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Zürcher Gemeinden warnen
«Wir sind im Asylbereich an der Belastungsgrenze»

Ein Containerbau fuer rund 50 ukrainische Gefluechtete steht in Staefa bereit, aufgenommen am Montag, 6. Maerz 2023 in Zuerich. Der Wohnraum soll Anfang April bezugsbereit sein. (KEYSTONE/Ennio Leanza)
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Der Präsident der Gemeindepräsidien Jörg Kündig wählt deutliche Worte: «Ich habe es schon einmal gesagt und wiederhole mich gern: Wir haben keinen Wohnraum mehr im Kanton Zürich», sagte er am Freitag an einer Medienkonferenz zur Lage im Asylbereich im Kanton Zürich.

Per Juni 2023 hat der Kanton Zürich die Asylquote von 0,9 auf 1,3 Prozent erhöht. Das heisst, die Gemeinden müssen 13 Asylsuchende pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner aufnehmen können. Bis im März 2022 lag die Quote noch bei 0,5 Prozent.

Kantonsrat Joerg Kuendig, Praesident des Verbands der Gemeindepraesidien des Kantons Zuerich, informiert ueber den den aktuellen Stand im Asyl- und Fluechtlingsbereich im Kanton und in den Gemeinden des Kantons Zürich, aufgenommen am Montag, 6. Maerz 2023 in Zuerich. (KEYSTONE/Ennio Leanza)

In Ermangelung an Wohnraum würden die Gemeinden auf Zivilschutzanlagen oder Container ausweichen, wobei Letztere lange Lieferzeiten hätten, sagte Kündig. «Vielleicht sind wir einmal genötigt, Armeezelte aufzustellen.»

Bund habe Regeln missachtet

In erster Linie stehe der Bund in Verantwortung, er müsse viel mehr machen, sagte Kündig. «Die Gemeinden sind an der Belastungsgrenze.»

Auch der Zürcher Regierungspräsident und Sicherheitsdirektor Mario Fehr (parteilos) schickte eine klare Botschaft nach Bern. Der Bund müsse jetzt seine Verfahrenspendenzen rasch abbauen. Schweizweit gebe es 15’000 Menschen, deren Erstantrag noch nicht behandelt worden sei. Dies löst laut Fehr einen «Pull-Effekt» aus, weil sich herumspreche, dass man in der Schweiz lange bleiben könne, bis man einen Asylentscheid erhalte.

Regierungsrat Mario Fehr, Vorsteher der Sicherheitsdirektion, informiert ueber den den aktuellen Stand im Asyl- und Fluechtlingsbereich im Kanton und in den Gemeinden des Kantons Zürich, aufgenommen am Montag, 6. Maerz 2023 in Zuerich. (KEYSTONE/Ennio Leanza)

Die offenen Verfahren würden das Zürcher Sozialsystem belasten, weil Asylbewerbende vorzeitig den Kantonen zugewiesen worden seien. Der Bundesrat habe die Regeln des Asylgesetzes missachtet, sagte Fehr. «Der Kanton Zürich wird ein solches Vorgehen nicht noch einmal zulassen.» Der Bund müsse selbst genügend eigene Unterkünfte zur Verfügung stellen, damit dies nicht mehr vorkomme.

Bund sagt, er stelle schon mehr Plätze als nötig

Ein Sprecher des Staatssekretariats für Migration (SEM) bestätigt auf Anfrage, dass die Pendenzen zuletzt aufgrund der hohen Zahl von Asylgesuchen nicht im erwünschten Mass abgebaut wurden. Die Ressourcen seien seit 2022 kontinuierlich verstärkt worden, die neuen Mitarbeitenden müssten aber eingearbeitet werden.

Man setze alles daran, die Gesuche so rasch wie möglich zu bearbeiten. Das SEM rechnet damit, dass die Zahl neuer Asylgesuche in den kommenden kalten Monaten zurückgeht.

Im Rahmen der «Notfallplanung Asyl» sei festgelegt worden, dass der Bund in normalen Zeiten rund 5000 Plätze zur Verfügung stellen müsse, in «Notsituationen» 9000. Derzeit seien es über 10’000 Plätze. Eine vorzeitige Zuweisung an die Kantone sei bei einem raschen und erheblichen Anstieg der Asylgesuche erlaubt, sagt der SEM-Sprecher.

Fehr würde Baume-Schneider nach Eritrea schicken

An der Medienkonferenz sprach Mario Fehr auch das Thema Ausschaffungen an. Er erinnerte daran, dass Bundesrätin Karin Keller-Sutter (FDP) einmal in einem «mutigen Schritt» nach Algerien gereist sei und anschliessend eine Lösung für Rückführungen nach Algerien auf dem Tisch gelegen habe – obwohl dies immer als unmöglich gegolten habe. «Wir würden uns eine solche Lösung mit Eritrea sehr wünschen. Ich könnte mir vorstellen, dass Frau Bundesrätin einmal dorthin fliegt», sagte Fehr, an die heutige Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider (SP) gerichtet.

Elisabeth Baume-Schneider, senatrice jurasienne, candidate au Conseil federal pour le parti socialiste pose le dimanche 13 novembre 2022 aux Breuleux, village des Franches-Montagnes, du canton du Jura. (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott)

Am Freitag teilte die Sicherheitsdirektion ausserdem mit, welche Anbieter künftig die kantonalen Asylstrukturen betreiben werden. Von besonderem Interesse war dies im Zusammenhang mit minderjährigen unbegleiteten Asylsuchenden, kurz MNA (Mineurs non accompagnés).

Recherchen dieser Redaktion hatten Missstände im Zentrum Lilienberg aufgedeckt. Eine unabhängige Fachaufsicht bestätigte später gravierende Mängel wie eine massive Überbelegung und eine ungenügende Betreuung der Minderjährigen.

Kanton reagiert auf Lilienberg-Untersuchung

Der Stadtrat und der Gemeinderat von Zürich erhöhten anschliessend die Standards für die städtische Asylorganisation AOZ. Dies führte zu höheren Kosten und der Frage, ob der Kanton diese tragen wird.

Gemäss Mario Fehr hat man die Kritik aufgenommen. Neu sind drei Typen von MNA-Wohngruppen vorgesehen, die unterschiedliche Grade an Betreuung bieten.

Ein Schlafsaal in der ehemaligen Polizeikaserne die in den naechsten Tagen als temporaere Asyl-Unterkunft in Betrieb genommen wird, aufgenommen am Montag, 16. Januar 2023 in Zuerich. (KEYSTONE/Michael Buholzer).

Ausserdem wurde bei der Wahl der Anbieter das Preiskriterium weniger gewichtet als zuvor – zugunsten des Kriteriums «fachliche Qualifikation». «Dies wird zur Folge haben, dass die Leistungen wesentlich teurer werden. Wir glauben aber, dass dieses Geld gut investiert ist», sagte Fehr. Bisher wurden die MNA-Zentren primär durch die AOZ betrieben. Neu kommen die Anbieter ORS und Caritas dazu.

Gemeinderat kritisiert Vergabe

Der Zürcher Gemeinderat Luca Maggi (Grüne) anerkennt diese Änderung. Er ist Teil eines Netzwerks, das sich für bessere Bedingungen für MNA im Kanton Zürich einsetzt. «Unsere Forderungen und der öffentliche Druck haben Wirkung gezeigt», sagt er auf Anfrage.

Anders beurteilt Maggi hingegen die Neuvergabe der Durchgangszentren, wo hauptsächlich erwachsene Asylsuchende leben. Es sei «besorgniserregend», dass die AOZ bei dieser Ausschreibung leer ausgegangen sei. «Das Sozialamt hat offenbar jene Anbieter berücksichtigt, welche günstiger offerieren und dafür Abstriche im Angebot machen.»

Das sei problematisch, weil in Durchgangszentren auch Kinder mit ihren Eltern sowie teilweise MNA untergebracht seien. Maggi betont, dass für sie die UNO-Kinderrechtskonvention gelten müsste, die mit Massnahmen in der Betreuung verbunden ist. Durchgangszentren sind aber nicht auf die Betreuung von unbegleiteten Minderjährigen ausgelegt.

«MNA sind die grösste sozialpolitische Herausforderung»

Das Submissionsverfahren folge ganz klaren Regeln, sagte die kantonale Sozialamt-Chefin Andrea Lübberstedt an der Pressekonferenz. Es seien keine Anbieter nur wegen des Preises nicht berücksichtigt worden. Entscheidend sei immer die Gesamtbetrachtung. Neu betreiben ORS und Caritas die Durchgangszentren.

Man habe einen starken Fokus auf die MNA, sagte Mario Fehr. «Sie sind die grösste sozialpolitische Herausforderung im Asylbereich.» Es sei klar, dass diese jungen Geflüchteten lange in der Schweiz bleiben würden, weshalb der Kanton für ihre Integration zusätzliche Anstrengungen unternehme.

Der Kanton Zürich betreut heute über 500 MNA. In den Bundesasylzentren leben weitere 1400 Minderjährige. Fehr sagt, er erwarte vom Bund, dass dieser mit Medizintests abkläre, ob diese Asylsuchenden wirklich minderjährig seien. Im Kanton Zürich seien die MNA zu 97 Prozent männlich und zu 85 Prozent aus Afghanistan. Mehr als die Hälfte sei älter als 17 Jahre, sagt Fehr.