Ukraine-Blog: Fotos, Fakes und FragenZeitung versteckt Nachrichten für Russen in Videospiel
Die Tageszeitung «Helsingin Sanomat» umgeht die russische Zensur auf eine kreative Weise: Sie veröffentlicht Informationen zum Krieg im bekannten Videospiel «Counter-Strike».
Seit der russischen Invasion in die Ukraine herrscht in Russland strikte Zensur. Gesetze verbieten die Verbreitung von «Falschnachrichten» über die russischen Streitkräfte oder die russischen Operationen in der Ukraine. Das Wort «Krieg» darf im Zusammenhang mit der Ukraine nicht verwendet werden. Die meisten unabhängigen russischen und westlichen Medien wurden verboten. Viele Russinnen und Russen konsumieren nur Staatsmedien und sind damit Ziel von Propaganda und Beeinflussung durch den Kreml.
Derzeit dringen praktisch keine Informationen internationaler Medien nach Russland, da viele westliche Websites gesperrt sind. Journalisten und Journalistinnen der grössten finnischen Tageszeitung «Helsingin Sanomat» haben nun dennoch einen Weg gefunden, die russische Medienzensur zu umgehen und ihre Inhalte in Russland zu publizieren: Über das Onlinespiel «Counter-Strike» – eines der weltweit verbreitetsten und populärsten Videospiele – platzieren sie in einem versteckten Raum in der Spielwelt unabhängige Informationen zum Krieg in der Ukraine.
Das US-amerikanische Spiel, in dem Terroristen und Anti-Terroristen in zeitlich begrenzten Matches gegeneinander antreten, ist in Russland nicht verboten. Und das Shooter-Game ist bei russischen Userinnen und Usern sehr beliebt: Gemäss «CS:GO Stats», einem Onlineservice, der Statistiken zu «Counter-Strike» veröffentlicht, waren im Jahr 2022 rund 17 Prozent der gesamten Spielenden russische Staatsbürger.
Das habe eine verrückte Idee ausgelöst, schreibt «Helsingin Sanomat»: «Könnten wir einen Ort in ‹Counter-Strike› schaffen, an dem Millionen junger russischer Männer, die dieses Ego-Shooter-Spiel spielen, gezwungen wären, sich den Schrecken des Krieges in der Ukraine zu stellen?»
Erfundene slawische Stadt
Während die meisten Spiele auf etwa einem Dutzend offizieller Spielwelten gespielt werden, können User auch eigene fiktive Landkarten erstellen, die jeder herunterladen und verwenden kann. In der Folge gab «Helsingin Sanomat» zwei bekannten «Counter-Strike»-Kartendesignern den Auftrag, eine Spielwelt zu entwerfen, die eine slawische Stadt nachahmt, und darin einen geheimen Raum zu verstecken.
In der Spielwelt namens «De_voyna» – eine Anspielung auf das russische Wort für Krieg, «voyna» – finden Spieler nun im Keller eines Gebäudes einen Raum, «in dem sie gezwungen sind, die Wahrheit mit ihren eigenen Augen zu sehen», so «Helsingin Sanomat». Ein Licht über einer Tür gibt einen Hinweis darauf, dass ein genauerer Blick auf das Objekt etwas enthüllen könnte. Sobald ein Spieler über die Treppe hinuntergeht, findet er sich in einem in rotes Licht getauchten unterirdischen Raum wieder.
Butscha und tote russische Soldaten
In dem Keller werden verschiedene Informationen zum Krieg in der Ukraine präsentiert, an einer Wand steht gross «Counterstrike of the Free Press», auf Deutsch «Gegenangriff der freien Presse». Daneben befindet sich eine Landkarte der Ukraine, die zivile Ziele zeigt, die in der Ukraine seit 2022 von russischen Raketen getroffen wurden. Wenn sich Spieler der Karte nähern, sehen sie echte Bilder von zerstörten Städten und ukrainischen Zivilisten, die Opfer wurden von den russischen Attacken.
An einer anderen Wand werden Bilder von toten Zivilisten in den Städten präsentiert, in denen russische Streitkräfte nachweislich Kriegsverbrechen begangen haben. «Russen haben Massengräber in Butscha und Irpin hinterlassen», steht in Englisch und Russisch geschrieben. Wenn der Spieler sich den Bildern nähert, hört er eine russische Stimme aus dem Radio, die ihm erklärt, worum es auf den Bildern geht: ukrainische Zivilisten, die von russischen Soldaten ermordet wurden.
Auch wird die Geschichte vom Ukrainer Juri Glodan beschrieben, dessen gesamte Familie, darunter seine drei Monate alte Tochter, bei einem russischen Raketenangriff getötet wurde, während er einkaufen war. Die Spieler sehen Fotos seines zerstörten Hauses, die Reporter von «Helsingin Sanomat» im Mai 2022 in Odessa aufgenommen haben.
In einer weiteren Ecke des Raumes wird darauf aufmerksam gemacht, dass bereits zahlreiche russische Soldaten im Krieg gestorben sind und das russische Verteidigungsministerium bewusst die wahren Zahlen zum Krieg geheim hält. «Ein Irrenhaus, ein heilloses Durcheinander. Ich hatte Glück, dass ich nicht durch eigenes Feuer getötet wurde», wird ein verwundeter Soldat zitiert, der mit einem Reporter der finnischen Tageszeitung sprach.
Mehr als 2000 Downloads
Seit ihrer Veröffentlichung am Dienstag wurde die Spielwelt mehr als 2000-mal heruntergeladen, wie «The Guardian» schreibt, obwohl die Zeitung die Downloads derzeit geografisch nicht verfolgen kann. Wie viele User und Userinnen das Spiel in Russland also tatsächlich erreicht, lässt sich nicht abschliessend klären. Antero Mukka, Chefredaktor vom «Helsingin Sanomat», sagt gegenüber Reuters: «Wenn einige junge Männer in Russland nur aufgrund dieses Spiels für ein paar Sekunden darüber nachdenken, was in der Ukraine vor sich geht, dann ist es das wert.»
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