Strategie in Australien und NeuseelandZero Covid wankt – wie es nun aus der Krise gehen soll
Australien und Neuseeland haben sich abgeschottet, doch Delta stellt die Strategie nun infrage. Nun schauen sie gespannt nach Singapur, wo Zero Covid gerade durch ein neues Konzept ersetzt wird.
Australien und Neuseeland haben sich seit Frühling 2020 von der Aussenwelt abgeriegelt, zumindest was den freien Personenverkehr betrifft. Lange durften selbst Staatsbürgerinnen und Langzeitaufenthalter nicht ein- oder ausreisen. Bis heute gibt es strikte Quarantänevorschriften, nicht etwa zu Hause in Eigenverantwortung, wie es in der Schweiz gehandhabt wurde, sondern in selbst zu bezahlenden und bewachten «Medi-Hotels».
Zudem gab es immer wieder grossflächige Lockdowns, teilweise genügte ein einziger Corona-Fall, um eine Grossstadt wie Auckland oder Sydney für mehrere Tage komplett dichtzumachen. Die Bewohnerinnen und Bewohner trugen diese Zero-Covid-Strategie allerdings mit, denn lange funktionierte sie gut. Die Eindämmung klappte, es gab keinen Flächenbrand, und zwischen den kurzen Lockdownphasen genoss man in Ozeanien ein praktisch pandemiefreies Leben.
In Neuseeland drängten sich Zehntausende Zuschauer in ein Rugbystadion, als im Herbst 2020 die Corona-Zahlen in der Schweiz gerade in schwindelerregende Höhen schossen. Während hier schon über 11’000 Covid-Tote gezählt wurden – 128 auf 100’000 Einwohner – sind es in Australien rund 1000 oder 4 pro 100’000 Einwohner. Neuseeland verzeichnet bislang 26 Covid-Tote unter seinen 5 Millionen Bewohnern – das entspricht 0,5 pro 100’000 Einwohner. Dank Zero Covid, dank des Inseldaseins.
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Dann kam Delta, und das Konzept stiess an seine Grenzen. Die Variante ist ansteckender und verbreitet sich schneller. Sie einzudämmen, ist demzufolge schwieriger, bedingt mehr Testaufwand und längere Lockdowns. Die Neuseeländerinnen und Australier sind sich diese zwar mittlerweile gewohnt, sie wissen, dass der Motor wieder brummt, sobald die Fälle wieder auf null sind. Im Sommer 2021 war die Wirtschaft denn auch zurück auf Vorpandemie-Niveau, ein schöner Lohn für die Entbehrungen der Zwangsschliessungen. Eigentlich, denn nun droht die Strategie doch noch zu scheitern.
Bundesstaat wird abgeschottet
Im australischen Bundesstaat New South Wales um die Metropole Sydney scheint Delta ausser Kontrolle. Die Region verzeichnet bald dreimal mehr Fälle, als es zum Höhepunkt der zweiten australischen Welle im August 2020 im ganzen Land gab. Es gilt zwar wieder ein strenger Lockdown, aber es gibt auch Proteste dagegen, Demonstrationen, die in Strassenschlachten mit der Polizei ausarten.
Der Rest des Landes hat Delta derweil im Griff, weshalb es mittlerweile nicht nur Reiseverbote an der Landesgrenze, sondern auch innerhalb Australiens gibt. New South Wales wird isoliert.
Ob der Bundesstaat die Rückkehr zur Null nochmals schafft, wird derzeit bezweifelt. Der Lockdown sei viel zu spät eingesetzt worden, monieren Kritikerinnen und Kritiker. Mit der Zero-Covid-Strategie wird ein schnelles und komplettes Herunterfahren des öffentlichen Lebens notwendig, wie die Schweiz dies nur aus dem März 2020 kennt, alles zu, von heute auf morgen. Jeder Tag des Zuwartens verschlimmert die Situation, und genau dieses Zögern hat die Lage rund um Sydney nun eskalieren lassen.
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Neuseeland ist seinem Konzept dagegen treu geblieben. Mitte August wurde in britischen Medien noch schadenfreudig gespottet, dass die «teure Fantasie-Strategie» auf der anderen Seite der Erde gescheitert sei. Doch die Kiwis geben noch nicht auf, momentan haben sich die Zahlen auf der Höhe der ersten und bis vor kurzem einzigen Welle im Frühjahr 2020 eingependelt, es wird sich bald zeigen, ob sie wieder zurückgehen oder nicht.
In ganzen Zahlen gesprochen, verzeichnete Neuseeland am Donnerstag 82 Neuinfektionen. Zum Vergleich: In der Schweiz gab es zuletzt im Sommer 2020 eine Phase mit täglich weniger als 100 neuen Fällen – vor über einem Jahr.
Mit Ausnahme der weitgehenden Abschottung von der Aussenwelt hat Zero Covid in Ozeanien also funktioniert. Das wichtigste Ziel der Regierungen und der Bevölkerung wurde erreicht, die Sterblichkeit ist im Vergleich mit Europa oder Amerika massiv tiefer, und auch der Wirtschaft geht es in den beiden Ländern gut.
Singapur zeigt den Weg vor
Wie es für sie nun trotz der Delta-Hürde weitergehen kann, zeigt exemplarisch Singapur. In Australien und Neuseeland gilt der Stadtstaat derzeit als Vorbild, als Weg aus der Krise.
Singapur verfolgte ebenfalls eine Zero-Covid-Strategie und hatte damit ebenfalls Erfolg. Unter den knapp sechs Millionen Einwohnern gab es 55 Todesfälle, rund 1 pro 100’000 Einwohnern. Die Stadt schottete sich mit einer rigorosen Quarantäne für alle Einreisenden ab. Zudem gibt es eine elektronische Kontaktaufzeichnung mittels der TraceTogether App. Diese haben 80 bis 90 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohnern installiert, andere verwenden einen Bluetooth-Schlüsselanhänger.
Der Clou dabei: Ohne die App oder den Schlüsselanhänger ist das Leben in Singapur praktisch nicht möglich, es muss überall damit eingecheckt werden, sei es beim Einkaufen, im Büro oder im Restaurant. Für die Menschen im Stadtstaat ist dieser Vorgang praktisch seit Beginn der Pandemie Alltag, und das Contact-Tracing wird dadurch vereinfacht und vor allem verschnellert. So können die Behörden nicht einzelne Fälle, sondern immer gleich ganze Cluster erkennen und alle Kontaktpersonen in Quarantäne senden.
Regierung hält Versprechen nicht
Die App half also bei der Strategie, sorgte letzten Januar allerdings für einen riesigen Skandal, als bekannt wurde, dass nun auch die Polizei Zugriff auf gewisse Bewegungsdaten erhalten soll – bei konkretem Verdacht und zur Verbrechensaufklärung. Die Regierung hatte zuvor monatelang versprochen, genau dies nicht zu tun.
Die App wurde deshalb in Singapur millionenfach heruntergeladen, während viele westliche Länder ihre Programme genau aus solchen Privatsphäre-Bedenken nur wenigen Menschen schmackhaft machen konnten. Der Protest in Singapur war gewaltig, viele hätten die App am liebsten gelöscht, doch damit hätte man wiederum nur sich selber geschadet und sein Leben eingeschränkt.
Nun gibt es Hoffnung, dass die App bald nicht mehr nötig sein wird, denn Singapur hat die nächste Pandemiephase eingeläutet: «Learn to live with Covid», «Lernen, mit Covid zu leben». Fallzahlen und Contact-Tracing verschwinden aus dem Fokus, stattdessen will Singapur wieder ein normales Leben ermöglichen – auch für Auswärtige. Die Einreisesperren werden gelockert, Touristen sind wieder willkommen.
Ins Land dürfen aber nur Geimpfte, diese sollen in Flugzeugen kommen, in denen nur Geimpfte mitfliegen. In Kooperation mit Singapore Airlines bietet auch Lufthansa solche Flüge ab Frankfurt an. Das gilt allerdings nur für Menschen, die zuvor mindestens drei Wochen in Deutschland waren, für in der Schweiz wohnende Reisende ist das also noch keine Option.
Über 80 Prozent Geimpfte
Die neue Strategie in Singapur wird durch eine Rekordimpfquote ermöglicht. Über 80 Prozent sind nun doppelt geimpft, schrieb der Gesundheitsminister letzten Sonntag. Die Stadt wagt deshalb die Öffnung und sieht die Gefahr durch Corona und Delta nur noch als klein an. Es werde aber auch akzeptiert, dass es Fälle geben werde und Menschen daran sterben könnten, heisst es vonseiten der Regierung. Aber mehrheitlich sei die Bevölkerung nun gut geschützt, was es ermögliche, mit Covid zu leben.
Die verbleibenden Ungeimpften werden derweil nicht sich selbst überlassen, sondern gezielt auf ihre Bedenken angesprochen. Meistens hätten die Leute Angst vor den Nebenwirkungen. Da schon Milliarden Menschen geimpft wurden und es dazu viele Daten gebe, könnten die Besorgten dann meist beruhigt werden, sagt der Gesundheitsminister.
Ozeanien muss aufholen
Für Australien und Neuseeland ist das Vorbild Singapur der Weg aus der monatelangen Abschottung. Im Gegensatz zur Wirtschaftsmetropole in Südostasien haben sie den Impfzug aber komplett verpasst und zu lange auf eine Ausrottung gesetzt.
Nun holen die ozeanischen Staaten zwar auf, trotz verspätetem Start haben mittlerweile über 50 Prozent eine erste Dosis erhalten, rund 25 bis 30 Prozent sind doppelt geimpft. Die beiden Grossen, Australien und Neuseeland, sorgen auch für Impfstoffe für die kleinen Inselstaaten. Und sie erhalten Vakzine von ihrem neuen Vorbild – Singapur hat eben erst 500’000 Dosen nach Australien geschifft.
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Nach aktuellen Berechnungen werden bis Ende Oktober 70 Prozent doppelt geimpft sein. Da das Impftempo aber auch in Ozeanien abnehmen wird, ist die Einschätzung der Behörden wohl realistischer, dort ist von Ende Jahr die Rede. Bis dahin müssen die Australierinnen und Neuseeländer mindestens noch in ihrer Abschottung leben. Die Erfahrungen, welche Singapur in diesen Monaten mit seinem «Leben mit Covid» und überwiegend Geimpften macht, dürften dann zeigen, ob der anvisierte Weg funktioniert.
Eine App aus Singapur hat man in Ozeanien bereits übernommen. Die Quarantäne-Überwachung wird derzeit im Bundesstaat South Australia getestet, auf freiwilliger Basis. Die App gibt den reisewilligen Australierinnen und Australiern etwas Freiheit zurück. Es ermöglicht nämlich, die Quarantäne im eigenen Zuhause statt in einem kostenpflichtigen Hotel oder einem Quarantänezentrum zu verbringen. Die bisherigen Optionen schlugen massiv aufs Reisebudget, mit der App fallen diese Restriktionen nun weg.
Damit die Behörden weiterhin sicherstellen können, dass die Quarantäne auch eingehalten wird, überprüft die App zu zufällig ausgewählten Zeiten mittels GPS-Daten und Gesichtserkennung, ob die Person sich auch am ausgewählten Quarantäneort aufhält. Innert 15 Minuten muss dieser Check-in gemacht werden, sonst werden die Behörden alarmiert und man erhält einen Anruf oder gar einen Besuch vom Contact-Tracing-Team.
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