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Prozess am Bundesstrafgericht
«Ich war wie eine Sexsklavin für ihn»

Binta Jamba poses for a portait outside of the Federal Criminal Court of Switzerland in Bellinzona, Switzerland.

Als es das erste Mal passierte, war es spät am Abend. «Er kam, um mit mir zu sprechen. Meine Mutter sagte mir, ich solle stark sein, keine Angst haben.» Denn das Leben der ganzen Familie, auch jenes der Kinder, hänge von ihrem Verhalten ab. «Er kam in mein Zimmer und schloss als Erstes das Zimmer ab. Ich zitterte. Er stiess mich auf das Bett, zog seinen Gürtel aus und liess die Hose runter.»

So schildert Binta Jamba am Mittwoch vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona ihre erste Vergewaltigung durch Ousman Sonko. Fast auf den Tag genau 24 Jahre nach der mutmasslichen Tat. Die heute 55-jährige Jamba atmet schwer, als sie sich an die Zeit erinnert. Sie scheint jedoch fest entschlossen, ihren einstigen Peiniger zur Verantwortung zu ziehen. Gefasst und mit klarer Stimme spricht sie zu den zwei Richtern, der Richterin und den beiden Dolmetscherinnen.

Ihr Mann wurde erschossen

Nur einmal muss ihr der Gerichtsweibel ein Kleenex bringen, damit sie ihre Tränen wegwischen kann. Als Jamba erzählt, wie Sonko, wenige Tage vor der mutmasslichen Vergewaltigung, ihren Mann mithilfe einer Handvoll Soldaten erschossen habe. Dieser war Leutnant der gambischen Streitkräfte und soll gemäss Anklageschrift der Bundesanwaltschaft an einem Putschversuch gegen den Präsidenten beteiligt gewesen sein.

Der beschuldigte Sonko, damals Hauptmann der gambischen Staatsgarde und später Innenminister des westafrikanischen Kleinstaates, ist nicht im Gerichtssaal anwesend. Er wurde zuvor auf Antrag von Jambas Anwältin von den Polizisten hinausbegleitet, damit sein mutmassliches Opfer ohne seine Anwesenheit über die Geschehnisse sprechen kann.

Er soll Binta Jamba mehrfach vergewaltigt haben und ist wegen diverser weiterer mutmasslicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt: Ousman Sonko, ehemaliger Innenminister von Gambia.

Ihm werden neben Vergewaltigungen auch Mord, Nötigung und sechs weitere Straftatbestände vorgeworfen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zehn Klägerinnen und Kläger sagen in diesem Monsterprozess im Tessin gegen ihn aus. Allein die Kosten für das sieben Jahre dauernde Vorverfahren beliefen sich auf knapp drei Millionen Franken.

Ohne Sonko im Raum, über 4000 Kilometer von ihrer Heimat und dem Tatort entfernt, erzählt Jamba, wie sie in den Monaten nach der ersten Vergewaltigung wie eine «Sexsklavin» gehalten wurde. Alle paar Tage sei er vorbeigekommen und habe sie missbraucht.

Der Prozess ist eine Premiere Europa

In den vergangenen Tagen hat der die Verhandlung führende Gerichtspräsident Alberto Fabbri die Fragen gestellt, auch bei der ersten Befragung von Sonko am Dienstagnachmittag. Doch die schwer traumatisierte Jamba wird nun von der Bundesstrafrichterin Joséphine Contu Albrizio befragt. Albrizio wirkt in ihrer Rolle etwas unsicher. So fällt sie der Dolmetscherin ins Wort, obwohl diese korrekt übersetzt hat. Nach einem Einwand von Sonkos Verteidiger nimmt sie überhastet eine bereits gestellte Frage wieder zurück.

Vielleicht rührt ihre Nervosität auch daher, dass es der wohl wichtigste Tag im gesamten Prozess ist, ein Schlüsselmoment in dieser für die Schweiz historischen Verhandlung, die bis mindestens Ende Januar dauern wird. Es ist das erste Mal in Europa, dass ein solch hoher Amtsträger wie Sonko dank des sogenannten Weltrechtsprinzips vor Gericht steht und sich für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten muss.

Binta Jamba ist für die Anklage der Bundesanwaltschaft die wichtigste Zeugin. Sie war unter den Klägerinnen und Kläger am unmittelbarsten von der Gewalt Sonkos betroffen und soll auch exemplarisch für die Gräuel stehen, die während der gambischen Diktatur zwischen 1994 und 2017 verübt wurden. Ihre mehrfach erlittenen Vergewaltigungen seien im Rahmen eines «ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung» erfolgt, heisst es in der Anklageschrift.

Aufarbeitung von Gambias Vergangenheit

Das Bundesstrafgericht wird am Ende dieses Prozesses einen Entscheid fällen, der über die Landesgrenzen hinaus Wirkung haben wird. Sollte Sonko verurteilt werden, könnten auch anderen Amtsträgern künftig ähnliche Prozesse drohen. So zum Beispiel russischen Beamten, denen Verbrechen im Ukraine-Krieg vorgeworfen werden könnten.

Auch für die Menschen in Gambia hat die Verhandlung in Bellinzona grosse Bedeutung. Eine gambische Journalistin und ein Journalist sagen, in diesem Prozess gehe es nicht nur um Ousman Sonko. Mit den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft und dem Prozess in Bellinzona werde auch die jüngere Geschichte Gambias aufgearbeitet. Denn das Gericht muss über die Frage befinden, ob während der Präsidentschaft des ehemaligen Diktators Yahya Jammeh, als Sonko Innenminister war, ein ausgedehnter und systematischer Angriff gegen die Zivilbevölkerung stattgefunden hat.

Und wer Binta Jamba zuhört, dem wird auch klar, dass in den blendend weissen Hallen des Bundesstrafgerichts nicht nur die dunklen Machenschaften der gambischen Diktatur ausgeleuchtet werden. Auch intime Themen kommen zur Sprache, die in der gambischen Gesellschaft noch immer Tabus sind. Jamba sagt, sie habe erst durch ihre Tochter erfahren, die in den USA in die Schule ging, dass eine Vergewaltigung ein Verbrechen sei. Noch immer sei es in der gambischen Gesellschaft weitverbreitet, dass Frauen Angst haben, man glaube ihnen nicht, wenn sie einem Mann Missbrauch vorwerfen.

Binta Jamba sagt vor Gericht auch, dass sie damals auf Befehl von Sonko zweimal eine Schwangerschaft abgebrochen habe, heimlich, denn Abtreibungen seien damals illegal gewesen.

Olimatou Sonko, the daughter of Ousman Sonko (also on the defence team of her Father) poses for a portait outside of the Federal Criminal Court of Switzerland in Bellinzona, Switzerland.

Für Aufsehen im Gerichtssaal sorgte bereits zu Beginn, dass im Verteidigerteam des Angeklagten seine 24-jährige Tochter sitzt. Olimatou Sonko wird während der Befragung von Binta Jamba von der Bundesanwältin gerügt, weil sie versucht haben soll, mit der Zeugin Augenkontakt aufzunehmen. Sie muss daraufhin ihren Tisch zurückschieben, damit sie sich hinter dem Sichtfeld von Jamba befindet.

Sonko wird gleich im Anschluss einvernommen und streitet alles ab. Auf viele Fragen gibt er erst gar keine Antwort und beruft sich mehrfach auf angebliche «gesetzliche Geheimhaltungspflichten» als ehemaliger Militär und Innenminister und bittet den Bundesstrafrichter Fabbri, dies zu respektieren. Dieser wiederum bittet Sonko, die Fragen des Gerichts zu respektieren.

Während Sonko in seinen ersten Worten noch kleinlaut klingt und mit hoher Stimme spricht, wird er in den stundenlangen Befragungen immer selbstbewusster und lauter. Auch die grausamsten Vorwürfe nimmt er beinahe interessiert zur Kenntnis, als würde über jemand anderes gesprochen. Zu den mutmasslichen Vergewaltigungen Jambas behauptet das Verteidigerteam, dass Sonko während der angeblichen Tatzeit gar nicht im Land gewesen sei, sondern auf verschiedenen Missionen der UNO.

Sonkos Tochter spricht erstmals

Davon ist auch Sonkos Tochter überzeugt, die sich am Rande des Prozesses gegenüber dieser Redaktion erstmals öffentlich zu den Vorwürfen gegen ihren Vater äussert. Sie habe von den Anschuldigungen erfahren, als sie 16 Jahre alt gewesen sei, sagt sie. Sie lebte damals bereits drei Jahre in London.

Sie habe sich damals entschieden, später Jura zu studieren. Sie betrachte es als ihre Lebensaufgabe, ihm zu helfen und ihn zu unterstützen.«Ich musste schnell erwachsen werden», sagt sie. Nach Bellinzona reiste sie mit ihrem drei Monate alten Baby. Während sie an den Verhandlungen teilnimmt, passt ihr Mann im Hotel auf das Kind auf.

Olimatou Sonko streitet nicht ab, dass in Gambia Leute gefoltert und Oppositionelle getötet worden seien. Nur habe ihr Vater damit nichts zu tun. «Er hat die Folter nicht befohlen», sagt sie. Zu den konkreten Vorwürfen von Binta Jamba sagt sie: «Ich bin eine Frau. Und ich habe immer Mitgefühl mit jemandem, der behauptet, vergewaltigt worden zu sein. Aber aus meiner Sicht sind die Vorwürfe erfunden.»

Was fühlt sie, wenn Jamba gegen ihren Vater aussagt? «Um ehrlich zu sein: nichts.»

Es ist kurz nach 15 Uhr, als die Befragung von Binta Jamba endet. Keine Fragen mehr. Nach 24 Jahren scheint ihr Leiden ein vorläufiges Ende genommen zu haben. Sie lächelt, steht auf und umarmt ihre Anwältin.

Korrektur 12.1.2023: Im Abschnitt zum Augenkontakt von Olimatou Sonko mit Binta Jamba hiess es in einer vorherigen Version, dass Sonko von Richter Fabbri gerügt worden sei. Das war nicht korrekt. Es war die Bundesanwältin, die sie gerügt hatte, worauf der Richter die Anweisung gab, den Tisch zurückzuschieben. Der Satz wurde entsprechend angepasst.