Hass in sozialen Netzwerken Zuckerbergs Hinhaltetaktik ist gescheitert
Facebook wollte US-Präsident Donald Trump zensurieren, duckte sich dann aber aus politischen Gründen. Der Werbeboykott ist die späte Quittung für die umstrittene Haltung des Firmenchefs.
Was die Politik bisher nicht vermochte, könnte nun die Werbewirtschaft schaffen – Facebook zur Verantwortung für rassistische Inhalte zu ziehen. Zwar mag der Werbeboykott von Multis wie Starbucks, Unilever und Coca-Cola mitten in einem gehässigen US-Wahlkampf opportunistisch erscheinen, doch spiegelt er mehr denn je auch die Stimmung in manchen Chefetagen. Facebook ist nicht mehr zwingend eine Werbeplattform für kaufkräftige und kritische Konsumenten.
Dabei war sich Mark Zuckerberg schon früh bewusst, dass eine lasche Handhabung der Spielregeln zugunsten von Politikern wie Trump Facebook schaden könnte. Vor den Wahlen 2016 sah er seine Rolle weitgehend darin, politische Figuren zu umgarnen, ihre Ansichten zu verbreiten und damit Anzeigen zu generieren. Dies änderte sich vorübergehend, als Trump ein Jahr vor den Wahlen ein Video auf Facebook veröffentlichte, in dem er ein Einreiseverbot für alle Muslime in die USA ankündigte.
Interner Aufruhr wegen Video
Das Video sorgte gemäss der «Washington Post», die sich auf Facebook-Mitarbeiter stützt, intern für Aufruhr. Es wurde als Hassrede und als klarer Verstoss gegen die Unternehmensrichtlinien eingestuft. Zuckerberg wollte es entfernt haben, liess es aber schliesslich durchgehen. Ein striktes Durchsetzen der Richtlinien, so das Verdikt der Führungsspitze, würde Imageprobleme schaffen. Eine Senkung der Standards könnte hingegen die unangenehme Frage aufwerfen, ob Facebook eine Plattform für Adolf Hitler bereitgestellt hätte.
Nach dem Wahlsieg Trumps wuchs der Druck auf Zuckerberg erheblich. Der Präsident und seine Mannschaft im Kongress warfen Facebook vor, rechtskonservative Stimmen zu unterdrücken. «Obwohl es keine glaubwürdige Forschung gibt, die Trumps Behauptung stützte», sagt der frühere Facebook-Sprecher Nu Wexler heute, «so gelang es ihm dennoch, dass sie (die Facebook-Führung) ihre Regeln für ihn anpassten.»
«Es gibt keinen Platz für Rassismus in der Welt, und es gibt keinen Platz für Rassismus in den sozialen Medien.»
Es entstand laut Insidern eine Spannung zwischen dem Facebook-Team im Silicon Valley und jenem in Washington. Die Manager in Washington, darunter frühere republikanische Strategen, rieten zur Vorsicht und Respekt gegenüber Trump, um im neuen politischen Umfeld zu überleben. Sie setzten sich gegen die mahnenden Stimmen durch, befeuert durch das rapide Kundenwachstum. Die gewährten Ausnahmen für die politische Hassrede sollten aber die Plattform nicht nur für Trump öffnen, sondern auch für andere Populisten wie Rodrigo Duterte auf den Philippinen, Jair Bolsonaro in Brasilien und Narendra Modi in Indien.
Je näher die Wahlen 2020 rücken, desto isolierter ist Zuckerberg. Intern ist die Kritik von Mitarbeitern noch mehr gewachsen, nachdem Twitter und Snapchat den US-Präsidenten zu zensurieren begonnen hatten und damit Facebook zuvorgekommen waren. Hinzu verdichten sich die politischen Risiken. Sollten die Demokraten gewinnen, so weiss Zuckerberg nicht nur Joe Biden, sondern auch die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi gegen sich, da er sich letztes Jahr weigerte, ein diffamierendes Video zu entfernen, das sie betrunken erscheinen liess. Zuckerberg wollte sie damals sprechen, aber Pelosi hat ihn nie zurückgerufen.
Er soll regelmässig mit Trump telefonieren
Doch die Hinhaltetaktik des Facebook-Chefs, der mit Trump regelmässig telefonieren soll, ist gescheitert. Führende Multis von Verizon über Honda, Unilever und Levi’s bis zu Coca-Cola und Starbucks haben mit ihrem Boykott Zuckerberg die Rote Karte gezeigt.
Ihre Argumentation lässt sich so zusammenfassen: «Angesichts der gegenwärtigen Polarisierung und der Wahlen in den USA muss die Durchsetzung im Bereich der Hassreden wesentlich verstärkt werden. Eine weitere Werbung auf Plattformen wie Facebook und Instagram schafft keinen Mehrwert für Menschen und die Gesellschaft.» Das ist exakt, was Luis Di Como, Unilever-Vizepräsident für globale Medien, sagt. Coca-Cola-Chef James Quincey verdeutlicht: «Es gibt keinen Platz für Rassismus in der Welt, und es gibt keinen Platz für Rassismus in den sozialen Medien.»
Ob es Zuckerberg gelingt, den Unmut zu bremsen und den Sachschaden an der Börse – bisher verlor das Unternehmen über 60 Milliarden an Wert – zu limitieren, ist nicht so klar. Der Beitritt von Unilever zum Boykott habe enormen Druck gemacht, sagt Nicole Perrin vom Marktforschungsunternehmen eMarketer. Der Konzern sei einer der grössten Werbetreibenden der Welt und habe die Bahn für andere geöffnet. «Dies zeigt ein tieferes Problem mit Plattformen wie Facebook, weil sie die Spaltung zwischen den Nutzern erhöhen.»
Skeptisch sind auch die Vertreter von Change the Terms, einer Koalition von über 55 Bürgerrechtsgruppen, die sich im Kampf gegen den Onlinehass einsetzen. «Wir brauchen mehr Durchsetzung – keine Worte mehr, die unerfüllt bleiben», erklärte Jessica González, Mitbegründerin von Change the Terms.
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