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Investoren entdecken Frauengesundheit
«Zu lange galt der männliche Körper als Massstab»

Die 31-jährige Anna Söderlind hatte in der Pandemie die Idee zu Tech4Eva und freut sich, dass immer mehr Investoren die Frauengesundheit auf dem Radar haben.
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«Die erste Reaktion, sobald ich auf das Thema Frauengesundheit zu sprechen komme, ist häufig: Ist das wirklich ein Problem? Dann frage ich jeweils zurück: Soll beispielsweise beim Einsetzen einer Verhütungsspirale weiterhin eine Zange verwendet werden, die während des 1. Weltkrieges erfunden wurde, um Gewehrkugeln aus den Körpern der Soldaten zu ziehen? Wäre es nicht sinnvoll, über weniger blutige und schmerzhafte Alternativen nachzudenken?

Für mich ist klar: Natürlich ist es ein Problem und wir müssen etwas tun. Es gibt unzählige Beispiele, die veranschaulichen, dass der Fokus in der Medizin zu lange auf dem männlichen Körper lag. Sei es bei Medikamenten, der Dosierung oder den Therapieangeboten: Ein Mann mittleren Alters, 180 Zentimeter gross und 75 Kilo schwer, galt stets als Massstab. Mit teilweise fatalen Folgen.

Mehrere Studien zeigen, dass Frauen länger auf eine Diagnose warten und nicht ernst genommen werden. Schmerzen werden oft mit psychischen Einschränkungen gleichgesetzt. Das kann tödlich sein: Diagnosefehler verursachen allein in den USA 40’000 bis 80’000 Todesfälle.

Ich bin in einer kleinen Stadt nördlich von Stockholm aufgewachsen. Erst studierte ich Ingenieurwissenschaften, wechselte dann zur Medizin und schloss schliesslich ein Wirtschaftsstudium ab. Ich hatte schon immer viele Ideen. Während der Pandemie, als das Pendeln wegfiel und das soziale Leben stillstand, reifte dann bei mir die Idee für Tech4Eva. Das Ziel: Start-ups im Femtech-Bereich zu fördern.

«Noch zu wenige Unternehmen beschäftigen sich mit der Frauengesundheit.»

Anna Söderlind

Tatsächlich fliessen lediglich vier Prozent des gesamten Forschungsgeldes, das weltweit im Gesundheitsbereich gesprochen wird, laut dem Wissenschaftsmagazin «Forbes» in Frauenthemen. Auch in der Schweiz und in Europa beschäftigen sich zwar immer mehr, aber noch zu wenige Unternehmen mit diesen Themen.

Bei meinem Arbeitgeber, der Krankenversicherung Groupe Mutuel, stiess ich mit meinen Vorhaben auf offene Ohren. Seit vier Jahren bin ich dort im Innovationsteam tätig. Ebenfalls konnte ich den EPFL Innovation Park an Bord holen. 2021 sind wir dann mit Tech4Eva gestartet. Mittlerweile sind wir im dritten Zyklus und haben für 2023 über 147 Bewerbungen von Start-ups aus über 40 Ländern erhalten. Zwar stammen die meisten nach wie vor aus Europa, doch die Schwellenländer holen auf.

So unterstützen wir dieses Jahr das Projekt Palpa aus Chile. Josefa Cortes, eine junge Frau, die in ihrem direkten Umfeld Menschen wegen Brustkrebs verloren hat, entwickelte eine spezielle Duschbürste. Sie sieht aus wie eine Brust und fühlt sich auch so an. Sie soll einerseits beim Duschen daran erinnern, dass sich alle Frauen regelmässig die Brüste nach möglichen Knoten untersuchen sollen, und andererseits hilft die Bürste auch, einen Knoten als solchen zu erkennen. Wer die Bürste abtastet, kann ein Knötchen fühlen. Genial, oder?

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Also ich finde, es sind manchmal ganz einfache, alltägliche Dinge, die sehr effektiv sind. Konkret unterstützen wir Palpa, was auf Deutsch übrigens Fühlen heisst, während neun Monaten, so lange, wie eine Schwangerschaft dauert. Das Programm sieht Coachings, Marktstrategien, Investoren- sowie Kundentreffen und Diskussionen mit den grossen Namen der Branche vor. Je nachdem, was nötig ist.

Im Gegensatz zu anderen Beschleunigern beteiligt sich Tech4Eva nicht an den Start-ups. Mit der Groupe Mutuel im Rücken sehen wir das Engagement als Prävention. Denn je mehr auf die Frauengesundheit achtgegeben wird, desto weniger Kosten fallen an. Jeweils 15 Start-ups nehmen wir pro Zyklus in unser Programm auf. Die Auswahl treffe ich zusammen mit einem Team der EPFL.

Voraussetzung, dass sie überhaupt angeschaut werden: Die jungen Unternehmen sollten sich mit Themen rund um die Gesundheit der Frau hinsichtlich Prävention, Begleitung und Behandlung befassen. Gut die Hälfte unserer Start-ups beschäftigt sich mit Themen wie sexuelle Gesundheit, psychische Gesundheit und Schwangerschaft. Aber auch Verhütung, Fruchtbarkeit und Wechseljahre sind im Fokus.

Was mich besonders freut: Tech4Eva trifft den Zeitgeist. Vor fünf Jahren wäre der Markt wohl noch nicht so weit gewesen, doch jetzt ist er hungrig nach Lösungen. Die Investoren haben verstanden, dass es interessant ist und es sich auch lohnt, in die Frauengesundheit zu investieren. Mittlerweile beläuft sich die Investitionssumme über alle von Tech4Eva unterstützten Projekte auf 90 Millionen Franken. Tech4Eva ist kein Baby mehr, sondern gross geworden. Das macht mich stolz und zeigt mir: Es ist der richtige Weg.

Anna Söderlind sagt: «Wie können wir erwarten, Missstände zu lösen, wenn wir nicht wissen, dass sie existieren?»

Klar, wir werden nicht alle Probleme lösen können, das ist auch nicht unsere Aufgabe, aber wir können motivieren und inspirieren, etwas zu verändern. Mir geht es vor allem darum, einen Wow-Effekt auszulösen. Wow, so viele sind davon betroffen. Wow, so viele leiden. Noch immer ist die Gesundheit der Frau ein Tabu.

Beispielsweise Inkontinenz nach einer Schwangerschaft. Etwa eine von drei Frauen leidet nach der Geburt darunter. Oft getrauen sie sich nicht, darüber zu sprechen. Ein Teufelskreis. Sie haben das Gefühl, die Einzigen zu sein, und die Gesellschaft geht davon aus, dass es kein Thema ist. Wie können wir erwarten, Missstände zu lösen, wenn wir nicht wissen, dass sie existieren?

Auch in diesem Punkt hatte die Pandemie etwas Gutes. Erst sprachen Frauen in Foren darüber, dass durch die Impfung ihr Zyklus durcheinandergeraten war, dann kam das Thema in die Medien, und die Bevölkerung realisierte: Wow, es sind viele. Schliesslich nahm sich die Wissenschaft dessen an und nicht nur das, auch in anderen Bereichen wird plötzlich über die Menstruation gesprochen.

«Meine Motivation nehme ich teilweise aus eigenen Erfahrungen.»

Anna Söderlind

Ich sehe auch die Frauen in der Pflicht, den Mut aufzubringen, über gesundheitliche Leiden zu sprechen und sie bekannt zu machen. Übrigens: Bei 80 Prozent der Start-ups, die sich bei uns melden, sind Frauen die Gründerinnen. Manche kommen aus dem Gesundheitsbereich, andere nicht.

Meine Motivation nehme ich teilweise aus eigenen Erfahrungen. Ich habe, wie viele andere Frauen auch, erleben müssen, dass meine gesundheitlichen Symptome nicht ernst genommen wurden und dass ich erst in einem fortgeschrittenen Stadium die Behandlung bekam, die ich eigentlich früher hätte erhalten sollen.

Vieles ist – gerade in der Schweiz – schon gut, aber wir können es noch besser machen. Der Fokus auf die Frauengesundheit wird erst der Anfang sein, hin zu einer personalisierten Medizin. Wir alle unterscheiden uns nicht nur über das Geschlecht, sondern auch über die Gene, das Blut und, und, und. Es gibt noch so einiges zu tun.»