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Ypsomed-Chef Simon Michel
Der FDP-Politiker profitiert vom Geschäft mit der Fett-weg-Spritze

«Euromichel»: Porträt des FDP-Nationalrats und Unternehmers Simon Michel im Ypsomed-Hauptsitz in Burgdorf. Foto: Beat Mathys / Tamedia AG.
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Die Schweizer Medtechfirma Ypsomed stellt ein Wegwerfprodukt her, das sich kaum von denen anderer Anbieter unterscheidet. Dennoch wurden die Schweizer von Novo Nordisk ausgewählt, für die zweite Generation der Diabetes- und Fett-weg-Spritzen das Auto-Injektionssystem herzustellen.

Ypsomed Produktion und Fertigung YpsoMate 2.25 Autoinjector am 02.09.2024 in Solothurn. Foto: Raphael Moser / Tamedia AG

Der Grund für die Wahl von Ypsomed zu diesem Grossauftrag ist seine Lieferzuverlässigkeit. Wie der Autobauer Tesla stellt die Firma nicht nur alle Komponenten selbst her und arbeitet so weitgehend autark. Sie geht sogar noch weiter: «Wir werden für unser Werk in Deutschland auch den Strom weitgehend selbst produzieren», sagt Ypsomed-Chef Simon Michel.

Der 47-jährige Michel sitzt seit 2023 f¨ür die FDP im Nationalrat und will sich einen Namen als «Mister Bilaterale« machen, indem er sich vehement für zügige EU-Verhandlungen einsetzt. Das wichtigste Werk von Ypsomed steht in Nordostdeutschland, nur einige Hundert Kilometer von Novo Nordisks Zentrale in Dänemark entfernt.

Der Standort ist zwar strategisch gut gewählt, doch Michel sieht auch Risiken: Er befürchtet, dass es in einigen Jahren wegen der deutschen Energiewende dort zu Stromausfällen kommen könnte. Das aber wäre fatal, um bei riesigen Mengen Liefersicherheit zu garantieren.

Ypsomed Produktion und Fertigung am 02.09.2024 in Solothurn. Foto: Raphael Moser / Tamedia AG

«Einen Tag Produktionsstopp wegen eines Blackouts können wir nicht mehr aufholen», sagt Michel. Solarpaneele auf sämtlichen seiner Werksdächer in der Schweiz wie auch in Deutschland hat er schon. Im norddeutschen Schwerin will er nun auf seinem Produktionsgelände zusätzlich ein riesiges Windrad (Nabenhöhe 150 Meter) und eine Speicheranlage bauen, um auch im Winter einen Grossteil des benötigten Stroms selbst zu erzeugen.

«Für Novo Nordisk und unsere anderen Kunden ist Ypsomeds Energieautarkie ein Qualitätsmerkmal», sagt Michel. Der dänische Pharmakonzern hat bei Ypsomed ¨¨uber zwei Jahre lang jedes Produktionsdetail geprüft, bevor der Auftrag vergeben wurde.

Die weltweite Nachfrage nach dem Diabetes-Medikament Ozempic und der Fettleibigkeitstherapie Wegovy ist so gross, dass sie die derzeitigen Liefermöglichkeiten übersteigt. Die Leute warten auf die Spritzen – der rasche Ausbau der Wirkstoffproduktion ist dabei genauso wichtig wie der dafür nötigen Autoinjektionsgeräte.

Für die zweite Generation der auf dem Darmhormon GLP-1 basierenden Medikamente gilt Ähnliches. Sie soll weniger Nebenwirkungen haben und im Laufe von 2026 auf den Markt kommen, vorausgesetzt, die Zulassung erfolgt. Bereits jetzt sollen die Produktionslinien und dann die Lager aber schon aufgebaut werden.

Neustart nach Verkauf an Roche

Ypsomed baut seine Produktionskapazitäten stark aus und erwartet allein für das kommende Geschäftsjahr ein Umsatzplus von 25 Prozent auf über 600 Millionen Franken – der grösste Wachstumsschub der von Simon Michels Vater 1984 zunächst als Disetronic gegründeten Firma.

Willy Michel hatte die Insulinpumpe erfunden, dieses Geschäft verkaufte er 2003 an Roche und startete 2003 unter dem Namen Ypsomed neu. Das Unternehmen ist nun auf Selbstinjektionsgeräte (das lateinische Wort ipso bedeutet selbst) spezialisiert. Es bietet sogenannte Pens an, bei denen die Wirkstoffmenge individuell und hochpräzis dosiert werden kann. Oder aber – wie für Novo Nordisk – Autoinjektoren mit vorgegebenen Mengeneinheiten.

Trick mit unsichtbarer Nadel

Mit dem Zuschlag von Novo Nordisk für Ypsomed sind deren Autoinjektoren mit dem Abnehmwirkstoff nach erfolgter Zulassung verkoppelt. Beide Firmen sind aufeinander angewiesen. Denn bei einem Wechsel des Applikationssystems müsste Novo Nordisk einen neuen Zulassungsantrag bei den Arzneimittelbehörden stellen.

Die Fett-weg-Spritze ist im eigentlichen Sinn gar keine Spritze. Die Nadel ist bei Ypsomeds Autoinjektor versteckt. «20 Prozent der Patientinnen und Patienten würden sich die Injektion sonst gar nicht allein zu Hause geben», erklärt Michel. Weil sie Angst vor Spritzen haben.

Um das Medikament subkutan zu spritzen, muss der Autoinjektor lediglich flach auf die Haut gesetzt und dann gedrückt werden. Mithilfe von Federn schnellt die Nadel unsichtbar einige Millimeter unter die Haut, und der Wirkstoff fliesst danach in der eingestellten Dosierung von allein.

Die Produktion ist voll automatisiert, deswegen lohnt sie sich finanziell in der Schweiz in Ypsomeds Werken am Hauptsitz in Burgdorf und in Solothurn noch.

In Solothurn rattern die Greifarme, die die noch warmen, stechend nach geschmolzenem Plastik riechenden Spritzgussteile in den gläsernen Produktionskästen aus ihren Metallformen holen und zur Abkühlung auf ein Förderband fallen lassen. «Ein Pen besteht aus 14 Einzelteilen, die hier aus Plastikgranulat gegossen und dann zusammengebaut werden», erklärt Produktionsleiter David Saunier.

Ypsomed Produktion und Fertigung am 02.09.2024 in Solothurn. Foto: Raphael Moser / Tamedia AG

In China beträgt der Lohnaufwand bloss drei Prozent der Herstellungskosten, in der Schweiz machen sie wegen des höheren Lohnniveaus in einer Grossanlage bis zu 10 Prozent aus. «Wir haben jedoch die grössere Erfahrung und Präzision, unsere Ausschussquote liegt deutlich unter 1 Prozent», sagt Saunier. Bei hohen Mengen hat das eine grosse Relevanz.

Dennoch baut Ypsomed ein neues Werk in China – dort soll allein für den chinesischen Markt produziert werden. Dies ist bei westlichen Firmen so üblich. Ypsomeds Expansion geht aber auch in die Pharma-Hochburg Nordamerika: Ebenso dort plant Michel eine neue Produktionsstätte. Insgesamt rechnet er für die nächsten fünf Jahre mit Investitionen in Höhe von 1,5 Milliarden Franken.

«In der Schweiz wird Ypsomed bis auf weiteres kein neues Werk bauen», sagt Michel. Die Produktion solle weltweit verteilt erfolgen, um Liefersicherheit garantieren zu können und CO₂ bei der Logistik zu sparen. «Ausserdem wäre es zu riskant, hier weiter zu investieren, weil nicht klar ist, ob die SVP die Zuwanderung von Fachkräften stoppt.» Der Anlagenausbau für die Fett-weg-Spritzen schafft in der Schweiz 250 neue Jobs, viele davon lassen sich nur mit Leuten aus dem Ausland besetzen. Deswegen hat Michel Angst vor der weiteren politischen Entwicklung.

Die Familie Michel besitzt mit 74 Prozent die Mehrheit an Ypsomed. Sie gehört zu den Reichsten der Schweiz, ihr Vermögen schätzte die «Bilanz» Ende letzten Jahres auf 3,3 Milliarden Franken. Der Aktienkurs – und damit auch Michels Reichtum – ist seitdem um weitere 40 Prozent gestiegen.

Ypsomeds Umsatzsprünge dürften weitergehen: Die Firma steckt momentan in Verhandlungen zu einem neuen Grossauftrag, wie Michel andeutet. Ähnlich wie in der Pharmaindustrie weist Ypsomed bei den Injektionsgeräten zudem eine satte Betriebsgewinnmarge auf: Sie liegt über 30 Prozent.

Denn Medikamente werden zunehmend subkutan selbst gespritzt. Nur so werden die bislang vorwiegend als Infusion verabreichten Biotech-Therapien massentauglich, weil Spitalfahrten und -kosten entfallen. Für Ypsomed bedeutet das weiteres Wachstum. Das Alzheimer-Medikament von Biogen/Eisai, Leqembi, etwa soll neu auch subkutan zugelassen werden – auch hier ist das Autoinjektionsgerät der Familie Michel dabei.