipendienberater Marco Graf wies darauf hin, dass die akademische Ausbildung alleine kein Hinderungsgrund sei.
Die Stadt finanzierte bislang am häufigsten Fachkurse und Branchenabschlüsse (59 Prozent) sowie Deutschkurse (23 Prozent). Hinzu kommen Berufsabschlüsse (12 Prozent) und andere Weiterbildungen.
Sozialvorsteher Golta geht davon aus, dass die Zahl der Gesuchsteller in Zukunft steigen wird, nachdem das neue Angebot zuerst einmal bekannt gemacht werden musste. Ein Maximalbetrag wurde nicht festgelegt, die Kosten für das Angebot wurden mit fünf Millionen Franken deklariert.
Nachtrag vom 28.11.2023: Der Artikel war ursprünglich mit einem Bild eines EAT.ch-Velokuriers bebildert. Das Bild wurde ausgetauscht. Die eat.ch GmbH legt Wert auf die Feststellung, dass ihre Velokuriere keine Geringverdiener sind, sondern überdurchschnittliche Branchenlöhne erhalten, fest angestellt und sozialversichert sind.
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