ZSC-Trainer ist überqualifiziertZu Hause ist er eine Legende – hier bloss Assistent
Er gewann mehr Meistertitel als alle aktuellen NL-Coachs zusammen, und doch ist Tommy Samuelsson in Zürich nur als Hilfskraft gelandet. Warum nur?
Als Sven Leuenberger letzten Frühling zum Telefon griff, um Tommy Samuelsson zu kontaktieren, plagte den Sportchef der ZSC Lions ein Gedanke: «Ist es despektierlich, jemanden wie ihm einen Job als Assistenzcoach anzubieten?» Der 60-jährige Schwede ist in seiner Heimat nicht nur eine Legende in seinem Herzensverein Färjestad, bei dem seine Rückennummer 2 nicht mehr vergeben wird – keinem weiteren Verteidiger der Clubgeschichte kommt diese Ehre zuteil.
Samuelsson ist auch als Trainer eine grosse Nummer – zweifacher Champion, ebenfalls mit dem Club aus Karlstad, er hat aber auch in Skelleftea, in einem weiteren Traditionsclub, seine Spuren hinterlassen. Und er hat mehr Titel gewonnen als alle aktuellen Coachs der National League zusammen. Wie würde er also auf die Anfrage Leuenbergers reagieren?
Samuelsson sitzt in der Kebo in Oerlikon, der Trainingshalle der ZSC Lions. Rund acht Monate sind seit der Anfrage vergangen – und seit der Zusage, Assistent von Rikard Grönborg zu werden. Sein Ja zum Job in Zürich sorgte auch in Schweden für Gesprächsstoff und die immer gleiche Frage: Warum? Sucht er den Headcoach-Job in der Schweiz via einer Anstellung als Assistent? Das hätte er doch gar nicht nötig. «Nein, nein», sagt Samuelsson kopfschüttelnd. «Viele denken wohl, das sei alles so geplant gewesen, aber das stimmt nicht», sagt er.
«Wir wollten einen Assistenzcoach mit einer Meinung, keinen Jasager.»
Es sei eine Verkettung von Zufällen, dass er bei den Lions gelandet sei: «Dass ich gleichzeitig bei Skelleftea aufhöre, dass Rikard Grönborg mich vorschlägt und Sven dann auch tatsächlich anruft.» Ihn und Grönborg verbindet keine alte Freundschaft, sie kannten sich nicht mal besonders gut. Der Plan Leuenbergers war, den vakanten Posten mit einem starken Assistenten zu belegen: «Mit jemandem mit einer Meinung, keinem Jasager.»
Ein mögliches Konfliktpotenzial habe Samuelsson bereits in diesem Telefonat erkannt und angesprochen, sagt Leuenberger: «Er sagte von sich aus, dass er es nicht auf Rikards Job abgesehen habe. Sondern dass er sich unter ihm weiterentwickeln wolle.» Dass ein 60-Jähriger dies sagt, hat den ZSC-Sportchef beeindruckt.
Das Lob der grossen Hockeylegende Schwedens
Der Respekt, den Samuelsson in seiner Heimat geniesst, ist gross. Hakan Loob, eine der grössten Eishockeyfiguren Schwedens, wird dieses Zitat zugeschrieben: «Es war Tommy, der mich als jungen Spieler auf den richtigen Weg zum Profi brachte.» Die beiden sind gleich alt, waren damals zwei von mehreren 21-jährigen Spielern einer sehr jungen und mit mehreren späteren schwedischen Legenden gespickten Färjestad-Mannschaft.
Samuelsson, ein 1,77 Meter kleiner Verteidiger inmitten einer Eishockeywelt, die damals noch vorwiegend auf grosse, kräftige Abwehrspieler setzte, galt im Club als jener Spieler, der den Grundstein legte für eine Weiterentwicklung des professionellen Trainings, der schon als sehr junger Sportler sich und alle anderen antrieb. «Dass Hakan dies über mich sagt, bedeutet mir sehr viel», sagt Samuelsson, beide Hände auf seine linke Brust drückend.
19 Jahre lang blieb Samuelsson Färjestad treu, nahm dabei 6-mal am Spengler-Cup teil; zum Abschluss der Karriere spielte er noch zwei Saisons in Wien und 1996/97 eine in der Schweiz beim damaligen B-Ligisten Luzern. Gleich drei Trainer habe er dort erlebt, erzählt er schmunzelnd: Bror Hansson (der gerade als Nachfolger Arno Del Curtos gekommen war), Beat Lautenschlager und Hans Kossmann.
Samuelsson betrachtete das Spiel schon früh wie ein Coach, diesen Weg schlug er in seiner letzten Saison als Spieler in Wien bereits ein, als er nach einer schweren Rückenverletzung die letzten Partien zum Assistenztrainer befördert wurde. Eine erfolgreiche Trainerkarriere nahm so ihren Anfang.
Die Handschrift ist bereits erkennbar
Beim ZSC ist er nun für die Verteidiger und das Penalty-Killing zuständig – die Handschrift ist teilweise schon zu erkennen: Das bereits unter seinem Vorgänger Fredrik Stillman in der Schweiz einmalig aktive Unterzahlspiel lässt er, vor allem in der eigenen Zone, nun noch aggressiver interpretieren.
Das Gegenteil von aggressiv verkörpert der Mensch Samuelsson. Die ZSC-Spieler schätzen seine ruhige und einfühlsame Art. Der Schwede vertritt die Philosophie von der (Trainer-)Arbeit im Team, er wirkte in Karlstad einst zwei Jahre mit einem gleichberechtigten Co-Headcoach. Und er ist überzeugt, dass Fehler von Spielern passieren dürfen und nicht immer sogleich bestraft werden müssen.
Warum das der richtige Weg sei, erläutert Samuelsson an einem sehr prominenten Beispiel: Erik Karlsson, der in der NHL das Bild des offensiven Verteidigers im Eishockeysport neu definierte und nicht nur in Schweden eine Generation von jungen Abwehrspielern inspirierte. Samuelsson sagt: «Erinnern Sie sich, wie viele schlimme Fehler Erik am Anfang seiner Karriere machte? Hätte er Coachs gehabt, die sein Spiel unterdrücken, hätten sie ihn auch als Spieler, der er wurde, verhindert.»
Spieler entwickeln, sich selber entwickeln, darüber spricht Samuelsson immer wieder. «Ich will nie stagnieren, immer etwas Neues machen. Auch darum sagte ich für den Assistenzjob unter Rikard zu. Ich kannte ihn bislang erst als früheren Nationaltrainer Schwedens.» Ob er insgeheim hoffe, einst gemeinsam mit Grönborg ein Trainerduo in der NHL zu bilden? Samuelsson lacht laut und sagt: «Nein. Ich bin hier, im Jetzt. Ich bin hier in Zürich, um hier Spiele zu gewinnen.»
Zu weit in die Zukunft schauen? Corona habe vieles komplizierter gemacht, sagt er. «Unter Trainern pflegst du bei Niederlagen zu scherzen, dass du vielleicht schon nächste Woche irgendwo anders sein wirst. Mit der Pandemie musst du auch nach Siegen mittlerweile froh sein, wenn du die nächste Partie spielen kannst und nicht wieder in Quarantäne musst.»
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